Zwischen letztem Gruß und Forschungsinput

Der Geophysiker und Polarforscher Georg Neumayer startete Mitte des 19. Jahrhunderts eine Art globales Citizen Science Projekt.

Er stattete Kapitäne mit Vordrucken aus und bat sie, diese an selbst definierten Punkten als Flaschenpost über Bord zu werfen.

Wer die Flaschenpost fand, sollte Datum und Koordinaten des Fundorts ergänzen und das Formular an Neumayer zurückschicken.

Der Sinn der Sache: aus der Differenz von A und B sowie der vergangenen Zeit sollten Meeresströmungen und ihr Geschwindigkeit ergründet werden.

Vier Alben beherbergen heute die 600 retournierten Vordrucke aus dem Bestand der Deutschen Seewarte. Wolfgang Struck greift ein paar heraus und erzählt die maritime Wissenschafts- und Kulturgeschichte des Unterfangens. Etwa die Zwillinge, die am gleichen Punkt über Bord gingen, und an entgegengesetzten Enden ankamen. Tatsächlich setzt die Flaschenpost voraus, dass es eine reguläre Post gibt, denn wie sollten die Papiere sonst nach Deutschland gelangen?

Auch entbehrliche Glasflaschen und ein dichter Verschluss sind unabdingbar. Und wer die Flasche fand, sollte sich im Idealfall so präzise verorten können, wie die Absender. Manche Formulare gingen durch mehrere Hände, bis sie jemand verschicken konnte. Etliche Flaschenposten wurden nie gefunden. Mit der Zeit wurde das System verbessert (z.B. durch mehrsprachige Vordrucke).

Nebenbei gewinnt die Leserin eine Ahnung von der Bedeutung des Hamburger Hafens, denn Schiffsname, Kapitän und Destination sind Teil der Angaben. Man erfährt mehr über die Finder und Finderinnen der Botschaften, wobei deren Möglichkeit zur Geschwätzigkeit im Verlauf des groß angelegten Experiments immer mehr eingeschränkt wurden. Standardisierung ist eben der Feind der Individualität. Und Zahlen stehen hier über der Vagheit und Vieldeutigkeit von Wörtern. Mit Janoschs Kinderbüchern, Gedichten und „The Police“ wurde die Flaschenpost Populärkultur. Und mit diesem Buch wird sie umfassend als wissenschaftliche Ressource gewürdigt.


Flaschenpost. Ferne Botschaften, frühe Vermessungen und ein legendäres Experiment
von Wolfgang Struck
mare Verlag
224 Seiten
37,10 Euro


Beitragsbild: © Dirk Fellenberg

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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