Name: Kurdwin Ayub, geboren 1990 in Dohuk (Irak), flüchtete 1991 mit ihren Eltern nach Österreich, lebt im dritten Bezirk und ist eine kurdisch-österreichische Regisseurin und Drehbuchautorin.
Vermutlich wird Kurdwin Ayub bis auf weiteres keine Feelgood-Movies drehen. Warum sollte sie auch? „Dafür gibt es Netflix!“ Ihre Perspektive auf die Welt ist die einer migrantischen Frau. Und sie ist nicht allein mit der Idee, dass heute vielleicht de jure, aber sicher nicht de facto allen (jungen) Frauen das Gleiche erlaubt und gegeben ist. Dass die Welt sich für Frauen gleich anfühlt: nicht untereinander und nicht im Vergleich zu (jungen) Männern. Davon handelt der erste Spielfilm der kurdisch-österreichischen Regisseurin und Drehbuchautorin. „Sonne“ wurde bei der Berlinale ausgezeichnet und kam vor zwei Jahren ins Kino.
Auch ihr neuer Film „Mond“ (ausgezeichnet in Locarno), der bei der Viennale gezeigt wird, findet sich in dieser Grundstimmung ein. In der Kunst-Bubble und in studentischen Milieus sieht Kurdwin Ayub vieles schon gleichberechtigt. Da ist es fast nervig, über Feminismus zu reden. Aber seit sie den Fuß, „oder eher nur einen Zeh" im Establishment hat, bemerkt sie: Dort ist das noch nicht angekommen.
In ihren Filmen gibt es nicht nur den "bösen Mann", weil der leidet auch. Und die Frau zieht sich manchmal in die etablierte Rolle zurück: „Ich will das nicht beurteilen, sondern zeigen. Wenn man es versteht, kann man es an sich ändern. Ich bin auch noch in diesem Prozess. Ich rebelliere gegen das brave Mädchen, dass ich glaube sein zu müssen.“
Gleich in der ersten Szene von Mond geht es ziemlich zur Sache, denn Mixed Martial Arts sind kein Kindergeburtstag. Die Kampfsportlerin Sarah (Florentina Holzinger) unterliegt. Weil es ohne Siege kein Preisgeld gibt, muss sie sich letztlich um andere Einnahmequellen umsehen. Sie verlässt Österreich, um drei Schwestern aus einer reichen Familie im Nahen Osten zu trainieren. Was sich nach Traumjob anhört, nimmt beunruhigende Züge an. Aus welchem Grund wurde Sarah engagiert?
Der Film ist ein Wechselbad der Gefühle, das nachhallt. Und das war die volle Absicht der Regisseurin. Szene für Szene prallen Gegensätze und Widersprüche aufeinander. Luxus und Elend, schöne Fassade und dunkle Geheimnisse, Zärtlichkeit und Gewalt, Sehnsucht und Ablehnung, Beziehung und Isolation. „Wie arg das, was ich vorhatte, funktioniert, habe ich mir im Schnittprozess, unter dem Erfolgsdruck meines zweiten Films und in dem ganzen langen Prozess schon nicht mehr vorstellen können“, erklärt Kurdwin. MadameWien sagt nur „mission accomplished“.
