weg

Von rund 10 Varianten, wie man auf einem Moped fahren kann, erfährt man bereits auf Seite 1 von Doris Knechts neuem Roman weg. Im Verlauf der Handlung werden immer wieder neue dazu kommen.

Auch die beiden Protagonisten düsen in jungen Jahren auf einer blau weißen Puch DS 50 durch die Weinberge Wiens, die Frau sitzt hinten und ist eng an den Fahrer geschmiegt. Die Liaison währt nur kurz, dafür heftig.

Die Frau, Heidi, wird schwanger, bevor die beiden überhaupt feststellen können, ob sie zusammenpassen. Sie versuchen es eine kurze Zeit miteinander, dann geht Heidi  in ihre Heimat nach Deutschland zurück, mit ihr die gemeinsame Tochter. Georg bleibt in Österreich und wird ein Long-Distance-Vater, der sich redlich bemüht, am Aufwachsen seiner Tochter nach Möglichkeit teilzuhaben.

Später gründet er mit Lea wieder eine Familie. Sein beschauliches Leben als Gastwirt in einem Landgasthaus lässt annehmen, dass er angekommen und zufrieden ist. Seine Tochter aus Deutschland besucht ihn regelmäßig, die Beziehung der beiden ist trotz der Distanz gut, wenn auch nicht innig.

Als eines Tages das Telefon läutet, ist sie längst erwachsen, am Hörer ist die besorgte Mutter. Charlotte, seit der Pubertät mit einer psychischen Krankheit diagnostiziert, ist verschwunden. Die Spur führt nach Asien und so machen sich zwei Menschen, die ausser der Sorge um ihr gemeinsames Kind nicht viel gemeinsam haben, auf den Weg.

Sie vereinbaren, sich in Vietnam zu treffen. Schon die Reise dorthin ist für die biedere Heidi, die sich nur in ihrer Kleinstadt sicher wähnt, eine große Herausforderung. Auf der Suche nach Charlotte sind sie aufeinander angewiesen, vor allem Heidi stößt immer wieder an ihre Grenzen und muss diese überwinden. Georg, selbstsicher und ruhig, manövriert sie sicher durch eine Zeit voller Angst und Sorge.

Einmal mehr geht es der genauen Beobachterin Doris Knecht um Beziehungen. Um ein Liebespaar, das es nicht geschafft hat, eine Familie zu werden und das durch ein Kind dennoch für immer verbunden bleibt. Um zwei Menschen, die sehr schnell wussten, dass sie kein gemeinsames Leben führen wollten und sich deswegen nicht lange mit dem Versuch aufhielten.

Vieles ist aus der Perspektive des Mannes zu erfahren, der durchwegs sympathisch gezeichnet ist. Doch auch für die oft hysterisch wirkende Heidi, die vor Sorge um ihr Kind fast wahnsinnig wird, möchte man Verständnis aufbringen. Und auch vom Älterwerden handelt das Buch, was Georg gelassener nehmen kann als die beiden Frauen.

Besonders berührend ist eine Beobachtung Georgs, als er mit seiner Frau Lea bei einem Rockkonzert das Backstage Catering macht. Er sieht, wie sie begeistert den jugendlichen Musikern von ihren eigenen Band-Erfahrungen erzählt und aufblüht in einem Umfeld, in dem sie sich früher so gerne bewegt hat. Die Kids mimen nicht einmal Interesse, nicken nur höflich, bevor sie sich abwenden. Beinhart und ehrlich ist diese Situation, denn „es war ihnen völlig egal, was dieses alte Mädchen fand. Wenn man nicht ständig im Spiegel kontrolliert, wie alt man ist, vergisst man es zwischendurch und fühlt sich immer so um die dreißig, fünfunddreißig.“

Zu guter Letzt geht es um Vertrauen, um Loslassen und über das Hinauswachsen über sich selbst. Ja, auch eine ängstliche Frau kann alleine Moped fahren lernen.


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von Doris Knecht
rowohlt Berlin, 2019
304 Seiten, EUR 22,70

 

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