Name Tilman Eder, geboren 1968 in Stuttgart, von Beruf Buchhändler, wohnt in Wien-Josefstadt
Zugegeben, man muss schon ein bisschen aufpassen, um nicht am „ERLKÖNIG“ vorbeizugehen. Die kleine Buchhandlung in der Strozzigasse im 8. Bezirk fällt nicht gerade durch marktschreierische Gestaltung auf. Doch wer das unscheinbare und sehr puristisch ausgestattete Geschäft erst einmal entdeckt hat, wird immer wieder dorthin zurückkehren.
Das liegt nicht nur an dem speziellen und stets aktuellen Sortiment, sondern vor allem an der freundlichen und kompetenten Beratung des Geschäftsinhabers Tilman Eder. Der gelernte Buchhändler, der vor 27 Jahren der Liebe wegen von Stuttgart nach Wien kam, erfüllte sich 2010 den Traum von einer eigenen Buchhandlung, die er nun mit viel Engagement und Leidenschaft vollkommen alleine führt.
Bei seinen Öffnungszeiten bedeutet dies eine 55-Stunden-Woche, wobei die Organisation der regelmäßigen Abendveranstaltungen noch gar nicht berücksichtigt ist. Hier drängt sich unweigerlich die Frage auf: Warum tut man sich das an?
„Es ist schon so, dass einem der Beruf des Buchhändlers eine gewisse Zufriedenheit beschert. Das ist etwas, das Spaß macht, speziell dann, wenn man weiß, dass man für sich selbst arbeitet. Für mich ist das hier wie mein Wohnzimmer, in dem ich mich sehr wohl fühle. Wenn Kunden hereinkommen, denke ich gar nicht so sehr an den Verkauf, sondern freue mich, dass ich mit jemandem plaudern kann“, erklärt Tilman.
„Reich wird man natürlich nicht mit so einer kleinen Buchhandlung. Ich verdiene jetzt ungefähr die Hälfte von dem, was ich früher als Angestellter bekommen habe, aber das habe ich dafür sicher, ergänzt er und spielt damit auf die derzeit eher unsichere Situation vieler Buchhändler im Angestelltenverhältnis an.
Ja, den großen Buchhandlungen geht es nicht so rosig, dies ist bekannt und auch auf die wachsende Online-Konkurrenz zurückzuführen. Doch im Windschatten der riesigen Buchketten und trotz Internet geht es den kleinen, feinen und mit viel Liebe geführten Fachgeschäften oft gar nicht so schlecht. „ERLKÖNIG“ Tilman vertraute auf die Grätzl-Struktur und sollte Recht behalten: „Die anonymen Buchsupermärkte schließen, aber sich in einer Buchhandlung beraten zu lassen, was man der Tante oder Freundin schenken könnte, kommt nie aus der Mode.“
Größtmögliche Flexibilität und Individualität sind es also, die den Charakter des „ERLKÖNGS“ bestimmen. Keinem Großkonzern sondern lediglich dem Gespür des Inhabers verpflichtet, reagiert das kleine Buchgeschäft rasch und unkonventionell auf Wünsche, Trends und regionale Entwicklungen abseits des Massengeschmacks. „Dass ich Bücher abseits des Mainstreams anbiete, ist ja auch der Grund, warum die Kunden zu mir kommen“, so der Inhaber des ERLKÖNIGS. „ Man geht ja auch nicht in die Konditorei, um Maschinensemmeln zu kaufen.“ Und so findet sich bei ihm viel österreichische Literatur auch von bislang eher unbekannten Autoren.
Doch wann findet der Buchhändler mit seinem 10-Stunden Arbeitstag überhaupt noch Zeit zum Lesen? „Ich schaffe zwei bis drei Bücher in der Woche, lese vorwiegend am Abend – wir haben keinen Fernseher – und natürlich am Wochenende. Oft setze ich mich auch tagsüber hin und schmökere ein wenig – speziell wenn ich eigentlich Neuerscheinungen wegräumen sollte lasse ich mich gerne ein wenig ablenken“, lacht Tilman.
Der Name der Buchhandlung hat im Übrigen einen netten Hintergrund: Einst gab es in Paris, am Montparnasse, eine deutschsprachige Buchhandlung mit dem Namen "Erlkönig" (sie wissen schon: wo der Vater mit seinem Kind so spät durch Nacht und Wind reitet...), die bis Mitte der Achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts verbürgt ist. Als Tilman vor Jahren in den Tagebüchern und Aufzeichnungen Ernst Jüngers davon las, übernahm er den originellen Namen für sein Geschäft.
Und so begann die Geschichte des Josefstädter ERLKÖNIGs, der seinen Traum lebt.
