Rap ist wie eine offene Bibliothek

Esra fotografiert von Nini Tschavoll

Name: Esra Özmen, geboren 1991 in Wien, lebt in Ottakring und studiert an der Akademie der Bildenden Künste. Gemeinsam mit ihrem Bruder Enes ist sie das Rapduo EsRap.


Seit zehn Jahren machen die Geschwister Esra und Enes miteinander Musik. Lustvoll bürsten sie als Duo EsRap Klischees gegen den Strich und finden ihren Stil zwischen Arabeske und Rap. Im Klartext heißt das: Esra rappt auf Deutsch und Türkisch und Enes singt melancholische Melodien. Gerade haben sie ihr erstes Album im Studio von Freshmaker aufgenommen und entsprechend gelöst ist Esra Özmen, als wir sie im Cafe International auf dem Yppenplatz treffen. Der Brunnenmarkt und seine Umgebung sind ihr erweitertes Wohnzimmer.

Die junge Frau im schwarzen Overall grüßt Markt-Standler und winkt Leuten in den Schanigärten zu, das ist ihre Hood. Um die Ecke in der Brunnenpassage haben die Geschwister Özmen auch schon Rap-Workshops für Jugendliche und Frauen gehalten. Hier wurden einige der bisherigen Musikvideos von EsRap gedreht. Und hier wird es sicher die Album Release Party geben.

Angefangen haben Esra und Enes quasi mitten in der Pubertät im Backbone 20 in der Brigittenau. Heute sind sie erwachsen und stecken immer noch jeden Tag zusammen, beruflich und privat. Wie geht das? „Ich bin Abla, die große Schwester, und hab’ das Sagen“, grinst Esra und legt die Hand aufs Herz. Dann ergänzt sie: „Wir sind einfach beste Freunde und streiten vielleicht einmal im Jahr“.

In ihren Musikvideos vermittelt sie eher den Eindruck, dass mit der rappenden großen Schwester nicht gut Kirschen essen ist. Aber die Pose gehört zum Genre, das im Widerstand entsteht. Und ist doch meilenweit vom Gangsta-Rap-Gehabe entfernt. Die heute 28-Jährige spricht glaubwürdig über ihre Erfahrungen, die viele Wienerinnen und Wiener mit Migrationshintergrund teilen.

Aber wie wurde aus dem schüchternen Arbeiterkind aus Ottakring, dessen Großvater als Gastarbeiter angeworben wurde und das bis zur Volksschule nur Türkisch sprach, eine diplomierte Rapperin? Nach Volksschule und Hauptschule wechselte Esra ans Gymnasium und begann dort Texte zu schreiben, „um mit meinem Alltag klarzukommen. Ich hatte Probleme in der Schule, mit dem Bildungssystem, mit Diskriminierung. Ich war eine echte Streberin und bin dennoch zweimal sitzengeblieben. Die Verena, der Matthias, einfach alle konnten plötzlich besser Deutsch als ich. Ich bekam schlechte Noten und hielt mich für schwach und dumm“.

Zum Glück fand sie zu der Zeit Anschluss im Backbone 20 mit einem Tonstudio im Keller. Um 2000 etablierte sich in Wien zudem eine wahrnehmbare, migrantische Rap - Szene mit Sua Kaan, Kid Pex und anderen. Zunächst wollt Esra ihre Gedichte nur aufsagen und aufnehmen. Aber Freund Recep bestärkte sie zu rappen, weil ihre Texte mit Widerstand zu tun hatten: „Rap ist wie eine offene Bibliothek, zudem eine billig zu produzierende Musik.

Nun konnten auch die ‚Tschuschen’ und die ‚Kanaken’ über ihre Erfahrungen berichten, über ihr Viertel, die Zimmer-Küche Wohnung. Ich habe gemerkt, dass ich mit meinen Problemen nicht alleine bin. So wurde das Private für mich plötzlich (gesellschafts-)politisch“. Bei ihren Auftritten erlebte Esra viel Zuspruch, Applaus und Support. Das steigerte ihr Selbstwertgefühl und so boxte sie schließlich auch die Matura durch.

