Der Platz

Im Rückblick auf das Leben des Vaters und auf ihre eigene Jugend seziert Annie Ernaux ihre Herkunft und die Verhältnisse aus denen sie stammt.

In ihrem Werk Der Platz aus dem Jahr 1983 markiert sie damit einen Einschnitt in der französischen Literatur, "diese neuartige Form der Selbstbetrachtung ist der Glutkern der Autofiktion", beschreibt der Verlag dieses Ereignis.

Als die Autorin Nachricht von der schweren Erkrankung des Vaters erhält, begibt sie sich zurück an den Ort ihrer Herkunft in die Normandie.

Sie kehrt zurück an den Ort, an dem ihre Eltern mit harter Arbeit und unter vielen Entbehrungen eine Existenz aus einem kleinen Laden und einer Kneipe aufbauten. Sie ermöglichen damit ihrer Tochter eine gute Ausbildung. Sie wird Lehrerin, bildet sich und entfernt sich rasant immer weiter von ihrem Herkunftstmilieu.

Jahre später, während der Vater stirbt, kommen Kindheitserinnerungen zurück. Etwa  an einen Besuch mit dem ungebildeten Vater in der Bibliothek, in der er gerne seiner zwölfjährigen Tochter das Reden überließ. „Vielleicht sein größter Stolz, sogar sein Lebenszweck: dass ich eines Tages der Welt angehöre, die auf ihn herab geblickt hatte“,  ist da zu lesen.

Annie Ernaux schreibt über das Leben des Vaters und auch über die Distanz, die im Laufe des Erwachsenwerdens zwischen ihr und ihm entstanden ist. Sie ist zwischenzeitlich in eine andere Klasse aufgestiegen, alle Brücken zurück zum Herkunftsmilieu scheinen abgerissen.

Mit distanzierter Liebe aber auch einer Art Ekel über dasLeben des Vaters, das der Notwendigkeit unterworfen war, schrieb sie dieses schmale Werk erst 15 Jahre nach dessen Tod.

30 Jahre nach der Erstveröffentlichung holt nun Suhrkamp diesen wichtigen Beitrag zum Thema Herkunft und Klasse wieder vor den Vorhang. Am Schluß ihres autobiografischen Romans schreibt die Autorin: „Ich bin am Ende meines Vorhabens angekommen: das Erbe ans Licht zu holen, das ich an der Schwelle zur gebildeten, bürgerlichen Welt zurück lassen musste“.


Der Platz
Annie Ernaux
Suhrkamp 2019
96 Seiten
18,00 Euro

 

 

Beitragsbild: © Olivier Roller/Suhrkamp Verlag 2019

Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.

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