Mit Frittiernetzen auf Meteoritenjagd

Barbara Anna Husar fotografiert von Regina Hügli

Name Barbara Anna Husar, geboren 1975 in Feldkirch (V), Beruf Multimediakünstlerin, ihr Studio befindet sich im obersten Stockwerk einer ehemaligen Erzeugungsstätte für pneumatische und elektrische Antriebstechnik in Wien Penzing 


Oben am Turm in der ehemaligen Betriebskantine drehen sich seit 2015 ihre Knochenräder mit urzeitlichen Wirbelstücken und ein Zeitrad mit dreizehn Sanduhren rund um ihr bisheriges Hauptwerk, eine Hängematte aus Nabelschnüren von Ziegen aus der Wüste Sinai.

Auf der umsäumenden Dachterrasse wuchert üppig ein botanischer Garten mit seltenen Pflanzensorten. Barbara Husar betrachtet ihr Studio als kommunizierendes Gefäß, als einen Knotenpunkt im wachsenden Netzwerk von Bezügen und Beitragenden.

Kochende, meditierende, musizierende, nomadisierende und gestaltende Menschen gehören dazu und mischen sich mit Galeristen, Kunstsammlern und Kuratorinnen. 

Nach der Matura an einer Vorarlberger Klosterschule kam Barbara Husar 1995 für ihr Kunststudium an der Angewandten nach Wien. Das war ein heftiger Wechsel, doch bei diesem einen starken Impuls ließ sie es nicht bewenden.

Wien diente ihr die folgenden Jahre als Basislager für zahlreiche Reisen; Studienjahre in Amsterdam und New York folgten, auch zahlreiche Aufenthalte in der Wüste Sinai. Die Wüste sollte der Ort sein, der sie am nachhaltigsten prägte. Das nomadisierende Leben der Beduinen ist bis heute Hauptinspiration für die Entwicklung des eigenen künstlerischen Kosmos.

Über siebzehn Jahre bereiste sie häufig die Halbinsel Sinai. Die Künstlerin besitzt selbst eine Ziegenherde, die von den Frauen eines Nomadenstammes gehütet wird.

Von dieser Ziegenherde stammen auch die Nabelschnüre, aus der sie 2014 einen Verbindungskörper in Form einer Hängematte geknüpft hat. Reizweiterleitung ist ein wesentlicher Begriff, um den Kern von Husars künstlerischer Arbeit zu erfassen.

Die Nabelschnur dient dem Fluss von Information, die Feuerstelle ist Hotspot für Kommunikation und Austausch, Meteoriten sind Post aus dem All. „Begonnen hat alles mit dem Zeichnen, dem Skizzieren“, sagt sie, „aus der Zeichnung katapultieren sich alle Denkprozesse“. So wollte sie ursprünglich Malerin werden, erst allmählich sind andere Medien wie Videokunst, Installation, Performance, Trickfilm etc. dazugekommen.

„Inzwischen ist es eher der Inhalt, der seine adäquate Form sucht und bestimmt – ich bin in vielen Medien beheimatet und benutze sie nach Bedarf.“

Die Verankerung in der Kunst ist für Husar das Wichtigste – um diesen Ankerpunkt zieht sie nomadisierend ihre Kreise. Derzeit hat die Künstlerin, die international von Galerien vertreten und in Ausstellungen gezeigt wird, Wien als idealen Ort zum Verweilen ausgewählt. Mit ihrem Studio „Schiff ohne See“ schafft sie eine Feuerstelle zum Andocken, ein „Hot Dock“ in der Stadt.

Was hat Dich bewogen, Dich nach all den Jahren des Reisens genau hier in Wien wieder niederzulassen? Ich war davor längere Zeit in China. Es war dann ein ganz intuitives Gefühl, jetzt nach Wien zurückzukehren. Es hat viel mit den Menschen zu tun, mit denen ich vernetzt war, mit der Kooperation mit Galerien, die damals in Wien begonnen hat.

