Berlin heute aus vier Perspektiven

Man kann das Büchlein in die Ecke gute Unterhaltung schieben. Denn das ist es wirklich. Unter Schmunzeln geht hier gar nichts, wenn die sauber gezeichneten Personas ihren Auftritt feiern

Aber es hat eben auch diese zweite Ebene, diese feine Gesellschaftskritik, die Wlada Kolosowa so großartig verpackt. Tim und Thea sind gerade in eine nicht so gentrifizierte Ecke von Berlin gezogen.

Er, Sohn einer Putzfrau, arbeitet Zuhause an einer Graphic Novel, kocht, wäscht und putzt – er ist „der Hausmann“ aus dem Titel.

Sie, Tochter aus gutem Dahlemer Haus, arbeitet im Bereich Social Media in einem Start-up für veganes Hundefutter, wo eine Freundin von ihr Personalchefin ist, aber keinesfalls so genannt werden möchte. Wie überhaupt nichts beim Namen genannt wird: Überstunden zum Beispiel, Schlafstörungen, Gentrifizierung, Flucht, Drogenmissbrauch, Altersarmut.

Vier Menschen erzählen diese Geschichte abwechselnd gemeinsam, alle in ihrer eigenen Weise. Thea chattet mit Anna, Tim schreibt über sein Leben, die Nachbarin (Jahrgang 1938) aus dem 1. Stock bloggt ihre Spartipps und der 19-jährige geflüchtete Ukrainer führt ein Buch, in dem er Deutsch übt. Und dann ist da noch die düstere Graphic Novel von Tim, die in einer klimagewendeten Zukunft spielt. Dank der bunten Covergestaltung im Buchhandel nicht zu übersehen. Eine Lieblingszeile: „Vielleicht war die wichtigere Frage ja nicht, ob man gut oder schlecht war. Sondern, ob man wenigstens manchmal versuchte, seine menschlichen Standardeinstellungen zu überwinden.“ Große Leseempfehlung!


Der Hausmann
von Wlada Kolosowa mit Illustrationen von Raúl Soria
Roman mit Graphic Novel
Leykam Verlag
316 Seiten
24,00 Euro


© Beitragsbild: Mario Heller

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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