Für Geld habe ich noch nie etwas Ernsthaftes geschrieben

Fritz Jergitsch fotografiert von Nini Tschavoll

Name: Fritz Jergitsch, geboren 1991 in Wien, wohnt in Wien Wieden und arbeitet als Satiriker.


Mit „Die Tagespresse“ bringt Fritz Jergitsch Österreich täglich zum Lachen. Besonders die Wienerinnen und Wiener. Keine Kleinigkeit in der Hauptstadt des Raunzens. Gleichzeitig ist Wien für ihn und sein Team ein idealer Satire-Standort, an dem Stadt-, Landes- und Bundespolitik zusammentreffen. „Wir könnten die Seite auch vom Strand in Thailand aus machen, weil wir im Internet recherchieren. Aber wir wohnen in Wien und schreiben über das, was uns umgibt. Etwa über die U6 und das neue Essverbot“, schildert er.

Fritz hat auch eine eigene Theorie, warum Wien die lebenswerteste Stadt der Welt ist: „Es gibt hier eine extreme Intoleranz gegen Chaos und Unordnung. Deshalb muss alles funktionieren. Wenn etwas nicht klappt, gibt es sofort eine Beschwerde, der Gesetzgeber springt an, schafft es ab oder verbietet es.“

Gegründet hat der 28-Jährige „Die Tagespresse“ vor rund sechs Jahren: „Satire war wohl schon immer in mir drin. Ich habe gerne ‚Dorfers Donnerstalk’, ‚Willkommen Österreich’ oder ‚Wir sind Kaiser’ angeschaut und das MAD Magazin gelesen. Aber ich bin eher pragmatisch und so waren auch meine Berufsvorstellungen. Selbständig wollte ich aber schon immer arbeiten.“

Es begann im Mai 2013 neben dem Studium (Volkswirtschaft und Politikwissenschaften) mit einem WordPress Blog, den er ohne kommerzielles Interesse oder Plan aufsetzte. Den Domain-Namen wählte er bewusst seriös: „Ich mag es selbst nicht, wenn schon vorne dran ‚Achtung lustig!’ steht. Das nimmt den Witz vorweg, das ist wie vor der Pointe zu lachen.“

"Die Tagespresse" zählt 450.000 NutzerInnen im Monat. Seit Juni 2018 können diese Abos abschließen, „das hat sich schrittweise ergeben“. Das Mastermind bleibt bescheiden angesichts der beachtlichen Entwicklung. Von ein bissel neben dem Studium schreiben zur Buchung als Gagschreiber für andere (ORF, Puls 4, bz), der Verpflichtung weiterer Autoren, zu eigenen Jahrbüchern, der eigenen Theaterproduktion und einer TV-Sendung im ORF: „Ich hatte das Glück, der Erste in Österreich zu sein, der das auf diese Weise gemacht hat: mit Fokus auf soziale Medien und einer gewissen Konstanz“, erzählt er in einem der wenigen Sätze im Gespräch, die mit „ich“ anfangen.

Meist spricht  Jergitsch von „wir“ und meint damit auch Jürgen Marschal und Sebastian Huber. Bevor MadameWien den weiblichen Zeigefinger anheben kann, ergänzt Fritz Jergitsch von sich aus: „Wir suchen immer wieder gezielt Autorinnen, weil wir mehr Verschiedenheit wollen. Es ist in unserem Interesse, die weibliche Perspektive reinzuholen, weil wir sonst nur 50% der Schmähs bringen können.“ Die häufigsten Antworten der angefragten Frauen: „keine Zeit“ und „ trau’ mir das nicht zu“. Er gibt aber nicht auf und weiß, dass „Die Tagespresse“ 40% Nutzerinnen hat, ein urbanes Publikum, vorwiegend aus Wien.

Die Altersgruppen sind recht gleichmäßig verteilt - mit einer Spitze zwischen 35 und 45 Jahren. Falls sich jetzt jemand berufen fühlt: „Wir zahlen ein bissel mehr, als Medien an Freie zahlen: 150€ für eher kurze Artikel.“ Auch eine Ausschreibung hat er schon gemacht und 650 (!) Einsendungen bekommen. Kein Witz.