Du hast in Wien nach dem passenden Ort gesucht, an dem Du arbeiten kannst, und bist dabei auf außergewöhnliche Locations gestoßen. Ja, 2011 habe ich in der Zuckerlfabrik begonnen, einer aufgelassenen Fabrik im 20. Bezirk. Ich habe dort für drei Jahre einen Ort der Kommunikation geschaffen. Ich nenne einen solchen Ort „Hot Dock“, einen heißen Ort zum Andocken. Man kann sagen, die Feuerstelle war drei Jahre lang immer am Brennen …(lacht).

In der Zuckerlfabrik hast Du dann Dein bisheriges Hauptwerk geschaffen – einen Verbindungskörper der besonderen Art? Genau, die „Mündungswiege“, eine Hängematte aus Nabelschnüren. Sechs Wochen habe ich mich dafür in der Zuckerlfabrik zurückgezogen und die Datenkanäle neu verbunden. Als sie geboren war, hat es sich ergeben, dass experimentelle Musiker auf mich zugekommen sind, und wir begannen Konzerte in den leeren Räumlichkeiten der Zuckerlfabrik abzuhalten. Es ist eine ganze Konzertreihe von dreizehn Events daraus entstanden, mit Musikern, die mehrheitlich aus dem Nahen Osten stammen. Es war also eigentlich die Musik, die diesem Kunstwerk die ersten Frequenzen entlockt hat.

Die Zuckerlfabrik musstest Du dann aber verlassen? Ja, ich musste einen neuen Ort suchen und bin hier am „Turm“ gelandet, in der obersten Etage eines achtstöckigen Industriegebäudes im 14. Bezirk. Hier bin ich mit der Hängematte eingezogen, die nun eine Art Instrument bzw. Werkzeug für mich ist, ein Verbindungskörper, um neue Ideen zu generieren. Ich habe auch gespürt, dass hier der Ort ist, an dem die zweite, für mich sehr wesentliche Arbeit entstehen kann, ein Blitz aus Nabelschnüren.

Gibt es diesen Blitz schon? Nein, die Arbeit wird erst fertig sein, wenn ich hier ausziehe … Allerdings hatte ich die Idee, Blitzkonzerte zu veranstalten. Jedes Mal, wenn  sich ein Gewitter über Wien entlädt, sollten hier im Turm spontan Konzerte stattfinden. Seitdem ich diese Idee hatte, hat es aber noch zu wenig geblitzt. Als ich am Turm eingezogen bin, hat sich bald erwiesen, dass dieser Ort stark mit Körperarbeit in Resonanz war. Es haben sich vor allem Zusammenspiele mit Menschen ergeben, die Yoga, Qigong oder Pilates praktizieren.

Ich habe hier oben auch einen zusätzlichen Raum, den ich tageweise vermiete . Ein Kunstraum zur Verfeinerung von Potentialen und Frequenzen. Er heisst Umami – das ist ein japanischer Begriff und bezeichnet eine fünfte Geschmacksrichtung neben süß, salzig, sauer, bitter. Übersetzen kann man sie als „köstlich“. Das hat mich sehr interessiert, denn ich beschäftige mich schon lange auch mit Geschmack und Geruch.

Geschmack und Geruch – wir sitzen während unseres Gesprächs auf der Dachterrasse des Studios, auf der hunderte von Pflanzen üppig wuchern und wunderbar duften. Ja, in diesem Sommer manifestierte sich hier das Thema Pflanzen besonders intensiv, auf der Dachterrasse ist ein botanischer Garten mit vielen raren Sorten entstanden.

Ich beobachte das Wachstum und die Geometrie der Pflanzen und lasse diese Informationen auf intuitive Art in meine Werke einfließen. Im Moment blüht gerade gelb die Aloe vera, am Khakibaum hängen vier Khakis. Es gibt auch drei Walnüsse, Feigen, und fünf Granatäpfel. Geschmacklich finde ich die Limetten-Agastache oder den peruanischen Sauerklee ganz besonders. Es gibt auch viele Wildkräuter, z. B. Zistrose oder die feine Gewürztagetes.

Da läuft einem das Wasser im Mund zusammen – Zubereiten und Kochen sind auch wichtige Themen für Dich – wohin gehst Du, wenn Du in Wien wirklich fein essen willst? Mich begeistert die Kochdramaturgie von Renate Burger „Amur Wien“, die unglaublich viel recherchiert und historische Bezüge herstellt. Sie hat kein eigenes Lokal, sondern arbeitet auftragsweise, eher als Kochhappening. Am Sonntag ist sie hier am Turm.

