Allen recht getan,…

„Allen recht getan, ist eine Kunst die keiner kann.“ Das gilt für Geflüchtete und Vertriebene im europäischen Asyl-, Flüchtlings- und Integrationsregime ganz besonders. Denn sie sind mehrfach verstrickt in das „Fluchtparadox“, wie die Fluchtforscherin Judith Kohlenberger in ihrem neuen lesenswerten Buch überzeugend darlegt.

Auf 240 Seiten mit ausführlichem Fußnotenverzeichnis und Quellenangaben erklärt die WU-Forscherin, was sie im Kern grantig macht. Was uns alle grantig machen sollte und wie wir, auch wenn bis auf weiteres keine Lösung in Sicht ist,  Menschen, die ihre Heimat aus einer Zwangslage verlassen, begegnen können.

Was uns dabei helfen kann, ist ein Zitat von Maya Angelou, die über Grundrechte wie Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Fair Play gesagt hat: Sie sind wie Luft. Wir haben sie alle oder keiner hat sie.Die Krisen, ob durch Krieg, Klimakrise und andere Zwangslagen, folgen scheinbar immer schneller aufeinander. 2015 wurden von der engagierten Zivilgesellschaft eine Willkommenskultur und auch ein paar behördliche Mechanismen ausgerollt, die sich 2022 wieder aktivieren ließen. Im Kern geht es gegenüber Geflüchteten nicht um Almosen, Barmherzigkeit und Nächstenliebe, sondern um Rechte. Und nicht alle retten zu können bedeutet im Umkehrschluss nicht, niemanden zu retten.

Judith Kohlenberger war bereits 2015 als Wissenschafterin forschend aktiv und hat den vierten Lockdown diesem Buch gewidmet, das hochaktuell auch den Ausbruch des Kriegs in der Ukraine behandelt (und was da alles möglich war). Zudem bitte nicht vergessen: Menschen, die 2015 nach Österreich geflüchtet sind, waren 2020 bereits unter den Systemerhalter:innen, die nicht Zuhause blieben und sich vor Corona kaum schützen konnten.

Worin bestehen nun die verketteten Paradoxa? Es gibt Rechte (wie die Genfer Flüchtlingskonvention oder die Menschenrechtskonvention), aber sie gelten nicht für alle gleich und werden auch in Europa, das sich durch Abschottung, Abschreckung und Auslagerung vor unkontrolliertem Zuzug beschützen möchte, nicht überall eingehalten. Geflüchtete sind schutzbedürftig, aber da sie geflüchtet sind, zeigten sie ihre Handlungsmacht und Stärke. Sie haben Rechte, aber sie können sie kaum je selbst einfordern. Sie werden als arm und hilflos angesehen, können uns aber dennoch sehr ähnlich sein und Smartphones oder SUVs besitzen.

Sie sollen sich integrieren, doch wenn sie zuviel Erfolg haben, befürchten wir, sie könnten uns etwas wegnehmen. Wenn jemand Asyl beantragt, ist es zu gewähren. Aber leider kann Asyl erst beantragt werden, wenn man davor illegal eingereist ist. Alle Winkel und Verästelungen dieser Rechtfertigungskaskade legt Kohlenberger offen und belegt sie mit Fakten. Es ist beschämend, aber nach der Lektüre fühlt man sich im Diskurs besser gewappnet. Geflüchtete Menschen sind niemals anonyme Fluten oder Wellen, sondern Individuen, die Empathie verdienen.


Das Fluchtparadox
Über unseren widersprüchlichen Umgang mit Vertreibung und Vertriebenen
von Judith Kohlenberger
Kremayr & Scheriau
240 Seiten
24 Euro


Beitragsbild: © Elodie Grethen

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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