Name: Veronika Persché, geboren 1976 in Klosterneuburg, lebt in Wien Währing und arbeitet in als Künstlerin und Expertin an der Strickmaschine in Wien Hernals.
Dass Veronika Persché 2007 ihr Gewerbe im 3. Stock eines Wohnhauses in Gürtelnähe anmeldete, erregte das Misstrauen des Finanzamtes. Und so schickte es postwendend einen Kontrolleur vorbei. Tatsächlich lief ihre Strickmaschine problemlos einige Jahre in der Wohnung.
Auch 760 Nadeln finden nämlich an einer vergleichsweise filigranen Werkbank mit Schlitten Platz. Jene Strickmaschinen, die in den 1940er-Jahren für die Zielgruppe Hausgebrauch und Heimarbeit konstruiert wurden, erzeugen eher hochfrequente Töne, die die Nachbarschaft nicht stören. 2012 eröffnete die Strickexpertin dennoch in den vormaligen Büroräumen der Firma AustroSchnee eine Werkstatt im Erdgeschoß.
Im Atelier stehen heute gleich vier Strickmaschinen. Aber auch eine Stickmaschine, eine Konfektionsmaschine und eine Nähmaschine. Ein Hinweis darauf, dass Veronika Persché von Maschen ebenso fasziniert ist, wie von Maschinen.
Ihre Arbeit hat mit alten Mutterln, Ofenbankerl, Katzen, zwei Nadeln und einem Wollknäuel nichts zu tun, auch wenn die Leidenschaft fürs Handarbeiten dort begann: „Meine Mutter ist eine verkappte Handarbeitslehrerin und hat uns Geschwistern erfolgreich die Liebe zum kreativen Ausdruck vermittelt“.
Veronika machte an der Kunstschule Herbststraße (HBLA) zunächst ihre Gesellinnenprüfung in Gold- und Perlstickerei. Das ist übrigens auch jene Sparte, die sich der maschinellen Durchführung bis heute verwehrt. Danach absolvierte sie das Kolleg für Textildesign an der HTBLVA Spengergasse. Vielleicht als eine der Letzten in Wien.
Die Kulturtechnik und die Konstruktion der Strickmaschinen reicht zurück bis ins 17. Jahrhundert. Wirkwaren sind uns schon immer nahe (am Körper). Tatsächlich gehören Socken zu den ältesten textilen Funden in Ägypten. Stricken ist eine textile Konstruktionstechnik, wie Weben und Sticken, bei der aufbauend auf einem Faden und durch dessen Verschlingung eine textile Fläche entsteht. Das Wort Trikot, das heute hauptsächlich im Sportbereich gebräuchlich ist, ist der französische Fachausdruck für Wirkwaren (von tricoter = stricken).
Veronika ärgert sich darüber, dass den technisch-gestalterischen Ausbildungen in Österreich inzwischen der Faden abgeschnitten wurde. Man kann Strickerei nur noch in Vorarlberg lernen. Sie selbst wollte nach dem Diplom gerne in einer Strickerei zu arbeiten angefangen. Angeboten wurden ihr aber nur Geschäftsnachfolgen wegen Pensionierung.
Österreich bezeichnet Veronika Persché daher inzwischen als textiles Entwicklungsland. Die Strickindustrie ist aus Europa abgewandert. Aber es gibt ein paar gallische Dörfer, die sich widersetzen. Die einen setzen auf effiziente Massenfertigung und machen keine Unikate. Sie wiederum macht Spezialanfertigungen und Serien. Ein Pullunder von ihr „spielt“ aktuell im Film "Wie ich lernte bei mir selbst Kind zu sein" mit. Einen Pullover trägt die Hauptdarstellerin Sieglinde Feldhofer im Jugendstück "Gold!" an der Grazer Oper.
