Unter dem schwarzen Tuch ein verrücktes Auge

Italienurlaubende werden es wissen: In fast jedem Kaff gibt es eine Via Mazzini oder eine Via Giuseppe Garibaldi, jedenfalls eine Via XX. Settembre. Nach der Lektüre von „Das Flirren der Dinge“ wissen wir auch wieso.

Aber es wird uns nicht so angestrengt haben, wie ein Sachbuch über italienische Geschichte zu lesen. Raffaela Romagnolo, deren letztes Buch MadameWien schon ausnehmend gut gefallen hat, legt wieder einen historischen Roman vor.

Er handelt vom Waisenkind Antonio, der vom berühmten Fotografen Alessandro Pavia als Lehrling ausgewählt wird. Obwohl Antonio nur ein sehtüchtiges Auge hat, ist er dem Meister eine große Hilfe. Es ist die Zeit, wo alle stillhalten mussten, als die Fotografen unter großen schwarzen Tüchern verschwanden und die Chemikalien auf Glasplatten aufgetragen wurden.

Alessandros privates Lebensprojekt ist die Dokumentation der Rothemden, des Zugs der Tausend Freiwilligen unter Giuseppe Garibaldi. Eines Tages entdeckt Antonio, dass sein kaputtes Auge doch etwas kann. Er kann bei manchen Menschen sehen, wie sie sterben. Wie er – je nach Perspektive – mit dieser Gabe oder diesem Fluch weiterlebt, trägt uns durch den Roman.

Gekonnt verwebt die Autorin erfundene Geschichten mit echten Ereignissen, reale und fiktionale Personen. Die männlichen Hauptpersonen werden bald um eine Hure und eine Hebamme ergänzt, die ihren Kopf durchsetzen. Leichtfüßig und wie nebenbei wird italienische Geschichte vermittelt. Ein wunderbarer Roman!


Das Flirren der Dinge
von Raffaella Romagnolo
Diogenes Verlag
367 Seiten
24,70 Euro


Beitragsbild: © Lucia Bianci

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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