Zu dem Film inspiriert hat sie eine BBC Doku über Prinzessin Latifa, die 2018 versuchte, mit ihrer finnischen Capoeira-Trainerin aus dem Herrscherhaus in Dubai zu fliehen. Doch sie wurde abgefangen und aus dem Oman entführt – keiner weiß, was mit ihr geschehen ist. Die Europäerin dagegen kam unbehelligt davon: „Ich wollte eine Geschichte machen, die genau das erzählt. Wo das Publikum spürt: So etwas kann auf der Welt passieren und irgendwie ist es allen egal.“
Kurdwin Ayub kennt die Erwartung, dass ein westlicher Mensch ihr helfen wird. Umgekehrt besagt das „White Saviour Narrativ“, dass der westliche Mensch ein Held sein kann, der den Unterdrückten hilft. Da kann die Realität gewaltig dazwischenfunken. Auch Kurdwin hat sich letztlich selbst gerettet: „Es ist schön, solidarisch zu sein, andererseits sind wir alle so hilflos, in dem was wir tun. Dieser Fake-Moralität sollten sich die Leute bewusst sein.“ Film ist ein gutes Medium, weil er eine multisinnliche Erfahrung bietet: „Ich weiß halt, dass der Arthouse Film ein eher bürgerlich-linkes Publikum hat und an das denke ich, wenn ich schreibe. Es soll seine Erfahrungen machen und Privilegien reflektieren. Aber ich zeige den Film auch im arabischen Raum, das halbe Team kam von dort. Da wird er ganz anders gesehen, wenn er patriarchale Strukturen in den mächtigen Familien zeigt.“
Mit der Hauptdarstellerin von Mond, Florentine Holzinger, ist sie befreundet. Die beiden kennen sich schon lange und die Arbeiten der jeweils anderen: „Ich hatte sie gleich im Kopf, möchte aber betonen, dass sie natürlich nicht wie Sarah ist. Ihre Stücke gehen unter die Haut, wie meine. Das ist unser gemeinsamer Nenner, wir sind provokant und gehen in kontroversielle Themen rein. Das ist wichtig, wie ich finde, denn Film und Kunst werden immer braver und die Leute immer sensibler. Gleichzeitig sind die Nachrichten täglich voll von argen Sachen.“
Nach der für ihre Eltern traumatischen Flucht aus dem Irak – sie selbst erinnert sich nicht daran – waren diese die ganze Zeit beschäftigt. Sie haben das Medizinstudium wiederholt, unter ihrer Qualifikation in der Pflege gearbeitet, wie das oft passiert. Kurdwin ist deshalb vor dem Fernseher aufgewachsen, hat sich in das Medium Film verliebt. Sie hat in Simmering ihre eigene Vorstellungswelt gepflegt, in der sie eine Superheldin war. Mit Freundinnen im Gymnasium Musikvideos aufgenommen, Geschichten geschrieben und gezeichnet und sich eine Kamera gewünscht. „Ich wollte immer schon Filme machen. Mit elf schrieb ich ein Drehbuch und habe meine Freundin gebeten es auf Englisch zu übersetzen, damit ich es nach Hollywood schicken kann. Als Kind hat man noch keine Selbstzweifel, das kam erst später.“
Den Weg zum Traumberuf verfolgte sie zunächst unsicher und über Umwege. Sie studierte bei bei Christian Ludwig Attersee an der Universität für angewandte Kunst Malerei, Animationsfilm bei Judith Eisler, später an der Akademie der bildenden Künste Performance bei Carola Dertnig. „Zeichnen war eine Fähigkeit, die ich als außergewöhnlich an mir eingestuft habe und so bin ich über den Animationsfilm, Comics und Knetmasse schlußendlich zum Film gekommen“. Sie drehte Kurzfilme und eine Dokumentation.
Film ist der Inbegriff von Teamarbeit, aber durch ihren ungewöhnlichen Weg hat die Regisseurin und Drehbuchautorin zunächst viele Dinge selber gemacht und gelernt: Vor der Kamera spielen, drehen, schneiden. Zu der One-Woman-Show kamen mit den Auftritten und Auszeichnungen auf Festivals immer mehr Menschen, die nun immer wieder fix in ihrem Team sind: „Meine Sets sind wenig hierarchisch und eher intim. Die Leute vertrauen meiner Vision und übertragen mir die Verantwortung.“ Dass ihr eigenen Eltern in Sonne die Eltern spielen, sei in dem Zusammenhang kurz erwähnt. Das Umfeld und die Filmförderung in Österreich bezeichnet sie – im Vergleich zu anderen Ländern – als sehr gut. Als Obfrau im Regieverband kennt sie die Kritikpunkte und Baustellen, die aber eher im Detail stecken – „alle beneiden uns um das, was wir haben“. „Sonne“ wurde 2020 gedreht und unter den seltsamen Bedingungen der Coronazeit konnte der Film nicht rasch fertiggestellt werden – kam also erst 2022 ins Kino. Sie konnte also bereits mit dem nächsten Projekt beginnen und kaum zwei Jahre später folgt nun "Mond". Sie glaubt aber nicht, dass sie mit dem nächsten Film dieses Tempo halten kann.
