Die Gemüse-Republik

Wolfgang Palme fotografiert von Nini Tschavoll
Wolfgang Palme fotografiert von Nini Tschavoll

Name: Wolfgang Palme, geboren 1966 in Wien, verbrachte in seiner Kindheit viel Zeit auf dem einfachen Bauernhof seiner Großeltern in der Steiermark, aufgewachsen in Wien. Der studierte Landwirt wohnt in Wien Mauer. Er unterrichtet und forscht seit 25 Jahren zu Gemüsebau. Dienstlich und in seiner Freizeit engagiert er sich für eine innovative Landwirtschaft.


Wolfgang Palme, Gründer und Betreiber der City Farm Wien im Augarten, steht mitten im neu angelegten Vielfaltsgarten und ist erleichtert. Denn obwohl noch lange nicht alles fertig ist, darf die Übersiedung des niederschwelligen Lehr- und Lerngartens aus Hietzing nach Leopoldstadt als geglückt bezeichnet werden. Der großgewachsene Gärtner ist dankbar, weil viele Rädchen ineinander gegriffen haben. Nicht nur Menschen, auch Dirndlsträucher und Grassamen haben mitgemacht.

Doch von vorne. Wolfgang Palme forscht und lehrt seit einem Vierteljahrhundert zum Thema Gemüsebau: „Das ist mein Lebensthema und für mich unteilbar. Teilbar ist nur meine Zeit: In Dienstzeit und Freizeit“. Der Absolvent der Universität für Bodenkultur forscht an der Höheren Bundes Lehr- und Forschungsanstalt HBLFA für Gartenbau zum Thema. In der Dienstzeit unterrichtet er auch aktive und künftige Gärtnerinnen und Landwirte und publiziert international in der Fachwelt.

Als leidenschaftlicher Lehrender wollte er sein Wissen über Bewirtschaftung und Gartenfrüchte aber gerne auch an Laien weitergeben. Deshalb initiierte er vor sechseinhalb Jahren in seiner Freizeit die City Farm Wien auf einem Versuchsgelände der HBLFA nahe Schloss Schönbrunn. Hunderten Wiener Kindern haben er und sein Team in dem Erlebnisgarten die Natur näher gebracht.

Rund 5000 Menschen besuchten die City Farm pro Jahr. Trotz des großen Zuspruchs hatte das kleine Glück im Grünen ein Ablaufdatum. Nach jahrelangen Verhandlungen bekamen Wolfgang Palme und seine Mitstreiterin, die renommierte Umweltjournalistin Ingrid Greisenegger, im Sommer 2018 ein Ersatzareal der Republik Österreich, eine ehemalige Baumschule im Augarten, zugesprochen.

Es galt, binnen kurzer Zeit Gstettn und Brachland in einen Garten zu verwandeln und für die neuen Kinder- und Erwachsenenkurse zu bepflanzen. „Wir haben bei 35 Grad Gras gesät und umgegraben. Also genau, wie man es nicht macht“, lacht er. Vielleicht lag es an der gedeihlichen Nachbarschaft zu den Wiener Sängerknaben, die bereits Weihnachtslieder probten. Das Gras grünte jedenfalls so üppig, dass manche einen Golfplatz-Rollrasen vermuteten.

Ein Wintergarten wurde bepflanzt, das 360 Quadratmeter Gewächshaus als Basislager und Klassenzimmer adaptiert, das Ökoklo installiert und die Umbaupläne für die alten Gebäude auf dem Areal eingereicht. Und die Feldhasenpopulation des Augartens rieb sich die Pfoten angesichts des aufkeimenden Schlaraffenlands.

Inzwischen schützt ein Zaun die City Farm und ihre Feldfrüchte vor den Nagern. Seit Jänner sind die neuen Junior City Farmer genauso wie erwachsene Urban Gardener am Zug. Die U-Bahn bringt sie am neuen Standort beinahe bis zum Gartentor. Die City Farm folgt dem Prinzip des "four seasons gardening".

Mit welchen Sorten das gehen kann, haben Wolfgang Palme und sein Team in der HBLFA-Außenstelle Zinsenhof bei Melk vor einigen Jahren entdeckt. Es zeigte sich, dass einige Salat- und Gemüsesorten die einschlägigen Lehrbücher offensichtlich nicht gelesen haben. Als versehentlich ein paar Salatpflanzen über den Winter stehen blieben, erwiesen sich diese auch unter minus fünf Grad als quietschlebendig. Dem Zufallsbefund folgten systematische Forschungsarbeiten mit verschiedenen Sorten. Inzwischen hat der Gartenbauer ein Buch zum Thema Wintergemüse geschrieben.

Auf der City Farm gedeiht aber nicht nur Gemüse, sondern erfahrungsgemäß auch die Persönlichkeit junger Menschen. Sie lernen Fertigkeiten, die woanders gar nicht mehr geschult werden. Eine Handvoll Samenkörner säen, ein Schauferl anpacken, über eine unebene Wiese laufen. Zu sehen, wie eine Karotte aus einem Samen wächst, das macht etwas mit den Menschen.

Die Entfremdung ist dramatisch, meint der City Farm-Chef: „Ich will die Gesellschaft wieder näher an elementare Dinge heranführen, an nachhaltige Lebensmittel und damit verbunden an einen ebensolchen Lebensstil. Auf der anderen Seite forschen und arbeiten wir an einer konsumentennahen, ressourcenschonenden und nachhaltigen Landwirtschaft.“ Denn obwohl die „Grüne Revolution“ ab den 1960er-Jahren die Erträge in Industriestaaten stark gesteigert hat, wird der enorme Input oft übersehen. Dem Output steht ein starker (fossiler) Ressourceneinsatz gegenüber und Naturzerstörung als Nebenprodukt, die sich im Preis der Ware nicht wiederspiegeln.

