Wir gehen alle zu Fuß aufs Klo

Giulia Enders fotografiert von Nini Tschavoll

Name Giulia Enders, geboren 1990 in Mannheim. Die Darmfreundin, angehende Gastroenterologin und Sachbuchautorin („Darm mit Charme“) wohnt in Hamburg und war zur Verleihung des Heinz Oberhummer Awards zu Besuch in Wien 


Wir beäugen den Teller, den Giulia Enders sich am Frühstücksbuffet zusammengestellt hat. Gerade von ihr würden wir uns abschauen wollen, wie ein guter Start in den Tag aussehen könnte. Eine Hand voll Gurkensticks, Melonenkugeln, weitere Obstwürfel, ein paar Mandeln und ein Kännchen schwarzer Tee … Nur? Giulia Enders lacht: „Das ist heute eher Schonkost. Nüsse sind aber nie falsch. Über die ist meines Wissens noch kein Ernährungsfachmann und keine -fachfrau hergezogen.“

Wie man sich „richtig“ ernährt, wird allerorts diskutiert, durchleuchtet oder diktiert. Essen wird beinahe zur Ersatzreligion hochgejazzt. Promis stehen Pate für Powerfood, Brainfood oder Superfood. Erstaunlich wenig wissen und sprechen wir hingegen über jenes Organ, das für uns das ganze gute Zeug aus der Nahrung herausholt. Verdauung und Ausscheidung sind als Gesprächsthemen am ehesten in Altersheim oder Krankenhaus erlaubt.

Genau hier schlug Giulia Enders’ Sachbuch „Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ“ im Jahr 2013 Wellen. Sie schrieb es mit großer Liebe zum Detail, auf dem Boden bewiesener Tatsachen, aber ohne Zielgruppe. Weil das Thema uns alle angeht, wurde die wichtige Klolektüre im deutschsprachigen Raum bis dato 2,2, Millionen Mal verkauft und das Buch in 40 Ländern verlegt.

„Ich beobachte, dass viele Leute sich immer mehr von der Körperlichkeit des Lebens entfernen. Wir denken so managementmäßig über das, was wir essen sollen. Es ist alles so verkopft mit der Frage: Wie manage ich meinen Körper gut oder schlecht?“, erklärt Giulia. Die promovierte Medizinerin attestiert, dass wir nicht in uns hineinfühlen: „Was bekommt mir, worauf habe ich Lust, was schmeckt mir? Diesen direkten, spürbaren, körperlichen Aspekt von Leben blenden wir gerne aus.“ Es gibt eine Fülle von Ratschlägen, „wie wir unseren Fleischberg managen sollen, aber die liebevolle, zugewandte, vertrauensvolle Beziehung zum eigenen Körper geht abhanden.“

Viele würden sich bereitwillig Algen mit Alpha-Dingsbums ins Essen geben, bemerken aber nicht, dass sie von Kaffee mit Milch Bauchweh bekommen.

Die Fürsprecherin des Verdauungsapparats begann ihre Karriere als begnadete Wissenschaftskommunikatorin im Alter von 22 Jahren, noch während des Medizinstudiums. Im Frühjahr 2013 gewann sie einige Science-Slams. In ihren zehn Minuten erklärte die Darmfreundin, wie Kacken geht. Profund, pointenreich und illustriert mit Zeichnungen ihrer Schwester, der Kommunikationsdesignerin Jill Enders. Die dazugehörigen YouTube Clips gingen durch die Decke.

In ihrem Buch zeigt sie auf, wie man seinem Darm mit einfachen Mitteln helfen kann, wie stark in unserem Körper die Achse Darm/Hirn ausgebaut ist und welche Bedeutung die Darmflora für unser Leben hat. Am 25. November 2017 bekam sie dafür in Wien den zweiten Heinz Oberhummer Award für Wissenschaftskommunikation verliehen. „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ war eine Maxime des verstorbenen Science Busters, in dessen Namen der Preis vergeben wird.

Wer nichts fühlt und nicht weiß, worauf er achten kann, muss auch alles glauben, ergänzt die aktuelle Preisträgerin. Es geht ihr darum, Hintergründe zu vermitteln, für mehr Verständnis, damit man nicht nur blind Geboten folgen muss.