Die Wienerin pocht darauf, dass das Handwerk lebt. Sie bereitet sich eigentlich darauf vor nahtlos einzusteigen, wenn sich die heutige Arbeitsweise, Logistik und Verschmutzung der Textilindustrie (der dritt-dreckigste Industriezweig weltweit) nicht mehr halten kann. Sie macht auch bei der Ausstellung Der Hände Werk in der Schallaburg mit. „Anziehen werden die Menschen immer etwas müssen. Das Schöne an einem handwerklichen Beruf ist, dass ich in einer echten Krise etwas herstellen könnte, was gebraucht wird. Ich bin jedenfalls da und kann lokal produzieren, statt in Fernost. Wenn ich es noch erlebe, dass die Industrie zurückkommt“.
Bis dahin positioniert sich Veronika (notgedrungen) in der Kulturtechnik- und Kunsthandwerks-Ecke. Als Dienstleisterin, die Aufträge auf Maß und Einzelstücke nach genauen Vorstellungen anderer umsetzt. Oder sie bekommt einen Entwurf und macht sich Gedanken dazu, wie das mit ihren Mitteln umzusetzen ist.
„Etwa Lampenschirme. Ich knoble gerne und ich freue mich über gewagte Ideen. Ich nehme gerne Herausforderungen in diesem Bereich an. Ich mag das Ausgefuchste an den Strickmaschinen und könnte stundenlang über die Technikgeschichte reden“, lacht sie und bremst sich gleich wieder ein. Natürlich wartet sie ihre Maschinen auch selbst.
Ein Design zu entwerfen bedeutet in der Fülle von Möglichkeiten die Reihen, Farben und Nadeln zu Mustern oder räumlichen Strukturen anzuordnen. Die Dirigentin des Stricknadelorchesters programmiert die genaue Umsetzung, kann jede Nadel einzeln ansteuern und vier Farben in einer Reihe unterbringen. Veronika unterrichtet jeden Sommer in Haslach im Mühlviertel und während die Webklassen wegen des komplexen Aufbaus eines Webstuhls erst am Mittwoch anfangen können, hat sie mit den Teilnehmenden und der transportablen Strickmaschine aus dem Koffer bereits am Montagabend erste Stücke umgesetzt.
Veronika nutzt ihre unzähligen Möglichkeiten auch für „Trikografie“, also das Umsetzen von Kunstwerken/Bildern in Textilien. Seit acht Jahren arbeitet sie etwa mit Mischa Reska und verwandelt Bilder in Schals. Im überschaubaren Wien fand sie nach einer Präsentation ihrer Meterware und durch einen Nebenjob als Garderoberin am Theater rasch in die damals noch kleine und versteckte Modeszene hinein.
Selbst wollte sie eigentlich nie Mode machen. „Das ist so in Wien. Du kannst Dir rasch ein Netzwerk aufbauen und über die Österreich Connection auch über die Landesgrenzen hinaus Kontakte knüpfen.“ Auch die Studierenden der Modeklasse an der Angewandten kommen zu ihr, wenn sie Strickteile umsetzen müssen: „Mir gefällt die Idee ihnen zu vermitteln, dass sie schon den Stoff selbst gestalten können, ihn als Potenzial für ihre Entwürfe nutzen können, und nicht nur auf Ware von Stoffballen angewiesen sind.“
Erwin Wurm war ebenfalls ihr Kunde. Vielleicht hat die Stadt sie auch ein wenig gehemmt, weil sie nicht im Ausland gelernt hat. Aber nach ein paar Monaten in Kanada hatte sie schrecklich Heimweh. Wien ist gut für ihre Arbeit.
Grün ist nicht nur ihre Lieblingsfarbe, sondern auch ihre Weltanschauung. In der globalisierten Textilindustrie ist das gar nicht so einfach. Auch weil nur wenige Garnfirmen kleine Mengen anbieten. 30 Kilogramm sind das Minimum, wobei ein Paar Jeans ein halbes Kilogramm hat. Daran werkt oder wirkt man also lange.
Aber Eco-Fashion hat sich inzwischen aus der Nische zu einer Sparte ausgewachsen. Veronika verarbeitet in ihrem Atelier Schurwolle aus kontrolliert biologischer Tierhaltung, aber auch Recyclinggarne und setzt bewusst auf Anbieter mit dem strengen GOTS Siegel, das neben Umweltaspekten auch Arbeitsstandards im Auge hat. Sie versucht möglichst wenig Ausschuss zu produzieren und was bei ihr übrig bleibt bringt sie in den Recyclingkosmos in der Nachbarschaft.
