Bis zuletzt ein theures Fräulein

Wenn man die letzte Seite der Biografie über Betty Paoli zugeschlagen hat, erfasst einen ungläubiges Kopfschütteln.

Wie kann eine Frau, die für ihre Zeit sehr ungewöhnlich war, sich aber im Lauf ihres Lebens in die Dichtkunst, die Gesellschaft, die Zeitungen, die Korrespondenzen, die Kurorte und die Salons der österreichischen Gesellschaft wortwörtlich eingeschrieben hat, heute so unbekannt sein?

Karin S. Wozonig entreißt Betty Paoli, bis zuletzt ein „theures Fräulein“ des 19. Jahrhunderts, nun im Residenz Verlag dem Vergessen.

Barbara Elisabeth Glück, aka Betty Paoli, schrieb bereits in jungen Jahren Lyrik. Ganz im Stil des Biedermeier, nur eben (huch!) aus Sicht einer Frau. Dafür musste sie einiges einstecken, Mysogynie Galore, doch letztlich gelang ihr der Durchbruch. Für bürgerliche Frauen ihrer Zeit war vorgesehen, angeschmachtet zu werden, tüchtig handarbeiten zu lernen, zu heiraten, vielleicht Konversation zu betreiben. Jedenfalls Kinder zu hüten. Die dichtende Halbwaise, das Fräulein Glück, begannt mit sechzehn zum Broterwerb als Gouvernante, Erzieherin und Gesellschafterin zu arbeiten.

Die vielsprachige und vielseitige Frau fand Menschen, die ihre Kunst und ihren eigenwilligen Charakter (finanziell) unterstützten, aber nie einen Ehemann. Kein Wunder, dass sie sich für Frauenbildung und Frauenerwerbsarbeit einsetzte. Mit fünfundzwanzig ist Betty Paoli ein Superstar der deutschsprachigen Lyrik-Szene. Nach 1848 die erste Journalistin Österreichs. Sie war Gast in hochadeligen Häusern, Übersetzerin für das Burgtheater und bis ins hohe Alter in den Wiener Salons wegen ihres scharfen Verstands und trockenen Humors von den einen gefürchtet, von den anderen bewundert. Ihre Liebesbeziehungen waren turbulent, sie als treue Freundin zu haben jedenfalls förderlich für das eigene Talent.

Nebenbei erfährt man aus der Biografie viel über das Metternich Regime und seine Zensur, die kleine Revolution von 1848 sowie das Verlagswesen, Publikationsmoden und Erlösmodelle der Zeit: den kunstvoll gestalteten Almanach, den Gedichtband, die zeitgenössische Novelle, die Rezension in der Zeitung.
Betty Paoli war meinungsstark, Zigarrenraucherin, ein bisserl hypochondrisch und larmoyant.

Als Dichterin verfasste sie komponierte Lyrikbände ebenso wie anlassbezogene Verse. Ihr Stil veränderte sich mit dem Alter, nicht aber die Meisterschaft und das Talent. All das begann sie wohlgemerkt ohne formale Bildung und Geld. Als Journalistin, Erstleserin, Übersetzerin und Rezensentin förderte sie etwa Marie von Ebner-Eschenbach und Ferdinand von Saar. Sie war mit Franz Grillparzer und Adalbert Stifter bekannt, arbeitete für die Schwarzenbergs und schrieb für die „Neue Freie Presse“. Mit dem Burgtheater Ensemble war sie auf du und du.

Zu ihrer Zeit war sie weithin bekannt und bekam ein Ehrengrab am Zentralfriedhof. In den überdauernden Kanon wurde sie jedoch nicht aufgenommen. Auch die Straßen ihrer Heimatstadt sprechen eine klare Sprache: Der Saarplatz ist groß, hat eine Busstation und einen Park, der Paoliweg ist kurz und liegt hinter dem Spital in Speising. Zum Glück gibt es jetzt diese Biografie und ebenfalls bei Residenz ausgewählte Werke („Ich bin nicht von der Zeitlichkeit“)


Betty Paoli — Dichterin und Journalistin
Eine Biographie
von Karin S. Wozonig
512 Seiten
Residenz Verlag


Beitragsfoto: © Martina Lišková

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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