„Das Gruseligste waren die ersten 2000 Klicks. Da wollte ich mich unter der Bettdecke verstecken. Dann habe ich mit meiner Schwester telefoniert und sie sagte nur: Der Inhalt ist doch richtig und du findest es doch gut, wenn die Leute das wissen. Und dann dachte ich mir: Stimmt!“

Das Angebot einer Literaturagentin nahm sie nach einigem Zögern an. Bei den folgenden TV-Auftritten kaufte sie Grandseigneurs des Talks wie Markus Lanz , Frank Elstner oder Giovanni di Lorenzo die Schneid ab. Gespräche über Verstopfung, Darmreinigung und Fürze liefen zur besten Sendezeit. Wer weiß, wie vielen Menschen die freundliche und begeisterte junge Frau mit ihrer offenen Art geholfen hat.

Im Gespräch berichtet sie ernsthaft, reflektiert und konzentriert über ihr Thema, das reich an peinlichen, schambehafteten, tabuisierten und daher komischen Aspekten ist: „Komik entsteht, wenn man etwas wieder erkennt oder sich eine Spannung löst. Die Verdauung bietet reichlich Anlass für beides“, weiß Giulia.

Wenn sie auf den Gong haut, und so zum Lachen einlädt, übermittelt sie aber immer eine wichtige Sachinformation. Sie mag es, wenn Welten aufeinanderprallen und kommt mit ihrem Thema leicht mit Menschen ins Gespräch, mit denen sie vorher vielleicht nichts gemeinsam hatte: „Ich rede dann mit Ladys, die kleine Handtäschchen tragen, über die Verstopfung der Oma. Ich schwimme in vielen Gewässern. Es ist ein zutiefst menschliches und versöhnendes Thema auf Augenhöhe, weil wir merken: Wir gehen alle nur zu Fuß aufs Klo.“

Ihre Oma Hedi gab ihr mit, „dass intellektuell sein nichts mit grimmig kucken und komplizierte Worte verwenden zu tun hat, sondern mit Genuss. Es geht darum, Intellekt zu atmen und damit zu spielen. Dieser Unterton begleitet mich.“

Ihre Mutter ist Dokumentarfilmerin und hat Giulia u.a. mitgegeben, sich für Themen, die sie begeistern, auch einzusetzen. Und Grafikerin Jill Enders ist eine wichtige Ratgeberin und mitverantwortlich für die geglückte Wissenschaftskommunikation: „Ich kann meiner Schwester hundertprozentig vertrauen. Wenn sie Kritik äußert, will ich damit weiterarbeiten. Wir haben in dem Buch zwei Perspektiven vereint. Ich die verbale, wissenschaftliche und sie weiß, was ein Bild erzeugt.

Wir sind gemeinsam standhaft bei unseren Ideen geblieben und konnten so vermutlich mehr Menschen erreichen.“ Giulia ist froh eine erfolgreiche Sachbuchautorin, aber keine prominente Person zu sein, die auf der Straße erkannt wird. Oder am Krankenbett, wo sie gerade Dienst tut. Sie hat inzwischen am israelischen Krankenhaus in Hamburg ihre Facharztausbildung in Gastroenterologie begonnen.

Den Darm bringt sie ihren Leserinnen und Lesern als fabelhaftes Wesen voller Sensibilität, Verantwortung und Leistungsbereitschaft näher – auch als wichtigsten Berater unseres Gehirns. Sie findet es schade, dass sie den leidenschaftlichen Wissenschaftskommunikator Heinz Oberhummer nicht persönlich kennenlernen konnte. Die beiden haben sich leider verpasst.

Das Preisgeld wird sie sparen, wie auch die Tantiemen des Buches. Die ebenso ernsthafte wie schelmische junge Frau mit dem Pferdeschwanz lebt nicht wesentlich anders, als vorher. Sie hat sich den einen oder anderen wissenschaftlichen Fachkongress gegönnt. Später will sie als Ärztin vielleicht auch forschen und dann nicht zu abhängig von Fördermitteln sein, der Finanzpolster gibt ihr dann mehr Freiheit.

Die Trophäe, ein Glas Alpakakot von Oberhummers Farm, bekommt sicher einen Ehrenplatz. Aber erst wird sie eine Probe auf einer Agarplatte ausstreichen und schauen, welche Bakterien da vielleicht anwachsen.

Wie oft warst du schon in Wien? Ich war 2014 mit meiner Schwester eingeladen und bekam einen Award der Frauenzeitschrift Madonna. Wir hatten auf der Gala vermutlich als einzige keine Robe an. Jill und ich waren damals natürlich auch in einem der berühmten, traditionellen Kaffeehäuser.

