Lustvoll scheitern zur Selbstfürsorge

Michaela Obertscheider fotografiert von Nini Tschavoll

Name: Michaela Obertscheider, geboren 1969 in Tirol, lebt seit 1993 in Wien, die meiste Zeit davon im 7. Bezirk. Die Autorin, Regisseurin, Schauspielerin und Trainerin leitet seit 2004 das Ensemble Imp:Art. Sie schreibt, spielt, singt, gestaltet und veranstaltet Resilienz-Trainings und Schreibsalons.


Man sollte meinen, dass sich Michaela Obertscheider nach vielen Jahren in der freien Theaterszene mit wiederkehrender Aufführung der Szenen Prekariat, Casting und Kurzzeit-Engagements zwangsweise mit Themen wie Resilienz, Lebenskunst und Selbstfürsorge befassen musste. Aber das ist nicht der Fall: „Mein Unglück bestand nie darin, dass ich etwas nicht gekriegt habe. Ich war an Weihestätten des Theaters engagiert und nur frustig, wenn mir dort die Menschlichkeit gefehlt hat“, betont die Autorin, Regisseurin und Schauspielerin eingangs.

Das Leistungsdenken in der Gesellschaft fasziniert sie einfach. Ebenso jene Trägheit, aus der Kreativität entsteht. In dieses Spannungsfeld stößt sie mit künstlerischen Interventionen vor und bietet regelmäßig Trainings zu Resilienz und Selbstfürsorge an. Von der Bühne aus hat sie sich so die moderne Arbeitswelt erschlossen, in der Menschen psychisch stabil bleiben und in die eigene Mitte zurückkehren wollen. Modern heißt das wohl „Burn-out / Bore-out Prävention“. In ihren Seminaren redet Michaela davon, wie lustvoll es sein kann, einen Flop zu produzieren.

Egal was Michaela Obertscheider tut: Sie folgt ihrer Berufung, schöpft aus einer sprudelnden kreativen Quelle und bringt mit produktiver Prokrastination viel voran. „Heute bin ich am wenigsten eine Schauspielerin“, lacht sie. Aufgefallen ist sie MadameWien durch ihre Theaterstücke für Kinder: Sie adaptiert, inszeniert und spielt aktuell – und stetig ausverkauft – "Robin Hood", "Pippi Langstrumpf", "Krähe und Bär" oder "Des Kaisers neue Kleider" in Wien.

In den vergangenen eineinhalb Jahren hat sie viel selbst geschrieben, die Stücke inszeniert und dann mit ihrem 2004 gegründeten Imp:Art Ensemble aufgeführt. Sie schreibt aber auch „lauter leise Lieder“ mit Ukulele, illustriert ihre Stücke, gestaltet Collagen und will so letztlich ihre Lieblings-Themen zu Kinderbüchern und Sachbüchern verarbeiten.

Wir beginnen aber dennoch mit der Lust auf Theater. Einen theatralen Prozess findet Michaela „interessant und sinnlich, wenn auch Kinder dabei sein dürfen. Wenn die dabeibleiben und sich wohlfühlen, dann ist die Achtsamkeit, die Haltung und die Kultur in Ordnung“. Wie mit Kindern umgegangen wird, liegt der gebürtigen Tirolerin am Herzen: „Da habe ich für die Gesellschaft etwas beizutragen. Dieses Publikum bedeutet mir etwas. Ich will nicht nur, dass Kinder lachen. Das geht leicht. Ich will auch bei ihren Lehrenden, Eltern, Bezugspersonen etwas erreichen. Die Fürsorgerin in mir treibt hier die Künstlerin an.“

Am Anfang stand bei ihr „die Lust und auch Aufgabe in der Familie, mich um kleine Kinder zu kümmern. Ich hatte die Rolle der Mary Poppins und das hat mich geprägt.“ Kreativ sein, in Phantasiewelten gehen, Rollen gestalten und Kinder gut beschäftigen – diese Fähigkeiten pflegt sie bis heute.

Im Gymnasium in Innsbruck besuchte sie die Übung „darstellendes Spiel“ und probierte sich breit aus: vom Redewettbewerb bis zur Playback Show. Sie nutzte jede Gelegenheit im ländlichen Umfeld, um aufzufallen und zu wachsen. Noch vor der Matura schrieb sie sich in der alternativen Keller Theater Schauspielschule ein: "Dort war ich gut aufgehoben unter ambitionierten Menschen, die regelmäßig kleine Produktionen mit allem drum und dran aufstellten. Das hat mich abgeholt, wo ich heute wieder stehe.“

Weitere Lehrjahre und Engagements folgten am Landestheater Innsbruck, am Landestheater Linz (wo sie auch Theaterpädagogik und Regieassistenz lernte) und der Josefstadt in Wien. „Ich habe mich in dieser Art von Theater nicht so kreativ erlebt, sondern als Schauspielerin, die sich in Bühnenbild, Dramaturgie usw. bitte nicht einbringen soll“.

