Das Leben des Vernon Subutex 1+2

Jesse Inman in der Rolle des Vernon Subutex, fotografiert von Matthias Heschl

Nach Virginie Despentes. Eine Bühnenfassung von Tomas Schweigen und Tobias Schuster
Regie: Tomas Schweigen


Die Rückkehr der Klassen macht auch vor Theaterbesuchern nicht halt. Während die einen gemeinsam mit dem tragischen Helden mit einem Teller (köstlicher!) Suppe auf der windigen Straße vor dem Theater abgefertigt werden, dinieren die anderen mit dem Paar aus der bürgerlichen Oberschicht an dessen reich gedecktem Tisch bei feinem Spargel. Wie es den Franzosen eigen ist, wird das Essen zelebriert - jeder nach seinen Möglichkeiten. Ein gelungener Twist, denn nirgendwo wird schneller klar, wo die Trennlinie zwischen den Unteren von den Oberen verläuft als in der Küche.

Virginie Despentes hat sich in den Teilen  1+2 ihrer Trilogie mit gesellschaftlichen Abstiegsszenarien und dem Scheitern auseinandergesetzt, ohne jemals ihre Figuren zu denunzieren oder zu verurteilen. Wenn auch die Schärfe, mit denen sie sie allesamt skizziert, höllisch schmerzt.

Schlechte Zeiten für Vernon Subutex, Musikliebhaber, Plattenverkäufer, Lebenskünstler: Sein Laden ist nach vielen erfolgreichen Jahren mit Sex, Drugs & Rockn´Roll pleite. Die Musikindustrie hat es schließlich schwer im 21. Jahrhundert. Danach konnte Vernon sich noch für einige Zeit über Wasser halten – mit der finanziellen Hilfe seines guten Freundes, dem Popstar Alex Bleach. Als Vernon jedoch durch das immer losere Netz der sozialen Sicherungssysteme rutscht, sein Freund Alex völlig unerwartet verstirbt und weitere Schicksalsschläge folgen, geht es nur noch bergab.

Ohne die regelmäßigen finanziellen Zuwendungen verliert er bald seine Wohnung, denn »ab 40 duldet dich Paris nur noch als Eigentümerkind«! Gezwungenermaßen begibt sich Vernon auf eine Odyssee von Sofa zu Sofa und Schlafzimmer zu Schlafzimmer seiner Freunde, ehemaligen Partnerinnen und Geliebten. Von der Ex-Bassistin seiner Band über einen verkrachten Drehbuchautor bis zu einem durchgeknallten Wertpapierhändler mit Koksnase begegnet er auf seinem Weg in den Abgrund so manch skurriler Figur.

Doch ein letztes Ass hat Vernon noch im Ärmel: Kurz vor dessen Tod hat ihm Alex Bleach drei Videokassetten mit Aufzeichnungen von einem Selbst-Interview überlassen. Das letzte Zeugnis des Popstars – von unschätzbarem Wert für die Boulevard-Industrie. Vor allem der skrupellose Filmproduzent Laurent Dopalet setzt alle Mittel ein, um an das Filmmaterial zu kommen. Doch was erzählt Alex Bleach eigentlich auf den Bändern?

Vernons Reise in den Abgrund beschreibt Virginie Despentes mit ihrem einzigartigen, beißend-bitteren Humor. In ihrem außergewöhnlichen Gesellschaftsroman porträtiert sie eine radikalisierte Gesellschaft, in der sich immer mehr Menschen vor dem sozialen Abstieg fürchten. Aufgrund des ökonomischen Drucks, der auf ihnen lastet, sind sie zu einsamen Einzelkämpfern geworden. Doch schließlich lässt Despentes Hoffnung für die Erniedrigten und Beleidigten keimen: Um den DJ Vernon Subutex bildet sich eine neue Gemeinschaft. Vom identitären Skinhead bis zum islamischen Akademiker kommen alle zusammen – und Vernon lässt sie tanzen.

Jesse Inman spielt den heruntergekommenen aber nie ganz am Ende angekommenen Subutex gelassen und mit großer Würde. Er ist ein Mann, an dem die Tiefschläge seines Lebens immer wieder abzuperlen scheinen. Vielleicht, weil er unfähig scheint, sie zu begreifen. Das Ensemble, bestehend aus SimonBauer, Vera von Gunten, Clara Liepsch, Stefan Link, Sebastian Schindegger und Anna Rot, teils in Doppelrollen, begleitet ihn mal freudig in der Vergangenheit schwelgend, mal frustriert und desillusioniert durch die Handlung.

Die Einspielung kleiner Filmfrequenzen (Nina Kusturica und Michael Schindegger) heben die Handlung auf eine weitere Ebene und erlauben Rückblicke und Seitenblicke auf parallel verlaufende Handlungsstränge. Als Vernon dann im Haus des Bankers für eine Übernachtung den DJ macht und "traumhaft auflegt", eskaliert die Party – und mittendrin das Theaterpublikum, das aufgefordert ist, mitzutanzen, zu feiern und Soletti zu knabbern.

Für die Musik sorgt Jakob Suske, mal dezent und untermalend, dann wieder dominant und laut und wild, in jedem Fall stimmig. Die ganze Truppe hat eben eine gemeinsame Vergangenheit in einem Plattenladen, wie es ihn heute nicht mehr gibt.

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Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.

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