Das Theater in der Bratpfanne

Philipp Hochmair fotografiert von Stefan Knittel

Name: Philipp Hochmair, geboren 1973 in Wien, aufgewachsen in Ottakring, wohnt in der Wiener Josefstadt und in Hamburg und Berlin. Von Beruf Schauspieler.


Bevor wir Philipp Hochmair noch erkennen, sehen wir schon von Weitem einen Mann in Sakko und auffälligem Tiger-T-Shirt mit schnellen Schritten auf uns zukommen. In die Begrüßung streut er übergangslos und ohne Mühe Schillers „Der Handschuh“ ein, um uns gleich weiter nach drinnen zu lotsen. Treffpunkt ist an diesem Abend der Bühneneingang des Wiener Musikvereins, wo der Schauspieler später mit „seinen Jungs“ von der Band Elektrohand Gottes den Soundcheck für die bevorstehenden Aufführungen des Schiller Rave vornehmen wird.

Und der König winkt wieder,
Da öffnet sich behände
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
Mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor,
Wie der den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif,
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu
Grimmig schnurrend;
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.

Flugs vorbei geschleust an der Portiersloge bugsiert er uns in stetem Redefluss durch die langen Gänge des Wiener Musikvereins. Er und die Jungs werden am Wochenende hier den Gläsernen Saal rocken, dass die ehrwürdigen Gemäuer beben. In besagtem Saal in der untersten Etage angekommen, springt Hochmair mit einem Satz auf die Bühne und begrüßt beherzt seine mit dem Equipment beschäftigten „Kameraden “. Ohne Umschweife ruft er ein paar Sätze aus Schillers „Die Glocke“ durch ein herumliegendes Ofenrohr. Das Rohr komme vom Baumarkt, er habe ein Faible für ungewöhnliche Requisiten! Zwischendurch gibt es ein paar exaltierte Posen für den Fotografen. Wo eine Bühne, ist Hochmair in seinem Element.

Von der Stirne heiß
Rinnen muss der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.

„Fortsetzung folgt. Kameraden, ich komme wieder, ich muss zu einem Interview“, sächselt er mit seinen tiefenentspannten ostdeutschen Bandkollegen, bevor er mit einem großen Sprung von der Bühne abgeht. Es ist das zweite Interview an diesem Tag. Davor war er beim ORF auf einem Sofa in einer Nachmittagssendung zu Gast. Da wirkte er ein wenig deplatziert. Aber der Mann ist Profi, er kann das, die Welt ist sein Zuhause. Philipp Hochmair strahlt und glänzt nahezu immer, auch ohne den goldenen Fransen-Smoking, den er gerne bei seinen Jedermann-Auftritten trägt.

Der Weg hinaus in den dämmernden Abend verläuft ähnlich wie zuvor hinunter ins Kellergeschoss und wäre eine garantierte Lachnummer für das Format 'Versteckte Kamera'. Vorne weg der rezitierende und gestikulierende Schauspieler, im Gefolge zwei ihm nachhastende Menschen mit Kamera und Notizbuch. Zwischendurch hie und da ein abrupter Zwischenstopp, etwa bei der Büste eines großen Österreichischen Komponisten: Aus Hugo Wolf wird 'go Wolf '. Der Mann ist initiativ, der Fotograf im Glück.

Am 20. Dezember kommt der Film „Glück Gehabt“ ins Kino. Darin spielt er den schlurfigen Artur, einen ausgebildeten Lehrer in zu großen Wollpullis, der in einem Copy-Shop arbeitet und beschaulich vor sich hin lebt, bis ein plötzliches Ereignis in sein Leben tritt. Wie war es für ihn als überaus aktiver Mensch, in diese Rolle zu schlüpfen? „Artur? Der Typ war wirklich einschneidend. Er ist wie eine verborgene Seele in mir, die da plötzlich raus kommt. Er ist so entspannt, schicksalsgläubig, bei sich... ein reaktiver Flaneur, der erst über die Katastrophe, die sich anbahnt, zum Handeln gezwungen wird. Ich beneide ihn vielleicht um seinen Umgang mit Zeit, um seine Entspanntheit. Denn ich bin ein eher ungeduldiger Mensch. Der Film ging mir nahe. Regisseur Peter Payer arbeitet ruhig und aufmerksam, das hat mir sehr gefallen. Ich war praktisch in jedem Bild, das war neu für mich und intensiv.“

Wir kommen an einer langen Menschenschlange vor dem Musikverein vorbei, die Leute warten auf Einlass zu einem Konzert. „Ich würde mich hier nie anstellen, das geht gar nicht. Ich würde mein Ofenrohr holen und mit den Weg frei schreien 'Lasst mit durch, ich muss hinein, ich bin zu ungeduldig' “, lacht er und pflügt für uns eine Schneise durch die wartenden Konzertgeher.