„Die Tagespresse verwendet Cookies, um jeden Aspekt Ihres Lebens komplett zu durchleuchten“ steht im Footer der Satireseite. Entwaffnende Ehrlichkeit. Aber was braucht ein guter Witz? „Ein gutes Setup“, erklärt der Profi. „Das ist die Stufe auf die du steigst, um runterzuspringen und die Pointe zu machen. Zu Beginn wollte ich Witze zu langweiligen Themen wie Krankenkassenreform machen. Aber da ist kein Potenzial drin.“

Geheimrezept hat er keines: Auch Witze schreiben muss man üben. Schlüpfrige Witze und vulgären Humor findet er selbst nicht lustig, deswegen gibt es den kaum: „Wir sind eine seriöse Nachrichtenseite - das ist unsere Marke. Wir können nur persiflieren, was auch in einer Zeitung erscheinen würde.“ Das Setup – in diesem Fall die Ausgangsnachricht - muss Emotionen auslösen. Ein bombensicherer Indikator ist für ihn „die Zahl der Kommentare unter einer Standard-Meldung. Die Leute posten ja auch aus einer Emotion heraus.“

Die Pointe muss überraschen und gleichzeitig total plausibel sein. Etwa „Da wollte jemand Armen helfen! Hartinger-Klein legt Licht ins Dunkel - Telefon entsetzt auf.“ Der Rest ist ein kreativer Nachdenkprozess, wobei die drei Autoren oft gemeinsam brainstormen. Für Fritz gibt es kein Thema, das er von vornherein ausklammert. „Es hat keinen Sinn, sich selbst Grenzen zu setzen, wenn jeder einen anderen Begriff von Humor hat.“ Für ihn gibt es nichts Langweiligeres als Witze, die auf alles Rücksicht nehmen. Er verlässt sich auf sein Bauchgefühl und den Blick in den Spiegel: „Ich will einfach kein Arschloch sein. Ich würde keinen Witz bringen, von dem mir mein Gewissen sagt: Das ist nicht ok.“

Thomas Gratzer vom Rabenhof Theater sprach die Tagespresse-Macher 2016 an und bot ihnen eine eigene Show an. Am 14. Februar 2019 hat dort wieder ein Stück Premiere, das gerade intensiv vorbereitet wird. Das Grundkonzept ist immer dasselbe: „Satiriker halten den Mächtigen und der Gesellschaft den Spiegel vor. Sie stellen die Zustände in der Gesellschaft mit dem Werkzeug der Übertreibung dar.“

Die Umwandlung aus dem generischen Onlinemedium in andere Formate erfordert Nachdenken. Beim Theater hat das gut geklappt. Moderator Paul Kraker hat mit der nötigen „Die Tagespresse“-Seriosität die Nachrichten stoisch vorgelesen. Nicht so zufrieden war das Team mit der „Die Tagespresse-Schau" im ORF 2017 . Nach den ersten 12 Folgen sagten die Autoren die Verlängerung beim ORF dankend ab.

Seit fünf Jahren kann Fritz Jergitsch von seiner "Tagespresse" leben. Als Witzeschreiber war die Seite eine tolle Referenz. „Ich habe nie etwas Ernsthaftes für Geld geschrieben“, sagt er. Die Hürden für ein Medienprojekt sind im Internet geringer und er konnte sich bald voll darauf konzentrieren: „ Es war nicht so, dass ich mein gesamtes Vermögen auf einmal investieren musste, ohne zu wissen, ob jemals etwas herauskommt“.

Heute ist er Geschäftsführer, beantwortet Kundenanfragen, schreibt ein Drittel der Texte, betreut die Technik, macht die Buchhaltung und die Fotomontagen. Die Vermarktung ist an eine Agentur ausgelagert. Es ist ein 40 Stunden Job mit Wochenenddiensten.

Vor Kurzem hat „Die Tagespresse“ erstmals eine Anzeige geschaltet und Gottfried Küssel auf den Grußseiten eines Lokalmediums gedankt. Ein klassischer Streich, den Fritz auch zu den Aufgaben von SatirikerInnen zählt. Juristische Querelen gibt es wenige: „Wir sind weder ein Krawallblatt, noch auf Klagsvermeidung aus. Wir provozieren, wo es gerechtfertigt ist.“ Jeder PR Profi – und die Politik beschäftigt solche –weiß, dass nichts humorloser rüberkommt, als ein Satiremedium zu verklagen.