Die Eltern haben immer an ihre Tochter geglaubt. Aber beim Lernen helfen und sie auf dem Bildungsweg inhaltlich unterstützen konnten die Eltern Esra nicht: „Das Vertrauen meiner Familie hat mir Schub gegeben. Es gab Leute außerhalb der Schule, die an mich geglaubt haben. Es wäre schön, wenn das mehr Kinder in der Schule erfahren dürften, wo man so viel Zeit verbringt.“

Das Album hat voll lange gedauert, gibt Esra zu. „Wir haben fünf Jahre gearbeitet, um unsere Linie zu finden, unsere neue Interpretation anderen verständlich zu machen und die richtigen Beats zu wählen. Wir haben auch Instrumente wie die Saz, eine Art türkische Laute, verwendet. Jetzt haben wir die Linie – glaube ich“, lacht sie.

EsRap kombiniert Arabeske mit Rap. Arabeske ist der orientalische Musikstil, mit dem die beiden aufgewachsen sind: „Mein Vater hat jeden Abend Müslüm Gürses, auch Müslüm Baba, den Vater der Arabeske, aufgelegt und wir haben das gemeinsam gehört. Das ist die Musik der Arbeiterklasse, es geht um das Leiden, Drama pur. Man leidet, aber man weiß nicht woran. Hauptsache man leidet gemeinsam. Geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid“.

Das Raunzerte der Arabeske, die Beats und der deutsch-türkische Sprechgesang ergeben eine echte Wiener Melange. Die Kombination ist für Esra stimmig: „Ich glaub’ in der Arabeske haben wir gespürt, dass wir leiden. Und im Rap haben wir herausgefunden, warum wir leiden. Wenn man das weiß, kann man auch was dagegen tun. Wir teilen unsere Erfahrungen und verschaffen uns Gehör.“

EsRap Duo, © Daniel Shaked

Für Esra ist Deutsch eine harte, direkte Sprache, die sie erst nach der Matura richtig erlernt hat. Türkisch hingegen ist metaphernreich, es hört sich weicher an und melancholischer: „Deutsch ist für mich ein gutes Stilmittel wenn ich die Härte bin und brauche. Weil es schön ist, wenn man die Härte zeigen kann. Ich will über Themen wie Migration, Integration, Rassismus, die aktuelle Regierung und Politik eben nicht nur durch die Blume etwas sagen. Da tue ich mir mit Deutsch leichter.“

Als erste in der Familie die Matura zu haben, war ein großer Moment: „Mein Vater hat immer gesagt: ‚Ich habe meine Jacke verkauft, damit du studieren kannst’. Typischerweise gelten in meiner Community Ärztin oder Anwältin als gute Berufe. Ich habe also Jus inskribiert und gerappt. Bis mir nach einer Podiumsdiskussion Petja Dimitrova die Akademie für Bildende Künste gezeigt hat. Daraufhin habe ich mich fürs Atelier beworben.“ Mit einem Portfolio bestehend aus Texten und Videos.

Abgeschlossen hat Esra wohl mit dem ersten Rap-Diplom ever. Das Doktorat macht sie jetzt auch noch „weil ich jedenfalls Dr. EsRap heißen will. Ich schreibe über Rap und Gentrifizierung in Wien.“ Geld verdienen Esra und Esman einstweilen mit Auftritten, z.B auch dieses Jahr wieder bei der Eröffnung der Wiener Festwochen. Ihre Rap-Workshops werden in Wien und österreichweit gebucht.

Erwachsene nach den Eltern zu fragen ist komisch. Aber was haben Vater und Mutter Özmen gemeint, als gleich zwei ihrer Kinder ihr Herz an die brotlose Kunst hängten? Auch hier greift das Klischee einer rückständigen türkischen Community von MigrantInnen zweiter und dritter Generation nicht. „Am Anfang war das ja für mich selbst komisch. Ich war so schüchtern, von mir hat niemand erwartet, dass ich mal rappe. Enes hingegen hat immer gesungen wie ein Popstar.“

Also nahm sie zunächst an einem Schulprojekt teil und lud ihre Eltern zur Aufführung ins Jugendzentrum ein. Die fanden das toll. Esras zweiter jüngerer Bruder spielt Akkordeon und findet EsRap jedenfalls nicht so cool. „Meine Eltern merken wohl, dass es kein Hobby (mehr) ist, sondern eine Haltung. Und dass es Wirkung zeigt.“ EsRap wurde anfangs kritisiert und gerade sie als Mädchen gemaßregelt. Aber neulich auf einer Hochzeit „kamen 60-jährige Frauen mit Kopftuch zu mir und sagten ‚Esra, rap was für uns!’. Manche Frauen erzählen mir von ihrer Zwangsverheiratung und sagen, ‚Rap was über dieses Unrecht. Oder darüber, was meiner Tochter in der Schule passiert ist!’“

Die Community bietet ihr also einen erweiterten Erfahrungsschatz und Esra aus dem Sandleitenhof, die rappt und studiert hat, wird so zu einem Ventil für ihre Anliegen. Es geht der Rapperin darum, Erfahrungen zu teilen, weil diese wichtig für ihre eigene Entwicklung waren.

