Ode an die Stille

Der Schneeleopard ist ein Einzelgänger im zentralasiatischen Hochgebirge. Sein dickes graues Fell trotzt der Kälte und lässt ihn an schroffen Felswänden nahezu unsichtbar werden.

Gelegentlich reißt er ein Huftier und schlägt sich damit den Magen voll. Das macht ihn meist für mehrere Tage satt und er hat viel Zeit zum Schlafen, 20 Stunden am Tag oder mehr.

Erschwerte Bedingungen für einen Fotografen also, diese seltene Großkatze aufzuspüren und bestenfalls auch noch gut ins Bild zu rücken.

Der preisgekrönte Naturfotograf Vincent Munier ist dem Tier nicht das erste Mal auf der Spur, als er seinen Freund, den Abenteurer und Schriftsteller Sylvain Tesson, nach Tibet mitnimmt. Gemeinsam kämpfen sie sich auf 4000 Metern wochenlang mühselig durch klirrende Kälte und eine unwirkliche, unwirtliche Landschaft.

Fern vom Lärm der Zivilisation hinterfragt Tesson eine Welt, in der kaum noch Raum bleibt für das Ungebändigte und die Entfaltung der Schönheit der Natur. Der Blick in die Kargheit der Umgebung, die vielen Stunden des Wartens und Ausharrens, sein schweigsamer Begleiter, all das führt auch zu einer Sicht nach innen, lässt ihn über seine geheizte Wohnung in Paris oder über eine unmögliche Liebe nachdenken.

Das Bild, das er von seinem Freund, dem Fotografen Vincent Munier, zeichnet, wie er seine Arbeit beschreibt, ist von hoher Poesie: Muniers Arbeit erinnert ihn an die Jagd des Kapitän Ahab nach Moby Dick, mit dem Unterschied, dass der Held dieser Geschichte das Tier fotografieren will, anstatt es zu harpunieren.

Entstanden ist ein aufrüttelndes, vielfach preisgekröntes, kraftvolles Werk, dessen Sog man sich nicht entziehen kann: Eine meditative Reise in die weiße Stille des Himalaya, eine Lektüre gegen die Hektik unseres Alltags und die Zerstörung der Welt. Eine Empfehlung für heiße Sommernachmittage, an denen minus 35º C nur schlecht vorstellbar und vielleicht ein wenig kühlend wirken werden!


Der Schneeleopard
von Sylvain Tesson
Rohwolt 2021
192 Seiten
20 Euro

Beitragsbild:  © Francesca Mantovani, Editions Gallimard

Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.

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