Dein bester Witz? Ich habe keinen Lieblingswitz. Ich bin zufrieden, wenn ich das Gefühl habe, im richtigen Moment den richtigen Witz gemacht zu haben. Stolz war ich auf den Presseschweiger, engagiert von Bundeskanzler Kurz. Der ist mir im Sommer spontan eingefallen. In der bisher meistgeklickten Geschichte  (1,2 Millionen Klicks) ging es um einen Brief, der 107 Jahre zu spät zugestellt wurde. Davon wurde in den internationalen Medien bis nach China berichtet.

Hast du Vorbilder? Dorfers Donnerstalk fand ich immer lustig. Auch amerikanische Kabarettisten und Stand up Comediens: Louis CK etwa, der seine Popularität inzwischen verspielt hat. Auch Bill Burr. Ich bin ein Riesenfan von Jon Stewart und habe gerne Sitcoms wie „Scrubs“ und „Malcolm in the Middle“ geschaut.

Dein Lieblingsort in Wien? Ich fahre gerne mit dem Rad auf die Untere Donauinsel, ab U2 Richtung Ölhafen Lobau. Da sind wenige Leute, es ist leicht erreichbar und wunderschön. In der Innenstadt gehe ich auch ganz gerne spazieren.

Wo hast Du die besten Ideen? Die Ideen kommen, wann sie wollen. Da gibt es keinen besten Ort. Beim Kochen, unter der Dusche, nach langem Nachdenken, spontan, im Büro. Nicht immer wenn man sagt: ich will jetzt eine gute Idee haben. Ich habe gemerkt, dass ich im Railjet gut schreiben kann. Aber ich fahre selten.

Deine Lieblingsspeise? Es kommt darauf an, worauf ich Lust habe zu kochen.

Du kochst selbst? Ja, ich mache mir gerne Burger, wobei es mir in letzter Zeit oft etwas zu viel und zu sättigend ist. Meine Wiener Lieblingsspeise ist Tafelspitz. Das versuche ich irgendwann mal, bis dahin bestelle ich ihn im Restaurant.

Welche Kultureinrichtung magst du gerne? Das Kunsthistorische Museum. Immer wenn ich es besuche, denke ich mir: Sollte ich öfter machen.

Dein Lieblingscafé? Corto e Nero auf der Wiedner Hauptstraße. Es ist mein Lieblingscafé in Gehweite und ich mag den Kaffee hier. Wenn ich frühstücken würde, würde ich das auch hier machen.

Welchen Film hast Du zuletzt im Kino gesehen? The Death of Stalin von Armando Iannucci.

Dein Wiener Lieblingswort? Oida!

Hast du eine Botschaft für Wien? Bitte weiter bei der Tagespresse informieren und nicht bei der Konkurrenz!

www.tagespresse.com

 


Publikationen

2013: Der Nonsense-Jahresrückblick: ... von Österreichs seriösester Online-Zeitung. Amalthea Signum Verlag, 2013.

2014: Vatikan gesteht ein: Erde vermutlich doch keine Scheibe: die besten Tagespresse-Meldungen. Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014.

2015: Neue Facebook-AGBs: Mark Zuckerberg hat Anrecht auf Erstgeborenen jedes Users: Die besten Tagespresse-Meldungen, Band 2, Residenz Verlag, St. Pölten 2015.

2016: "Mein Kampf" endlich politisch korrekt: Grüne präsentieren gegenderte Neuauflage: Die besten Tagespresse-Meldungen Band 3, Residenz Verlag, Salzburg 2016.

2017: In der Sonne eingeschlafen und nichts gegessen: Strache feiert unabsichtlich Ramadan: Die besten Tagespresse-Meldungen, Band 4, Residenz Verlag, Salzburg 2017.

2018: Schweigt seit Tagen: Sebastian Kurz verursacht Mega-Stau im McDrive: Die besten Tagespresse-Meldungen, Band 5, Residenz Verlag, Salzburg 2018.

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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