Geschichten, die das Leben erzählt

Menerva Hammad fotografiert von Nini Tschavoll

Name: Menerva Hammad, geboren 1989 gerade noch in Alexandria (Ägypten), aufgewachsen in Wien, wohnt in der Donaustadt und ist von Beruf Journalistin und Geschichtenerzählerin.


Wir treffen uns in der Mitte der Welt. Von fehlender Akzeptanz in der Gesellschaft und starken Frauen heißt der eben erschienene Bucherstling von Menerva Hammad. Darin versammelt sie 18 Frauengeschichten aus 13 Jahren und verschiedenen Ecken der Welt, in einer erzählenden Klammer über die Autorin selbst. Verfilmt oder im Belletristik-Bestseller würde man fast jede der Erzählungen als übertrieben, unrealistisch oder gewollt zurückweisen.

Auch wenn es banal klingt: Die Geschichten, die das Leben schreibt, sind einfach am ärgsten: „Ich hoffe, dass das Buch die Leser und Leserinnen nicht kalt lässt, weil mich haben die Geschichten auch nicht kalt gelassen.“ Die Wienerin erklärt, dass sämtliche Frauen der Veröffentlichung zugestimmt haben, die Erlebnisse ihr so zugetragen wurden und sie die Geschichten anonymisiert, aber nach bestem Wissen und Gewissen aus der Perspektive der Protagonistinnen, in Ich-Form, aufgeschrieben hat: „Ich hoffe, ich habe es so echt und authentisch geschrieben, wie es sich die Frauen wünschen. Es bleibt ihre Geschichte - von mir steckt außer Anfang und Schluss nichts drin.“

Wenn die gelebten Leben nicht zwischen zwei Buchdeckeln versammelt wären, wären sie in ihrer Verschiedenheit schwer zu fassen. Die Geschichten sind verschieden und gleichzeitig universell, weil sie an typische Erfahrungen von Frauen anknüpfen – dazu gehört oft Mutterschaft oder leider auch Gewalt. Ihre Interviewpartnerinnen bezeichnet Menerva als Lehrerinnen. Diese Lektion hat sie die erste Frau gelehrt, die ihr nach mehreren Anläufen ihre Geschichte anvertraut hat: eine jüdische Schneiderin aus Alexandria.

MadameWien will wissen, welche Lektionen die Autorin aus den Interviews noch gezogen hat: „Es waren viele unterschiedliche und eine gemeinsame, eine goldenen Regel, die mir alle in der einen oder anderen Form mitgegeben haben, unabhängig von Alter, Bildung oder Herkunft: Wenn du am Boden liegst, kann es nur mehr bergauf gehen. Und diese Erkenntnis hatte ich selbst auch.“ Überhaupt scheut Menerva nicht davor zurück, eigene Ängste, Selbstzweifel und Irrtümer mit den Leserinnen zu teilen: „Ich finde es normal. Ich geniere mich nicht, offen darüber zu reden. Das war schon immer so und wird auch gegen mich gehalten.“

Die Antwort auf die Frage, warum diese Frauen Menerva ihre Geschichten anvertraut haben, auch in flüchtigen Zufallsbegegnungen? „Weil ich es auch tue.“ Ihren Blog Hotel-Mama lesen viele junge Frauen. Manche unter 20, die nicht daran denken Mütter zu werden, und sie dennoch anschreiben: „Das ist ein Alter, in dem man sich formt und herausfindet, wer man ist und was man will im Leben. Alles schon zu wissen und toll zu schaffen, ist nicht die Norm. Auch wenn Social Media uns das vermitteln. Wenn ich dann antworte, dass ich es auch noch nicht weiß, hilft ihnen das.“ Menerva wehrt sich gegen den Begriff Influencerin: „Ich lebe nicht vor, was ich nicht bin. Ich bin einfach eine Frau mit Kind, die schreibt, wenn es schläft. Das Buch ist entstanden, als meine Tochter schlief“, lacht sie.

Die Mitte der Welt wäre für Menerva eine Brücke zwischen Alexandria und Wien und für den Rest der Menschheit, beschreibt sie diese als einen Platz, „wo wir einander ohne Vorurteile begegnen und uns nur als Menschen sehen“. Für sie gibt es keine langweiligen Menschen und letztendlich wollen wir alle gerne als etwas Besonderes gesehen werden.