Warum lesen Menschen Bücher? Ich glaube sie lesen aus Gründen der Entspannung und aus dem Interesse heraus, zu erfahren, wie sich andere Menschen mit ähnlichen Realitäten tun. Also aus psychologischer Selbstvergewisserung.
Wie bringt man Kinder zum Lesen? Hier spielt die Schullektüre eine große Rolle, zumindest was die Klassiker anbelangt. Es ist wichtig, das Interesse an Literatur möglichst niederschwellig zu halten. Man greift als Jugendlicher eher dann zum Buch, wenn es zu Hause im Bücherregal steht. Wie man in „bildungsfernen“ Haushalten Kinder zum Lesen animiert, weiß ich leider auch nicht.
Wie viele Bücher besitzt du privat? Ich habe für einen Buchhändler erstaunlich wenige Bücher. Ich gebe vieles weg, wenn ich mir sage, dass ich es bestimmt kein zweites Mal lesen werde. Der Kern ist dafür sehr hart. Es sind so ca. acht Laufmeter würde ich schätzen.
Was magst du am 8. Bezirk ? Ich mag die kurzen Wege, die netten Menschen und die intakte Infrastruktur. Das trägt enorm zur Lebensqualität bei. Ich muss nicht ins Auto steigen, wenn ich Hammer und Nägel brauche. Das kann ich alles noch hier im Grätzl bekommen.
Welche Geschäfte in der Umgebung kannst du empfehlen? Empfehlen kann ich die Gemischtwarenhandlung Greisslerei 8, und die Kollegen von der Kinder- und Jugendbuchhandlung Lesewelt gegenüber. Sie bieten das an, was ich nicht habe und so ergänzen wir uns wunderbar. Es ist doch schön, wenn man in einer Gasse so gut miteinander leben kann.
Wo kaufst du sonst in der Stadt gerne ein? Ich habe wenig Zeit zum Einkaufen und bewege mich hauptsächlich in der Josefstadt. Hier kaufe ich gerne im „Essenswert. Dort kann man saisonale und regionale Bioprodukte bestellen und freitags abholen
Wien riecht, schmeckt nach...? Wien riecht im besten Fall nach Wienerwald, im schlimmsten Fall nach Feinstaub.
Wo kannst du in Wien gut entspannen? Ich entspanne im Wienerwald, im Lainzer Tiergarten, aber auch gern beim Heurigen in der Piaristengasse 27.
Hast du ein Lieblingsbuch? Das wechselt natürlich. Momentan ist es ein Buch des österreichischen Autors Gerhard Jäger mit dem Titel: Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod. Darin setzt er einen Wiener Historiker in einem Tiroler Bergdorf aus. Ich lese auch sehr gerne experimentelle österreichische Gegenwartsliteratur und liebe Friederike Mayröcker.
Verrätst du uns noch deine persönlichen Top Ten der besten Bücher, die du gelesen hast?
Gerhard Jäger: Der Schnee, das Feuer, Die Schuld und der Tod sowie:
Stefan Soder: Simonhof
Alan Carr: Ein Monat auf dem Land
Heinz Strunk: Der goldene Handschuh
Jane Gardam: Ein untadeliger Mann
William McIlvanney: Laidlaw
Nicolas Bouvier: Fundstücke eines Bilderjägers
Carlo Strenger: Abenteuer Freiheit
Holly Ivins: Jane Austen – eine Entdeckungsreise durch ihre Welt
Didier Eribon: Rückkehr nach Reims
Hast du einen Lieblingssong? Das ist ein alter Jimi Hendrix – Song mit dem Titel: Hear My Train a Comin’. Hendrix hat bis zu seinem Tod an diesem Song, einer langen Blues-Improvisation, herumgewerkelt. Es ist interessant, wie sich der Titel immer wieder verändert hat.
Wohin gehst du gerne essen? Auch hier bevorzuge ich die Josefstadt. Es gibt einige sehr gute Italiener. Gerne mag ich auch das Dionysos-Nosh, wo man orientalische, aber auch mediterrane Küche bekommt.
Was magst du besonders an Wien? Wien hat eine sehr hohe Lebensqualität. Diese Stadt ist weniger hektisch als andere Großstädte, die ich kenne und es gibt ein gewisses Maß an Toleranz und Laissez-faire. Man hat hier Luft zum Atmen. Ich lebe seit 27 Jahren in Wien, fühle mich von den Wienern akzeptiert und habe viel von ihnen angenommen.
Buchhandlung ERLKÖNIG
Strozzigasse 19
1080 Wien
Christine liebt Bücher und schöne Dinge und treibt sich leidenschaftlich gerne in Buchhandlungen herum.