Im Schanigarten des Künstlerhaus Kino fährt die Performance-Maschine Philipp Hochmair unerwartet wie auf Knopfdruck herunter. Er bestellt Mineralwasser, fokussiert sich auf das Gespräch, ist aufmerksam und witzig. Beantwortet die ihm gestellten Fragen genau, verliert sich manchmal in der Ausführung und kommt doch immer wieder zum Ausgangspunkt zurück.

Seine Tage sind ausgefüllt. Er sagt, dass er das braucht und so will. Das Tun, das Machen, das Schaffen und die vielen Texte sind seine Antriebsfedern, er nennt sie die Quellen seiner unbändigen Energie. Am Vortag hat er mit Regisseur Marvin Kren die Netflix-Serie „Freud“ nachsynchronisiert, erzählt er weiter. Dort spielt er einen ungarischen Separatisten, einen wahnsinnigen Grafen, der den Kaiser stürzen will. Und er ist aktuell in drei weitere Serien involviert: In „Blind ermittelt“ spielt er den blinden ehemaligen Chefinspektor Haller, bei den „Vorstadtweibern“ ist er das Schlitzohr Joachim Schnitzler. Und in der ARD Serie „Charité“ verkörpert er ab November den großen österreichischen Gerichtsmediziner Otto Prokop. Für das Theater bleibt da wenig Zeit, zuletzt gab es im September eine Wiederaufnahme von Faust I und Faust II mit Regisseur Nicolas Stemann im Schauspielhaus Zürich.

Aufgewachsen ist der Rastlose im 16. Bezirk, bürgerlich und in gewissen Zwängen, an die er sich nicht mehr gerne erinnert. Als er 14 war, weckte ein Zeichenlehrer namens Franz Terber die Liebe zur Lyrik und zur Literatur in ihm: „Ich war ein mittelmäßiger Schüler, es war eine veraltete Welt damals. Die Lehrer waren durchwegs altmodisch, es gab keinen frischen Geister. Ich durften zu Hause nicht fernsehen, Wissen war nicht gut zugänglich. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, ich wurde dumm und kurz gehalten. Durch die Kunst und die Literatur konnte ich mich bereichern und befreien. Ich wollte raus aus diesem bürgerlichen Kastl, wollte nicht immer ordentlich sein müssen, wollte fliegen wie Mephisto.“

Nach der Schule ging es direkt ans Max Reinhardt Seminar, ein einziger Befreiungsschlag nach den Jahren des kreativen Notstandes. Endlich fühlte er sich verstanden, durfte alles, durfte sich ausprobieren. Man erhielt dort eine Eliteausbildung, auf 60 Schüler kamen 40 Lehrer, erzählt er. Sein Lehrer Klaus Maria Brandauer bestach den Portier, damit seine Schüler üben und proben konnten, so lange sie wollten. Am Seminar lernte er auch Regisseur Nicolas Stemann kennen. Er und Brandauer prägten sein Leben maßgeblich, wie er heute weiß.

Philipp Hochmair hält es nie lange am selben Platz aus, immer treibt es ihn weiter. Seine Arbeitswohnungen in verschiedenen Städten könne man sich karg vorstellen, denn dort halte er sich nur auf, um zu schlafen und sich mit den Texten auseinander zu setzen. Nichts darf seine Konzentration stören, keine Bilder, keine überflüssige Einrichtung. Wie er sich die ungeheure Menge an großteils langen und schwierigen Texten merkt, wollen wir wissen. Ist er ein fleißiger Mensch? „Das ist echte, harte Arbeit, denn ich bin von Geburt an Legastheniker. Ich muss fleißig sein, es ist manchmal wie ein Wahn, ein Lernwahn. Es gibt in jeder Stadt jemanden, der mit mir lernt. Stell dir vor, du spielst an einem Abend den Don Carlos in Berlin, am nächsten Dorfrichter Adam in Hamburg am Thalia und am darauffolgenden den Faust in Zürich ...“

Er nimmt einen großen Schluck Mineralwasser und sinniert. „Besonders gerne mag ich es, wenn ich mich an der Schulter von meinem Vorleser anhalten kann, die Augen geschlossen und wir durchschreiten gemeinsam den Raum, ich immer barfuß, weil mich das erdet. Ich bekomme den Text vorgesagt und spreche nach, es ist wie ein Flow. Festgemauert in der Erden, steht die Form aus Lehm gebrannt… ich erarbeite mir das Meter für Meter, Satz für Satz.“ (Anm.: rezitiert aus "Die Glocke" von Friedrich Schiller).

„Der Mephisto: das sind riesige, komplizierte Texte, ich erlebe sie wie Singstücke. Heute habe ich übrigens die Glocke das erste Mal ganz durchgemacht, dafür habe ich nebenbei und immer wieder über zwei Jahre lang geübt. Das sind 28 Minuten im Schiller Rave. Ich hab meine Lerntechnik immer weiter entwickelt und meine Schwäche zu einer Stärke gemacht. Aber jedesmal, wenn ich wieder ein neues Reclamheft vor mir habe, denke ich, ich schaff das nicht, ich muss sterben. Der Faust, ein Wahnsinn: Schwindet, ihr dunklen Wölbungen droben, …. Am Anfang denkst du dir, diese Textwurst kann ich nie und nimmer lernen und dann wird es zum Hochgenuss, ein Trip.