Die Supermärkte, wo wir aus Regalen pflücken, stehen „wie ein Klotz“ zwischen den KonsumentInnen und den LandwirtInnen. Die beiden Gruppen müssen wieder näher zusammenrücken, wie das in Food Coops heute der Fall ist: „Ich will sicher nicht zurück zu einer primitiven Landwirtschaft, in der sich Menschen schinden, um ein paar karge Früchte zu ernten. Innovative, zukunftsfähige Landwirtschaft bedeutet für mich eine kleinstrukturierte Landwirtschaft mit adaptierten Methoden und modernen Materialien und die kompromisslose Nutzung des enormen biologischen Potenzials von Boden und Pflanze. Aktuell verstehen die meisten darunter Drohnen, Sensoren, Satellitenbilder und Digitalisierung auf dem Feld.“

Gerade rund um Wien gibt es genug fruchtbares Land, um die Stadt und Niederösterreich gut zu ernähren. Von einem Hektar kann man gut leben und den kann ein Landwirt mit einem Akku-Radpflug gut alleine bewirtschaften. Die Technologie ist bereits da, aber die Struktur und der „geistige Unterbau“ fehlen Wolfgang Palme.

Er ist kein Freund von heimischen Tomaten aus beheizten, beleuchteten Glashäusern oder hydroponischen vertikalen Gärten: „Wir versiegeln fruchtbaren Boden, drei Hektar pro Tag, als wäre diese Ressource nicht endlich und wollen lieber Wurzeln in High-Tech Flüssigkeiten stecken.“ Er widmet sich lieber der sinnvollen Verbindung von Tierhaltung und Feldfruchtanbau (z.B. mit mobilen Hühnerscharen), dem biologischen Potenzial bestimmter Sorten (siehe Wintergemüse), oder dem Mistbeet im neuen Gewand.

Tomatensamen könnten zum beliebten Weihnachtsgeschenk werden, weil sie bereits im Februar gesetzt und im Folientunnel mit der Wärme des biologischen Abbaus Ende Mai geerntet werden können. Die City Farm ist ein Umschlagplatz für Forschungsergebnisse und gärtnerisches Praxiswissen. Befeuert durch Nachrichten zum Insektensterben, giftigen Pestiziden und Klimawandel wünschen sich viele einen anderen Lebensstil. Zentral in Wien zu garteln könnte ein Ausgangspunkt dafür sein.

Die City Farm bekommt keinerlei Förderungen. Die Kursgebühren und Beiträge für Schulklassen sind mehr symbolisch als ein Geschäftsmodell. Aber sie hat eine unterstützende Community und pflegt Partnerschaften. Ein neuer Pate ist der Wiener Marmeladekocher Staud’s, der die Beeren-Naschgarten- und Obstbaumpflanzung ermöglicht und die Ernte verarbeiten wird.

Damit auch sozial benachteiligte Kinder ein Schulsemester lang garteln können oder zumindest einmalig in Berührung mit Erde, Nützlingen, Saatgut, Pflanzenvielfalt und Geschmäckern kommen, gibt es Beet-Patenschaften. Und gemeinsam mit bellaflora, dem Hauptpartner der City Farm, kann man beim Gartenfest am 4. Mai die Saison-Beziehung zu einer Dattelwein-Tomate fix machen.

Bis dahin wird auch die Ecke der Kreisläufe fertig sein und das Hochbeet mit der größten Tomatenvielfalt Wiens. Zudem soll ein Weidenpavillon errichtet und die Ganzjahres-Solarküche übersiedelt sein. Nicht gleich zu sehen ist die Saat in vielen Kinderherzen, Kinderhirnen und Kinderhänden, die erst aufgeht.

Haben Sie einen Lieblingsplatz in Wien? Ich bin gerne in der Innenstadt, am Stephansplatz. Genauso gerne aber auch am Stadtrand, im Wienerwald. Ich wohne am Stadtrand und bin in ein paar Minuten im Wald.

Welche ist ihre Lieblingsjahreszeit? Gemüsemäßig ist es mittlerweile der Winter, seit ich mich mit meiner Forschung mit Wintergemüse intensiv befasse. Er ist jetzt für mich grün, frisch und saftig und hat dadurch eine völlig neue Dimension gewonnen.

Wohin gehen Sie gerne essen? Zum Beispiel zum Stafler in Wien Meidling. Sehr authentisch, der Wirt ist Südtiroler.

Ihre Wiener Lieblingsspeise? Krautfleckerln mit der unbekannten Kohlsorte Butterkohl.

Wie nutzen Sie die kulturellen Angebote in Wien? Leider aus Zeitgründen zu wenig. Morgen gehen wir ins Theater in der Josefstadt, Kammerkonzerte mag ich auch gerne.

Haben Sie einen Lesetipp für uns? Für Belletristik fehlt mir leider die Zeit. Früher als junger Mensch habe ich Lyrik in Anthologien veröffentlicht. Alois Vogel war mein Onkel, vielleicht hat er mich dazu inspiriert. Sprache ist mir sehr wichtig, der Sprachklang, das Bildermalen mit Sprache. Deswegen lese ich gerne in Gedichtbänden.

Haben Sie ein Lieblingsgemüse? Sehr schwere Frage, weil ich immer das, mit dem ich mich gerade befasse, besonders gerne mag. Die chinesischen Wok-Gurken esse ich sehr gerne, auch die asiatischen Salate. Essbare Zierkohle, Butterkohl, die ganzen Wintergemüse sind herrlich.

Was möchten Sie Wien ausrichten? Kommt in den Garten! Es ist schön, draußen zu sein und das Leben in seiner ganzen Vielfalt zu genießen.


Cityfarm

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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