Was ist passiert? Wir wussten nicht, dass die unfreundlich-arrogante Art der Kellner dazugehört. Erst waren wir perplex. Dann haben wir im Reiseführer nachgelesen und ab dem Zeitpunkt konnten wir es als live Performance genießen.

Wie charmant ist Wien? Es ist wie mit allen Sachen: Je besser man sie versteht, desto charmanter können sie sein.

Trinkst du Kaffee? Ich mag den Geruch nach Kaffee und trinke ihn koffeinfrei, weil ich sonst so hibbelig werde. Ich mochte den Geruch im Kaffeehaus extrem. Außerdem habe ich den Verdacht, dass man hier gerne isst und sich dafür niederlässt. Das finde ich sympathisch.

Das nennt man wohl die Wiener Gemütlichkeit. Apropos Essen: Welches Zeugnis stellst du als Darmfreundin der Wiener Küche aus, mit Wiener Schnitzel, Mehlspeisen, Burenwurst, Leberkäse und Co.? Ich bin immer dafür, dass man isst, was man lecker findet. Aber man muss wissen, welche Fallen die moderne Nahrungsmittelindustrie aufgestellt hat, die alte Mechanismen in uns aushebeln. Wir bekommen heute etwa Zucker in Mengen angeboten, die nicht mehr auf Bäumen wachsen könnte. Wir essen zu wenig Ballaststoffe. In der Wiener Küche mit viel Mehl in Kombination mit Fleisch bekommen die hilfreichen Bakterien in unserem Darm zu wenig und die anderen werden überernährt. Wenn es darum geht, Gemüse gut zuzubereiten, hat uns die asiatische Küche viel voraus. Wenn wir genügend Ballaststoffe und Gemüse essen, ist Fleisch und Wurst bei weitem nicht so schädlich. Wenn wir wenig Ballaststoffe zu uns nehmen, sind diese an der Stelle im Darm schon aufgebraucht, wo die meisten Bakterien sitzen und ihre Arbeit tun wollen. Beim Verdauen der Fleischfasern produzieren Bakterien auch schädliche Stoffe, die ohne Ballaststoffe nicht so gut weitertransportiert werden.

Wie riecht Wien? Als ich am Flughafen angekommen bin, roch es sehr gut. Steinig-feucht, erdig und frisch.

Das Wienerische kennt eine Menge Kraft- und Fäkalausdrücke. Sprachlich wird die Verdauung zur Schimpfwortzone. Wie ist das in Deutschland? Im Deutschen ist das meines Erachtens nicht so stark. Scheiße und Kombinationen davon sind gängig. Oder es steht einem bis zum Hals. Was gibt es da bei euch so?

Ich schicke dir einen Auszug aus der wissenschaftlichen Arbeit der Germanistin Oksana Havryliv, wenn es dich interessiert: Bist du deppert!

Du hast dein Leib- und Magenthema ja schon gefunden. Was hast du als nächstes damit vor? Ich mag noch nicht so viel darüber sagen. Ich bin jetzt mit der Arbeit in der Klinik ziemlich gefordert, meine Schwester ist gerade Mutter geworden und wir wohnen in verschiedenen Städten. Aber wir versuchen für ein Museum in Paris die Inhalte des Buchs in 3D umzusetzen.

Welche Musik hörst du gerne? Eine Freundin hat mich neulich aufmerksam gemacht, dass ich fast nur Coverversionen höre. Ich bin bei Musik total Mainstream, weil es mir zu anstrengend ist, mich vertiefend damit zu befassen. Crossover von Klassik und Pop finde ich auch gut.

Was ist dein Lieblingsbuch „Das Parfum“ von Patrick Süskind verbindet Körperlichkeit mit einer schönen Sprache.

Was ist dein Lieblingsfilm? „Die fabelhafte Welt der Amelie“ und „Big Fish“. Beide sind allerdings schon eine Weile alt … ich komme momentan kaum zum Lesen oder ins Kino.

Hast du ein Lieblingsgericht? Ich liebe es, wenn meine Mama Schlesische Knödel macht mit Rotkraut und Kastanien. Ich liebe Fermentiertes: Schnibbeln, ein Löffel Salz, kneten, fertig. Das geht schnell und ich habe immer ein Glas im Kühlschrank. Ich kann nicht besonders gut kochen, bin also oft Mitesser. Aber Sauerkraut schaffe ich selber.

Was möchtest du Wien ausrichten? Wien riecht gut und ich möchte hier noch ein paar mal gut und sündig essen.


Ullstein Verlag

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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