Schwindet, ihr dunklen
Wölbungen droben!
Reizender schaue
Freundlich der blaue
Äther herein!
Wären die dunkeln
Wolken zerronnen!
Sternelein funkeln,
Mildere Sonnen
Scheinen darein.
Himmlischer Söhne
Geistige Schöne,
Schwankende Beugung
Schwebet vorüber.
Sehnende Neigung
Folget hinüber;
Und der Gewänder
Flatternde Bänder
Decken die Länder,
Decken die Laube,
Wo sich fürs Leben,
Tief in Gedanken,
Liebende geben.
Laube bei Laube!
Sprossende Ranken!
Lastende Traube...

Das wird dann wie ein Gesang, wie ein Drive, die Geister fliegen hoch in die Luft, diesen Flow will ich ans Publikum weitergeben.“

Als Hochmair 2018 spontan für den erkrankten Tobias Moretti die Rolle des Jedermann übernahm, wurde er schlagartig einem breiteren Publikum bekannt. Was hat das mit ihm gemacht, was ist seither passiert, wollen wir wissen. „Ich bin zurück ans Theater gerufen worden, eigentlich hatte ich mich von der Bühne innerlich verabschiedet. Aber durch dieses Ereignis bin ich wieder zurück gekommen. Ich habe da eine Hürde erklommen, die ich mir vielleicht unbewusst gewünscht hatte. Es war wie eine Blitzreifung, eine innere Landung. Die äußere Entwicklung ist der Bekanntheitsgrad, die innere Entwicklung geht aber vielleicht in die Beruhigung. Man bekommt Gewissheit, dass man was kann, etwas worin man sich vorher vielleicht gar nicht gesehen hätte. Was man gar nicht als Qualität gesehen hatte. Das Ausmaß war mir fremd, vor 3.000 Leuten hatte ich bis dahin noch nie gespielt. Und dann ist es am Salzburger Domplatz um 17:00 Uhr noch wahnsinnig heiß. Es war wie Theater in der Bratpfanne!“

Was ist dein Lieblingsstück? Goethes Faust I.

Welche Balladen magst du besonders? Die Glocke und Der Taucher, beide von Schiller.

Am leichtesten ist...es, wenn meine Band gut drauf ist und ich auf ihren Sounds ins Surfen komme.

Was liest du? Gerade eigentlich leider nur Drehbücher und Kochbücher. Im Sommer habe ich die Biografie des großen Schauspielers Will Quadflieg gelesen, sehr rührend und spannend.

Möchtest du uns einen Film empfehlen?  Tiere  von Greg Zglinski. Da gibt es einen besonderen Wien-Bezug. Ein sehr besonderer Film.

Was läuft derzeit auf deiner Playlist? Die Elektrohand Gottes. Das entspannt mich am meisten. Wenn ich runter kommen will, höre ich mir oft unsere Rough Versuche aus den Anfängen an. Der erste Versuch Bürgschaft z.B., aufgenommen in einem Dresdner Schrebergarten: da bläst der Wind ins Mikrofon, der Nachbar kommt zufällig vorbei und spricht in die Aufnahme… das mag ich, work in progress. Ich höre aber natürlich auch andere Sachen... gerne den Soundtrack von Jim Jarmush`s Film „Dead Man" oder Pink Floyd beim Konzert im Amphitheater in Pompeji, The Doors…

Welchen Verein unterstützt du? Licht für die Welt. Durch meine Rolle als blinder Kommissar habe ich erkannt, was es bedeutet, blind zu sein. Ich habe recherchiert, war bei Dialog im Dunkeln, dem interaktiven Museum von Blinden für Sehende. Die Wahrnehmung ohne Augenlicht ist ganz ganz anders.

Was isst du am liebsten? Ich esse alles, was die Wiener Küche zu bieten hat. Ich mag Tafelspitz, auch Kutteln… Und die Wiener Mehlspeisen. Ich esse einfach alles gerne hier, bin „lokal oral“ fixiert!

Nach was schmeckt Wien? Nach Kaffee. Den trinke ich am liebsten im Café Hold in der Josefstadt.

Wohin gehst du gerne essen? In ursprüngliche Wiener Lokale, auch gern zum Heurigen...

Was hat Wien, was andere Städte nicht haben? Einen speziellen Cocktail aus Bösartigkeit, Süßlichkeit und Offenherzigkeit, der mir sehr gut gefällt. Die Vorstadtweiber passen gut hierher, und das Theater funktioniert hier sehr gut. Alles hier ist gleichzeitig negativ und positiv aufgeladen.

Was möchtest du Wien ausrichten: Bleib großzügig und offen und lass dich vom Kleingeist nicht klein kriegen.

www.philipphochmair.com


Fotos: Stefan Knittel

CD und Download: Werther!

Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.

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