Ein wenig Leben

Hanya Yanagihara fotografiert von Sam Levi

Ein wenig Leben handelt von der lebenslangen Freundschaft zwischen vier Männern, die sich seit dem College kennen. Willem möchte Schauspieler werden, Malcolm ist Architekt und will aus dem Schatten seines erfolgreichen Vaters treten; JB ist Künstler und derjenige, der ihren Zusammenhalt immer wieder auf die Probe stellt. Jude St. Francis aber, brillant und enigmatisch, ist die charismatische Figur im Zentrum der Gruppe – ein aufopfernd liebender und zugleich innerlich zerbrochener Mensch. Irgendwann werden die Freunde, erfolgreiche New Yorker Hippster, in Judes dunkle, schmerzhafte Welt gezogen, deren Ungeheuer nach und nach hervortreten. Immer wieder erleidet er Schmerzanfälle, warum er hinkt, bleibt lange unklar. Seine Freunde fragen ihn nicht, warum er keine Eltern hat, lange bleibt im Verlauf unklar, warum Jude so sehr leidet.

Erst langsam entfaltet die bilderreiche Sprache Hanya Yanagiharas das vorangegangene Schicksal, das tiefe Wunden in Jude geschlagen hat. "Sein Gehirn erbrach Erinnerungen, sie überfluteten alles andere — er dachte an Menschen, Empfindungen und Ereignisse, an die er seit Jahren nicht gedacht hatte. Geschmäcker erschienen auf seiner Zunge wie durch Alchemie; er roch Dinge, die er seit Jahren nicht gerochen hatte. Sein System war gestört; er würde in seinen Erinnerungen ertrinken". 

Streckenweise erscheinen die Geschehnisse etwas verzögert, lange lässt sich die Autorin mit manchen Erkenntnissen Zeit. Aber das passt nur zu gut in das Konzept, die Sprachlosigkeit dieses jungen Mannes zu Schildern. Sein Schweigen, das ihn anfänglich zu schützen scheint, droht allmählich, ihn zu erdrücken. Auch wenn er immer wieder versucht, daraus auszubrechen, führt die Handlung wie ein Sog  in die Vergangenheit zurück.

Immer engere Kreise zieht der konzentrische Erzählstrang, immer schneller nähert er sich dem Ursprung. Obwohl Jude eine glänzende Anwalts- Karriere hinlegt, droht er in der Dunkelheit zu versinken.

Ein Buch, das einen förmlich verschlingt. Großartig und tränenreich.


Ein wenig Leben

Hanya Yanagihara
Hanser Berlin Verlag, 2017
960 Seiten
28,80 EUR

Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.

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