Ein Detektiv, kein Gentleman

Raymond Chandler zu lesen, ist wie in einen schwarz-weiß Hollywood-Streifen einzutauchen.

Detektiv Philip Marlowe nimmt einen Auftrag an, der ihn beinahe Kopf und Kragen kostet. „Die kleine Schwester“, 1949 im Original erschienen, wurde für den Diogenes Verlag von Robin Detje neu übersetzt.

Im Nachwort von Michael Connelly outet sich der Krimiautor als absoluter Chandler-Fan.

Seine Beschreibung von Los Angeles und die Zeichnung der Typen ist wirklich vom Feinsten. Die Feministin muss man bei der Lektüre ausknipsen, denn der Zeit geschuldet können die vorkommenden Frauen – es sind gar nicht so wenige - nur mausgrau oder ranschmeißerisch sein. Noch dazu spielt die Story in Hollywood, wo sowieso alle ein bisschen überspannt sind.

Chandler liefert, was man bei aktuellen Filmen oft vermisst: geschliffene Dialoge, wie sie die Dialogregie in den Zeiten von Audrey oder Catherine Hepburn, Cary Grant, Walther Matthau oder & Co. noch kannte. Zurück zum Plot: Er ist dicht, das Geschehen fokussiert auf wenige Tage, es gibt viele Morde, es wird gesoffen und geraucht, dass es eine Freude ist. Der Detektiv hat eine rasche Auffassungsgabe, ein gutes Gedächtnis und ist reaktionsschnell. Er ist hart zu sich selbst und ebenso tough zu anderen, aber mit keiner Protagonistin steigt er wirklich ins Bett. Obwohl die sich ihm natürlich an den Hals werfen.

Viele Personen und viele Orte kann der Autor in wenigen Worten detailreich charakterisieren. Man muss schon aufpassen, um am Ende noch zu wissen, wer geschossen und wer mit Eispickeln gemordet hat.


Die kleine Schwester
von Raymond Chandler
Aus dem Amerikanischen von Robin Detje
Diogenes Verlag
351 Seiten
24,70 Euro

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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