„Das Bildungssystem mich hat mich schon mit neun Jahren vorsortiert, Bildung wird vererbt, also bleibt die Arbeiterklasse immer die Arbeiterklasse. Migrantische Kinder werden besonders häufig in die Sonderschule geschickt, was meine Eltern zum Glück verhindert haben. Oder sie bekommen eine ADHS-Diagnose angehängt.“ Ein Vorbild will sie nicht sein, weil jeder eigene Erfahrungen macht und „man mich nicht nachahmen kann“. Aber nach ihr haben fast alle Cousinen die Matura gemacht. Es scheint zu motivieren, wenn kulturell ähnliche Menschen mit ähnlichem Sprachniveau es schaffen können.

Die Hauptschule war die schönste Zeit in ihrem Leben. Aber mit 24 anderen Kindern, die es nicht können, ist es halt schwer, gut Deutsch zu lernen. Man steht dort an einer Weiche, die selten zur Matura führt. Der Deutschzwang am Pausenhof ist blöd. Es braucht Anreize. „Die beste Integration passiert, wenn man gerne etwas gemeinsam machen will. Das sehe ich auch in meinen Workshops. Da schreibt einer Deutsch, einer Englisch, einer Arabisch und wenn sie gemeinsam was machen wollen, reden sie miteinander. Ich habe noch nie gehört, dass jemand kein Deutsch lernen will. Immer nur ‚Ich will, aber ich kann es nicht’.“

Zudem bestimmen Architektur, Stadtplanung und Infrastruktur mit, ob und wer einander begegnen kann, um voneinander zu lernen. „Zum Glück wurden bei den geflüchteten Menschen 2015 viele Fehler nicht mehr gemacht, die bei den Gastarbeitern noch gemacht wurden. Ihnen wurde intensiv und rasch Deutsch beigebracht“.

Was plant ihr für euer Musikvideo zum Album „Tschuschistan“- wieder ein Dreh am Yppenplatz? Nein, wie greifen das Nomadentum meiner Mutter auf und transferieren den kulturellen Hintergrund in die Utopiewelt eines Raumschiffs. Das Videokonhzept stammt von Sheriv Avraham und Iris Borovcnik. Gedreht wurde es übrigens im nie in Betrieb gegangenen AKW Zwentendorf.

Was ist dein Wiener Lieblingswort? I maan i waaß ned. Frog mi ned! Auch schön, das hier kommt von meinem Vater: Na guad hat er gesagt und dann ist er gstorben (lacht.)

Dein türkisches Lieblings-Sprichwort? Meine Mutter hat immer gesagt: Ich habe für dich meine Haare aufgesaugt. Also sie hat sich so viel Mühe mit mir gegeben, von mir kommt nix, ihr fallen die Haare aus und nicht einmal das Zusammenkehren mache ich. Oder wenn sie mir droht sagt sie: Meine (Mutter)milch soll haram für dich sein. Mach’ das endlich und dann sage ich erst helal.

Welches Buch empfiehlst du uns? Fear Of A Kanak Planet - HipHop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap von Hannes Loh.

Eine Theaterempfehlung? „Ein Staatenloser“ im Kosmos Frauenraum, das war Killer!

Wie schmeckt Wien? Wenn eine Tasse Schwarztee auf euch wartet und ihr freut euch schon: Und dann ist der Cay schon kalt und bitter.

Welche Musik hörst du? Arabeske von Baba Mürsüm Günes, Kid Pex. Ich höre auch viel Deutschrap: Eno und Capital Bra. Oder NG Rap Machine.

Möchtest du auch mal wie Raf Camora mit dem Maserati durch Ottakring brummen? Wenn ich Geld habe, fahre ich einen großen Mercedes Benz, eh klar.

Wo isst du gerne? Im Liman, das ist supergut.

Deine Botschaft für Wien? Reiß’ dich z’samm!

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Nächster Termin:
28. Juni 2019: Release Party "Tschuschistan" am Yppenplatz

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Para Queen

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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