Wien abseits der Trampelpfade

Schon im Frühjahr 2019 hat Georg Renöckl DEN Reiseführer für den Corona-Sommer 2020 geschrieben. Einen unverzichtbaren Begleiter für den diesjährigen Heimaturlaub in Wien. Für alle, die in der eigenen Stadt Urlaub machen wollen oder müssen und noch Inspiration suchen. Für alle, die mehr von Wien kennenlernen wollen als Schloss Schönbrunn, Hofburg und Riesenrad.

Für alle, die meinen, eh schon viel über Wien zu wissen und manche Ecken dennoch nie besucht haben.

Lohnend wäre schon das Covermotiv, der „Limoniberg/Lemoniberg“ mit der Kirche am Steinhof von Otto Wagner. Klassische Sehenswürdigkeiten kommen auch ohne den Ansturm von Touristen dieses Jahr besonders gut zur Geltung. Für diese sollte an einem langen Sommertag genug Zeit sein.

Gekonnt passiert der Autor bei seinen Spaziergängen Gemeinplätze und Trampelpfade. Er umgeht sie im Wortsinn und dringt zum weniger Bekannten, aber Bemerkenswerten vor: etwa zum namensgebenden schönen Brunnen bei Schönbrunn.

Dass er auch über die Johnstraße, von der man das Schloss bereits sehen kann, etwas zu erzählen hat und über die Schmelz mehr weiß, als dass dort USI –Kurse stattfinden, verschafft dem Werk Alleinstellung.

Wenn Georg Renöckl von Sissi zu Franzl geht, führt die Strecke vom Westbahnhof (vormals Kaiserin Elisabeth Bahnhof) zum Franz-Josefs Bahnhof. Dabei hat er die Augen weit offen, einige Jahre journalistische Erfahrung zum Thema Stadtleben im Gepäck, literarisches und popkulturelles Wissen und/oder wird begleitet von interessanten GesprächspartnerInnen (etwa auch von demMadameWien geschätzten Eugene Quinn oder von Jutta Kalchbrenner).

Das Taschenbuch aus dem Braumüller Verlag ist handlich und dennoch dicht (420g). Natürlich wird die Stadtflaneurin und der Wienbummler nicht alles selbst erleben, was dem Autor begegnet ist. Die kuratierten Touren bieten jedoch eine gute Mischung aus geschichtlichen, kulinarischen, architektonischen, kulturellen und abseitigen Informationen. Sie kompensieren ein wenig, dass der Verlag im Innenteil auf den Abdruck von Farbfotos verzichtet hat.

Gekoppelt mit eigenen Gedanken und Beobachtungen las sich die Mischung für MadameWien sehr flüssig. Am Ende jeder der dreizehn Strecken, für die man besser nach old school einen Stadtplan einstecken sollte, gibt es Hinweise auf „Orte zum Verweilen“ und „Orte zum Vertiefen“. (Öffnungszeiten checken, Führungen buchen?)

Georg Renöckl isst gerne, kocht gerne und ist ein Fan von Märkten, also nimmt er unterwegs auch ein paar Rezepte mit (ein kulinarischer Rundgang über Wiener Märkte ist ebenfalls bei Braumüller erschienen). Eine Kilometeranzahl steht nicht dabei, aber die Schritte-Statistik wird verlässlich hochgejazzt. In Wien kann man ja glücklicherweise fast an jedem Eck die müden Füße in Bahn oder Bus ablegen und die Route abkürzen.

Der versierte Autor bringt mit, was es braucht, um die Wiener Stadt richtig zu schätzen und einzuschätzen. Er kommt aus der „Provinz“, kam zum Studieren in die größte Stadt Österreichs, aber auch nach Frankreich und Mexiko. Er bewegt sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad in der richtigen Geschwindigkeit, lebte einige Jahre in Paris und Straßburg (hat also einen Vergleich) und er hat Kinder, mit denen man bekanntlich jeden Ort neu entdecken kann.

Und so ist für jeden etwas dabei: Landwirtschaft, Cafe Westend, RH5H, Bassenatratsch in Meidling, Karl Marx Hof, Venedig in Wien, und die Wien-Istanbul-Connection. Gleich die erste Tour führt durch Wiens Durchhäuser. Wer diese Abkürzungen einmal kennt, wird sein Insiderwissen weiter nutzen, wenn die Touristinnen und Touristen nach Wien zurückkehren.


Wien. Abseits der Pfade
von Georg Renöckl

Braumüller Verlag 2019
392 Seiten
20 Euro

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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