Renate Welsh, gefeierte Autorin für Kinder und Erwachsene, wird im Czernin Verlag mit der Neuauflage ihres Klassikers „Johanna“ (erstmals erschienen 1979 im Jugend & Volk Verlag Wien) und der Fortsetzung „Die alte Johanna“ gewürdigt.
Die kanadische Autorin Margaret Atwood musste für ihre Dystopie gar nicht so weit über Österreich um die Jahrhundertwende hinausdenken. Mägde wurden oft wie eine Mischung aus Leibeigenen und Freiwild behandelt: Keine Bildung, keine Rechte, von der Hand in den Mund, schlechte oder gar keine Bezahlung, hart schuftend, völlig abhängig und dabei Gewalt, oft auch sexuellen Übergriffen, ausgesetzt. Sie konnten praktisch nie heiraten, weil dieser Stand weder den Besitz, noch das Kapital zur Haushaltsgründung aufbringen konnten.
Eine Schwangerschaft, ob aus Liebe oder durch einen Übergriff, löste fatale Kettenreaktionen aus: Engelmacherin, Kindesweglegung, Suizid oder Entlassung und Elend - auch für das Kind. Ledige Kinder waren mangels Verhütung unvermeidlich, aber nicht vorgesehen. Sie waren jedenfalls nicht das Problem des jeweiligen Erzeugers und die Barmherzigkeit im katholischen Österreich endete hier ganz rasch.
Unsere Protagonistin Johanna, nach einem realen Vorbild, ist beides: ein lediges Kind und eine Magd, wie ihre Vorfahrinnen. Sie lebt in den 1930er-Jahren in der Gegend von Gloggnitz. In der Hoffnung, das Schneiderhandwerk zu lernen, verlässt sie ihre Pflegefamilie im Burgenland, nur um mit knapp 14 in der nächsten Familie bis zur Volljährigkeit weiter schuften zu müssen. Denn es „wäre ja noch schöner, wenn ledige Kinder schon was wollen dürften“. Dieser Satz ihres Herren, des Landwirts Lahnhofer, bleibt kleben und beeinflusst Johanna ihr ganzes Leben.
Sie ist eine „Heimliche“, die sich niemandem wirklich anvertrauen kann und zu niemandem wirklich gehört. Johanna hält durch, sie ist hilfsbereit, sie kämpft für sich und andere, sie sucht sich einen neuen Job und ... wird schwanger. Aber es sieht so aus, als könnte sie bescheidenes Glück finden. Genau hier endet Band eins und es ist sehr tröstlich, dass man dieses Frauenschicksal im zweiten Band vom Ende eines langen Lebens zurück verfolgen darf.
Wie ging es mit dem ersten Kind im Bauch weiter? Renate Welsh arbeitet auch hier nicht chronologisch, sondern anekdotisch. Wie erzieht Johanna, die nie eine Herkunftsfamilie hatte, ihre eigenen Kinder? Welche Werte lebt sie vor und gibt sie weiter? Wie geht es mit Peter weiter, wie verwindet sie Schicksalsschläge und welche Entwicklungen der Jetztzeit kann sie nicht nachvollziehen?
Johanna wohnt jetzt bei ihrer ältesten Tochter und muss lernen, andere machen zu lassen, sich helfen zu lassen, zu nehmen, statt zu geben. Spannend bis zuletzt. Renate Welsh, Jahrgang 1937, kommt mit Worten Menschen ganz nahe. Noch ein Plus gibt es für die ansprechende Cover-Gestaltung.
Johanna
von Renate Welsh
Czernin Verlag 2012
288 Seiten
23 Euro
Die alte Johanna
von Renate Welsh
Czernin Verlag 2021
120 Seiten
20 Euro
Beitragsbild: © Christopher Mavric
Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.