Wie wichtig ist Wien, für das was sie tut? „Ich könnte, was ich tue, nicht überall machen. Ich werde aber hier und im Irak als anders gesehen, bin ein Alien überall. Der Gemeindebau in Simmering, wo ich aufgewachsen bin, ist meine Heimat. Aber ich glaube nicht an Nationen und patriotisches Gehabe ist mir überall zuwider.“
Was schätzt du an Wien? Den dunklen Humor. Dass es so hübsch ist, aber trotzdem so gothic, dass es eine schwierige Vergangenheit hat, eine Last, die man in den Menschen auch spürt. Ich bin schwierig aufgewachsen und es zieht mich daher in die traurigen Ecken. Wien hat eine gewisse Trauer, die dann als Humor herauskommt. Mein Problem mit Wien ist, dass es so klein ist. Man trifft Menschen, denen man gar nicht begegnen möchte, immer wieder.
Du sagst über "Mond": Es geht um Schwestern, egal woher sie kommen, und um Käfige, egal wo sie stehen. Käfige, die man verlassen möchte und solche, in die man sich zurück wünscht. Das verhandelt der Film. Was ist dein Käfig? Mein Käfig ist eher der Käfig des Kapitalismus und des Wettbewerbs, weil das Grundbausteine für Probleme wie Rassismus und Sexismus sind. Ich will immer besser und gut genug sein, das sind meine Selbstzweifel. Das ist schwierig in einer Branche, die so subjektiv ist. Meine Filme haben sehr stark mit mir zu tun. Meine Angst ist, damit zu scheitern und so auch selbst zu scheitern. Männer, die Filme machen, stehen unter Genieverdacht. Frauen müssen sich immer beweisen. Und dann treiben mich natürlich auch Lebensthemen wie Partnerwahl und Elternschaft um, oder wie Frauen auf Instagram sich darstellen.
Der erste Film „Sonne“, wie die Sonne auf der kurdischen Flagge. Der zweite „Mond“ wie der Halbmond. Kommen jetzt die Sterne? Worum geht es im nächsten Projekt? Es geht um eine amerikanische Journalistin, die 2014 in Mossul ist, als der islamische Staat angreift und die Stadt einnimmt. Wir sehen ihren Fluchtversuch. Ich war da 2014 dabei. Es hat also auch wieder mit mir zu tun.
Deine Wiener Lieblingswort?
Wallah!
Dein Wiener Lieblingsort?
Margareten
Was ist leiwand an Wien, was gibt es nur hier?
Gemeindebauten
Wie riecht Wien?
Es gibt Tage im Jahr, wo Wien nach Kanalisation riecht. Das ist sehr sonderbar.
Was ist dein Lieblingsfilm?
Terminator 2
Was liest du aktuell?
„The Bell Jar“ von Sylvia Plath.
Welchen Film hast du zuletzt gesehen?
The Substance
Dein allerliebster Lieblingssong
Jolene von Dolly Parton.
Dein Lieblingslokal?
Voll schwer, weil es echt viele gut Lokale gibt. Vielleicht das Gasthaus Woracziczky.
Was isst du am liebsten in Wien?
Faschierte Laibchen mit Erdäpfelpüree.
Was möchtest du Wien ausrichten?
Nicht so grantig sein!
MOON
Drehbuch Kurdwin Ayub
Regie Kurdwin Ayub
Mit: Florentina Holzinger (Sarah), Andria Tayeh (Nour), Celina Antwan (Fatima)
Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.
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Astrid Kuffnerhttps://www.madamewien.at/author/astrid/
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Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.
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Nini Tschavollhttps://www.madamewien.at/author/nini/
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