Unter Druck in der Deckung

Es gibt Fragen, die einen nicht loslassen. „How did Meyer survive? It’s absolutely miraculous?“. Diese Frage stellte Wissenschaftshistoriker Roger H. Stuewer dem Autor des Buches, Wolfgang L. Reiter.

„Wer war Meyer?“, werden manche fragen. Sein Name wird jedenfalls in einem Atemzug mit Namen wie der Familie Curie, Otto Hahn und Lise Meitner genannt.

Stefan Meyer, ein assimilierter Jude, leitete bis 1938 das Wiener Institut für Radiumforschung. Doch zählten in dem entmenschlichten Unrechtsregime auch pionierhafte wissenschaftliche Leistungen in der Radioaktivitätsforschung nichts, wenn die Abstammung nicht passte.

Meyer ließ sich jedenfalls 1938 freiwillig und frühzeitig pensionieren, bevor man ihn rausschmeißen konnte. Auch füllte er alle notwendigen Formulare aus, gab alle Besitztümer an, zahlte alle eigens für Juden und Jüdinnen erfundenen Abgaben. Wie konnten er, seine Schwiegermutter, Frau und Kinder in Österreich dennoch überleben? Glück? Sicher. Beziehungen? Konnten helfen, aber eine Emigration gelang nicht, obwohl sich Familie, Freunde sowie Fachkolleginnen und -kollegen dafür einsetzten. Die Bürokratie beschäftigt halten? Auch. Leugnen? Einen Versuch wert. Wolfgang L. Reiter, Honorarprofessor für Wissenschaftsgeschichte, ist selbst aus Bad Ischl.

Hier blieben die Meyers in ihrer Villa am Leben. Hungernd, frierend – wie so viele – und mit der konstanten Sorge, in die Vernichtung geschickt und umgebracht zu werden. Reiter macht sich auf Spurensuche und erzählt eine erstaunliche Geschichte. Warum der Autor sich über den ausdrücklichen Wunsch von Meyers Tochter Agathe Koss-Rosenqvist hinwegsetzt, die sich nie wieder mit dieser erschöpfenden Zeit befassen wollte, nicht mehr auf einen Jewish descent angeredet werden wollte, ist wohl nur mit Neugier zu begründen. Mit einer Frage, die wie ein Stachel im Fleisch steckt.


How Did Meyer Survive?
Wie der Physiker Stefan Meyer die NS-Diktatur überlebte
von Wolfgang L. Reiter
Czernin
199 Seiten
25 Euro

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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