Das hierarchische Regietheater fühlt sich für Michaela Obertscheider ähnlich an wie Frontalunterricht – und ähnlich modern. „Ich bin lieber meiner inneren Lehrerin nachgegangen und habe mich dabei weiterentwickelt in mein frühestes Ich. Wahrscheinlich mache ich seit Jahren dasselbe, aber ich halte meine Mittel frisch.“ Zu ihren Werkzeugen und Mitteln gehört etwa das „First Take-Prinzip“, in dem sie mit dem Ensemble statt einer Leseprobe gleich einmal eine Aufführung vor Kindern ansetzt, als ob es eine fertige Inszenierung gäbe. Dadurch entsteht ein erster Wurf mit den stärksten Szenen, weil alles andere nach einmal lesen nicht hängenbleibt.

Außerdem hat sie das Prinzip „less is more“ perfektioniert. Was für eine Produktion gekauft werden und zu wechselnden Spielstätten mitgenommen werden kann, war anfangs eine Frage der Mittel. „Heute ist es ein politisches Statement. Ich habe noch größere Lust, Bühnenbilder mehrfach zu verwenden. Ich besorge und kaufe Dinge in 2nd-Hand-Läden und im Altwarenhandel. Ich vermeide Synthetik“.

Manche Sachen kommen in mehreren Stücken zum Einsatz und alte Dinge mit guter Energie kommen immer wieder vor. „Das hat eine Wirkung auf der Bühne, oft lösen gerade diese Dinge Fragen bei unserem Publikum aus. Fragen wie: Warum steht da eine Leiter, die nicht notwendig ist oder warum seid ihr barfuß.“

Eine weitere Leidenschaft der Stückeschreiberin ist Sprachkultur und Schreiben, mit der sie als Mittel der Selbstfürsorge auf Tour gehen will - den Anfang macht sie im Hotel Altstadt. „Ich will raus aus dem Seminarzentrum und in Salons und Wohnzimmer. Statt Tupperware-Party oder Wohnzimmerkonzert kann eine Gruppe von Menschen im privaten Setting und unter meiner fürsorglichen Anleitung kritzeln, doodeln und sich freischreiben. Mit Stift und Papier gibt es keine Ausreden. Das ist eine Intervention, die überall stattfinden kann.“

Gemäß der Lehre von Maria Montessori, ist sie als Betreuerin sehr präsent, damit die Betreuten in ihrer Freiheit sein und die angebotenen Materialien nutzen können. Es geht um Listen mit Übungen zum Auflisten, Aufhorchen und Niederschreiben. Also nicht nur To-do, sondern auch To-wish und To-be-Listen.

So viele Interessen und Projekte klingen nach Stress. Aber Michaela Obertscheider hasst Stress und weiß, wie sie ihn von sich fern hält: „Die Gestalterin in mir braucht Ruhe, Muße und Langeweile. Wenn ich Trainings mache oder auf der Bühne stehe, verteile ich Energie. Wenn ich schreibe, musiziere und zeichne, regeneriere ich mich, weil ich vor niemandem bestehen muss. Außerdem fange ich früh an und lasse mir dann viel Zeit“, erklärt sie ihr Erfolgsrezept.

Wie funktioniert Dein produktives Prokrastinieren? Ich stehe ohne Wecker auf, sitze auf der Couch mit Kaffee, trödle rum, mache Bürokram, treffe ein paar Entscheidungen. Ich habe zwei Bücher, an denen ich arbeite und während ich wie heute z.B. in die Ruby und Marie Hotelbar radle und an nix denke, kommen die ersten Gedanken rein. Ich bereite die Energie lange vor und dann schreibe ich nur noch runter. Meine Strategie ist trödeln und mich ablenken, nicht arbeiten. Wenn ich offen bleibe, kommt bei mir zuverlässig Inspiration rein. Ich muss dann nur entscheiden, ob sie in die eine oder das andere Stück fließt. Die Restmengen notiere ich und lege sie in die Schublade.

Was ist Dein Lieblings Wiener Wort? Paaasst! Aber ich finde Wiener Wörter meist nicht angenehm. Mein Lieblingswort ist ein schwedisches: lagom bedeutet von allem genau die richtige Menge

Was zeichnet Deine Lieblingsorte aus? Ich mag das Museumsquartier, allgemein Lokale mit Liegestühlen, am liebsten an stehenden Gewässern. Ich wechsle zwischen den Orten für verschiedene Tätigkeiten.

Wo kaufst du Stift und Papier? Bei Sous Bois und beim Mastnak in der Neubaugasse, zudem rechtefreie Bücher zum Zeichnen aus dem Antiquariat.

Wo kaufst du deine Möbel? In der Glasfabrik.

Hast du eine Buchempfehlung? Ich stehe auf Amilie Nothomb und für die Selbsthilfe: Susan Jeffers „Selbstvertrauen gewinnen. Die Angst vor der Angst verlieren“.

Was sind deine Lieblingsspielorte? Das Theater Akzent und das Kabarett Niedermair. Auch im Turnsaal im Musikgymnasium Neustiftgasse forsche ich gerne. Das Schloss Goldegg ist sehr schön für Seminare. Ich bin seit 20 Jahren an den gleichen Orten und das sind die mit guter Energie.

Wie schmeckt Wien? Wie ein Kaffee mit Schlagobers

Deine Botschaft an Wien? Ich bitte um Dankbarkeit für dieses schöne Lebensumfeld. Ich fände es schön, wenn man das ehrt und gut darüber redet.

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.

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