Veronika Persché sieht sich mit vielen Klischees über das Stricken konfrontiert und manchmal reagiert sie darauf auch. Für sich selbst strickt sie nur zur Probe. So entstand auch ihr Pullover „Der Platz der Frau ist im Widerstand“, der reversibel und dreifarbig ist . Den Hintergrund ziert das schöne Motiv von zwei Eierstöcken samt Uterus, wobei der eine Eierstock den Stinkefinger zeigt. Eigentlich mag sie keine Klamotten mit Logos und Sprüchen darauf, aber in diesem kalten Frühjahr konnte sie ihn lange tragen.
Auch auf den Donnerstagsdemos. Und wenn dann jemand vor ihr steht und liest, ist man gleich im Gespräch. Handarbeit wurde in den vergangenen Jahren immer mehr auch feministisch verstanden. Etwa der Schal von Sue Montgomery, der zweifarbig die Redezeit von Frauen und Männern abbildet. Oder das Stricken von Transparenten und Hauben bei den „Omas gegen rechts“. Einige Ikonen hat Veronika schon auf der Strickmaschine verewigt wie Ute Bock und Rosie the Riveter, wobei letztere von dem Baum, an dem sie anlässlich der Demo zu 100 Jahre Frauenbewegung 2011 befestigt war, verschwunden ist.
Veronika ist eine Botschafterin ihres Gewerbes und eine echte Strickexpertin. Deswegen wird sie wohl auch dem Victoria & Albert Museum schreiben müssen, das in einem aktuellen Artikel über Textilien mit einem Büstenhalter wirbt, der nicht gestrickt, sondern eindeutig in Bändchenspitze mit einem geklöppelten Band gearbeitet ist. Man kann Veronika Persché eben keine rechten Maschen für linke Maschen vormachen...
Wenn es nur so wenige Strickereien gibt, gibt es dann auch Kooperationen? Ich bin generell jemand, der die Menschen weiterempfiehlt oder an Kollegen und Kolleginnen verweist. Aber von einem echten Netzwerk kann man hier nicht sprechen.
Wo kann man deine Trikografien aktuell sehen? In Berlin, in der Ausstellung Behind the Screen im Kindl! Ich habe mit Tristan Schulze drei Wandbehänge gemacht.
Was gibt es nur in Wien? Diese altvatrischen Firmen und Geschäfte mitsamt deren InhaberInnen, deren Aufmerksamkeit man sich erst „verdienen’“ muss. Zum Beispiel die Traditionsfirma M. Maurer Posamenten im Seidengrund.
Was ist dein Wiener Lieblingswort? Ich liebe Sprache, da mag ich mich nicht festlegen. Ich finde den Oida Hype übertrieben. Und mein Freund aus Oberösterreich hat ein Wiener Hasswort, nämlich motschkern. Ich hingegen mag das Wort. Noch lieber mag ich einweimberln. Und während dem Arbeiten sind mir noch Flankerl und Waugerl eingefallen, die umgeben mich ständig.
Hast du Lieblingsorte in Wien? Ich mag das Weinhaus Sittl und die Romawiese an der Alten Donau. Das sind Orte in Wien, an denen man so sein kann, wie man ist. Ganz normal.
Deine Wiener Lieblingsspeise? Millirahmstrudel.
Wonach riecht Wien? Es kommt darauf an. Hier im 17. Bezirk riecht es entweder nach Manner oder bei Tiefdruck im Erdgeschoß auch mal nach Diesel von der Straße. Im Alten AKH riecht es manchmal penetrant nach Lindenblüten.
Wo kaufst du Handwerksbedarf ein? Bei Textil Müller in Kritzendorf mit einem zwiespältigen Gefühl. Mein Garnhändler ist in Bad Fischau.
Was willst du Wien ausrichten? „zTod gfurchten is a gsturbn!“
TIPP:
Der Hände Werk bis 3. November 2019 Schallaburg
Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.