Was wird da geschehen? Renate Burger kocht thematisch zu den Weltmeeren und es wird den ganzen Tag nach historischen Piratenrezepten feinstes Verwobenes zu kosten geben. Sie wird unterstützt von einer Crew von Freigeistern. Es sind auch Performance-Künstler dabei und eine Schiffsmasseuse. Mein Studio hier, der Turm, wird auch „Schiff ohne See“ genannt, deswegen diese Meeresthematik. Und der Rettungsreifen an der Reling! 

Du hast hier mit Schiff ohne See einen ganz besonderen Ort geschaffen.Welche speziellen Orte in Wien fallen Dir ein, die für Dich wichtig sind? Wichtig für mich ist die Jubiläumswarte. Von meinem Turm aus zieht es mich zu dieser Aussichtsplattform im Wiener Wald. Ich gehe die Wendeltreppe hoch, die für mich fast wie eine Nabelschnur in den Himmel ist. Oben hat man einen sensationellen Blick über Wien und befindet sich gleichzeitig über einem Meer von Bäumen.

Ein weiterer Lieblingsort von mir ist der Meteoritensaal des Naturhistorischen Museums, Wien hat ja eine der weltweit größten Meteoritensammlungen. (2011 hatte Barbara Husar eine Solo-Ausstellung im Naturhistorischen Museum mit dem Titel ALTE MEISTER, Dinosaurier und Meteorite, Anm. d. Red.)

Stichwort Sammlung: Viele deiner Arbeiten bestehen aus Sammlungen von Gegenständen. Du hast eine Sammlung von Stempeln, Steinen, Meteoriten, Sanduhren, Fritteusen. Ist Wien ein guter Ort zum Sammeln? Ja, auf jeden Fall. Flohmärkte und Tandler sind in Wien wohlbestückt und meine Lieblingsanlaufstellen. Ich glaube, dass ich die größte Sammlung von Frittiernetzen habe, die es in Wien gibt. Etliche Tandler rufen mich an, wenn sie neue Exemplare aus einer Verlassenschaft o. ä. ergattern. Dann fahre ich hin, hol’ sie mir und mache Meteoritenfallen daraus.

Du hast von Gerüchen und Geschmack gesprochen – kannst Du uns sagen, wonach Wien für dich riecht? Dazu eine Anekdote: Ich bin während meines Studiums an der Angewandten auch mit der Osmologie in Berührung gekommen, das ist die Lehre von den Gerüchen. Als Anschauungsunterricht haben wir uns in Schönbrunn in ein Raubtiergehege einsperren lassen und während deren Abwesenheit Sexualsekrete von den Tigern etc. gerochen. Dies ist mein olfaktorisch stärkstes Erlebnis in Wien, meine stärkste Erinnerung aus der Studienzeit überhaupt.

Am meisten genieße ich an Wien aber geruchlich den frischen Wind, der vom Wiener Wald in die Stadt weht. Auch das Wiener Wasser hat eine unglaublich hohe Qualität, das ist frisch und lebendig. Das ist für mich vielleicht das wichtigste an Wien überhaupt. Interessant finde ich auch, dass Wien einen extrem alten Baumbestand hat. Es gibt hier in der Stadt wirklich sehr alte Bäume. Manchmal frage ich mich, ob es vielleicht mit ein Grund für die Langsamkeit in Wien ist, dass wir mit solch alten Lebewesen die Luft teilen und ihre Präsenz fühlen.

Was möchtest Du Wien ausrichten 
Negativity (Raunzen) can only affect you, if you are on the same frequency – vibrate higher!

TIPP:
Lentosmuseum Linz:
29. September 2017 bis 4. Jänner 2018: Barbara Husar zeigt ihre
Große Meteoritenfalle aus Fritteusen
in der Gruppenausstellung STERNE.

Regina Hügli liebt Licht, Bilder und Begegnungen. Deswegen fotografiert sie gerne Menschen. In Wien oder anderswo auf der Welt. Fotografien sollen Spass machen, wunderschön sein oder Tiefsinniges ausloten.
Alles andere ist Käse - und dann am besten Schweizer Käse.

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