Beschämung hält Menschen klein

In Österreich, einem der reichsten Länder weltweit, sind 1.519.000 Menschen armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Was das in ganzer Konsequenz heißt, erfahren nur Menschen, deren Einkommen unter der Armutsschwelle liegt.

In Österreich gilt als arm, wer in einem Einpersonenhaushalt weniger als 1.371 Euro Nettoäquivalenzeinkommen zur Verfügung hat. (Quelle Armutskonferenz)

Besonders gefährdet sind Kinder, Frauen im Alter, Alleinerzieherinnen, Langzeitarbeitslose und Menschen ohne Staatsbürgerschaft.

Daniela Brodesser, gelernte Bürokauffrau, Aktivistin, Kolumnistin und Mutter von vier Kindern führte bis zur Geburt ihres jüngsten Kindes ein Leben in einer typischen Durchschnittsfamilie. Durch zwei schwere Krankheitsfälle geriet das Gleichgewicht in der Familie ins Wanken. Einhergehend mit den gesundheitlichen Problemen folgten immer öfter finanzielle Engpässe. Brodesser schildert in ihrer sehr persönlichen Geschichte vom Prozess des Gewahrwerdens, arm zu sein, über das anfängliche Verdrängen bis hin zur Scham, die sie deswegen im Alltag begleitete.

Soziale Scham ist eine Bedrohung, die schwer auf Körper und Geist liegt. Betroffene fürchten ihr Gesicht zu verlieren und sehen sich in ihrem Ansehen bedroht. Nicht nur Stromrechnungen oder eine notwendige Autoreparatur stellen armutsgefährdete Menschen vor große Probleme: Auch der „kleine Bastelbeitrag“, eine Schulsportwoche oder ein Beitrag zu einem Schulfest können im Alltag in einer kinderreichen Familie zu großen Anstrengungen und Verzweiflung führen. Brodesser schildert, wie es ist, sich nicht mehr mit den Freundinnen in der Sauna treffen zu können, weil  der Eintritt nicht mehr leistbar ist. Wie niederschmetternd es sich anfühlt, das liebste Hobby, die Fotografie, aufgeben zu müssen, weil der Verkauf der Kamera zur Begleichung einer Rechnung notwendig ist.  Sie beschreibt in großer Offenheit die Scham und den dadurch fortschreitenden Rückzug aus vielen Bereichen ihres sozialen Lebens. Sich die eigenen Armut einzugestehen, dürfte niemandem leicht fallen.

Doch dann entscheidet sich Daniela Brodesser eines Tages, an die Öffentlichkeit zu gehen. Das beginnt erst wenig offensiv mit einem Twitter-Account, den sie anfänglich anonym betreibt. Als ihr Menschen in ihrem Umfeld zureden, nicht mehr über die Beschämung zu schweigen, fügt sie ihrem Twitternamen „Frau Sonnenschein“ ihren Klarnamen hinzu. Es folgen unzählige Interviews in unterschiedlichen Medien. „Plötzlich wurde nachgefragt und zugehört. Das eröffnete viel neue Wege, die Reaktionen waren durchwegs positiv“, beschreibt sie die Zeit nach ihrem Bekanntwerden.

Heute hat Daniela Brodesser wieder ein regelmäßiges Einkommen, ihre  Familie hat es aus der Armut heraus geschafft. „Doch wir waren, obwohl dann über der Armutsgefährdungsschwelle, weit davon entfernt, uns plötzlich unerwartete Ausgaben leisten zu können. Aber Fixkosten, Lebensmittel und mal 7 Euro hier und 5 Euro dort für die Schule waren kein Grund mehr für schlaflose Nächte.“ Durchatmen kann sie bis heute nicht, weil sie weiß, wie schnell man in Armut geraten kann, sobald gewisse Umstände sich ändern. Doch beschreibt sie ihre heutige Situation als ein „ganz leichtes, leises Aufatmen“.

Armut in Österreich ist kein individuelles Versagen, auch wenn es immer noch gerne so geframed wird. Die schwarz-grüne Regierung hat sich die Halbierung der Armut ins Programm geschrieben. Jetzt muss sie nur noch mit der Armutsbekämpfung beginnen. Auch ihr sei dieses wichtige Buch empfohlen!


Armut
von Daniela Brodesser
Kremayr & Scheriau
20 Euro


Beitragsbild: © Christopher Glanzl

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