Ihr Buch hat Menerva in drei Monaten geschrieben: „Ich schreibe nachts.“ Die meisten Geschichten entstanden in je einer Nacht zwischen Mitternacht und 7 Uhr Früh. Ihr Mann, ihre Mutter und ihre Schwiegermutter haben aufgepasst, damit sie tagsüber schlafen kann: „Ich habe danach auch mit einer Therapeutin gesprochen, weil mich das mitgenommen hat. Mich in jede Frau hineinzuversetzen und es so zu schreiben, wie sie es empfunden hat und nicht, wie ich es sehe oder beurteile. Es war schwer wieder herauszukommen. Das war kein Spaziergang.“

Die in Ägypten gesammelten Geschichten erklären sich leicht: Menerva hat Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen in Alexandria, die sie regelmäßig besucht. Aber Bali, Schottland, Texas, Deutschland, Kuwait und Dubai? Ihr Mann ist Petroleumingenieur und die freie Journalistin reist gerne mit zu den Engagements. Lieber embedded, als luxuriös, lieber zu Fuß und mit Bus, als in der gekühlten Limousine. Wien bleibt die unschlagbare Homebase. Sesshaft wollen sie erst werden, wenn ihre Tochter schulpflichtig wird.

Was gibt es nur in Wien? Semmelknödel – ich bin süchtig danach. Aber im Ernst: Nirgendwo auf der Welt geht es den Menschen so gut und sie motschkern dennoch so viel. Ich habe die bitterarme, ägayptische Gemüseverkäuferin am Gehsteig gefragt, was sie sich im Leben wünscht. Sie sagt: "Nix, ich bin für alles dankbar was ich habe – ich habe das beste Leben überhaupt. Ich habe alle Kinder in Ausbildung, einen tollen Mann und keiner geht abends hungrig ins Bett– uns geht es gut."Zuletzt war ich in Schottland, wo Gesundheitssystem und Kinderbeihilfe weit weniger toll sind, als hier. Aber grantig sind die Menschen in Wien. Das nehme ich mir mit: Mehr Dankbarkeit.

Hast du je überlegt deinen Blog auch auf Arabisch zu schreiben? Schriftlich kann ich es nicht gut genug, die Grammatik und so. Aber ich halte in Alexandria Vorträge über Monatshygiene und verteile Kondome. Angefangen habe ich mit meinen Cousinen und deren Freundinnen im Wohnzimmer. Es hat sich herumgesprochen. Inzwischen miete ich einfach einen Keller in einem Lokal. Männer müssen draußen bleiben. In der aktuellen politischen Lage fliege ich aber nicht gerne hin.

Dein Wiener Lieblingsort? In den Blumengärten Hirschstetten bin ich oft. Hier gibt es so viele schöne Ecken. In der Wiener Innenstadt gibt es Gassen, die dich durch Raum und Zeit reisen lassen. Du glaubst, du bist woanders oder in alten Zeiten, als Gebäude nobel und elegant, statt hingeklotzt waren. Und in Floridsdorf verbinde ich fast jede Straßenecke mit meiner Kindheit und Jugend. Fultonstraße, Hoßplatz, die Kirche am Kinzerplatz. Ein bissel Grätzel muss a sein. Das macht Wien aus.

Dein Wiener Lieblingswort? Nudlaug.

Deine Wiener Lieblingsspeise? Semmelknödel mit Schwammerlsauce und Rotkraut. Die Christa hat sehr oft für uns gekocht und wir haben die Küchen getauscht. Für meine Mama war das spannend: Aha, altes Brot kann man so verwerten.

Dein ägyptisches Leibgericht? Bei uns heißt es Mahschi. Sarma oder Dolma heißt das auch. Die mache ich selber.

Wonach riecht Wien? Nach Heimat!

Wo gehst du einkaufen? Wenn ich unterwegs bin auf Flohmärkten im Ausland. Ich kaufe viel 2nd Hand. Ich gebe mehr her, als ich einkaufe.

Hast du ein Geschäft, das du in Wien magst? Ich liebe Schmuck und ich gehe gerne zum Weltladen auf der Mariahilferstraße. Die haben handgemachten Schmuck und das Geld kommt den Menschen zugute, die ihn gemacht haben. Und die haben auch mein Buch!

Hast du manchmal Angst in Wien? Wenn ich meine Tochter dabei habe, bin ich keine Heldin. Ich bin in der U-Bahn schon angespuckt worden, aber gleich darauf ist eine Frau gekommen und hat mir ein Taschentuch gegeben mit den Worten „Wir sind nicht alle so“. Meine Tochter merkt inzwischen, wenn uns wer anstarrt oder laut wird. Ich sage dann: Menschen, die schreien haben ein Problem, denen geht es nicht gut. Wir sprechen Zuhause Deutsch, Englisch und Arabisch, aber wir werden nie laut. Einmal habe ich zu singen begonnen „The greatest showman“. I am not afraid to be seen, I have no reason to apologize and this is me.

Was ist deine Botschaft für Wien? Genießts das Leben ein bisschen mehr, weil es kommt niemand lebend raus.


Menerva Hammad
„Wir treffen uns in der Mitte der Welt. Von fehlender Akzeptanz in der Gesellschaft und starken Frauen“
Braumüller Verlag
240 Seiten
22 Euro

Mama-Blog

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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