Name: Susanne Auer-Mayer, geboren 1985 in Salzburg, von Beruf Professorin für Arbeits- und Sozialrecht, lehrt an der WU Wien, leitet das Institut für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht und lebt in Wien Leopodstadt
In der Arbeitswelt treffen spannende Entwicklungen aufeinander, die Beschäftigte, Jurist:innen und Betriebe gleichermaßen beschäftigen: All-in Verträge ohne Management-Position, Homeoffice-Regelungen, Fachkräftemangel, Erreichbarkeit rund um die Uhr am Smartphone, Babyboomer-Pensionierungswelle, Generation Z und Vier-Tage-Woche. MadameWien bittet daher die Arbeits- und Sozialrechtsexpertin Susanne Auer-Mayer zum Gespräch. Sie forscht und unterrichtet seit Frühling 2020 an der WU Wien. Ist die gebürtige Salzburgerin mit ihren Themen nicht ein Störfaktor an einer Wirtschaftsuniversität? „Ich hoffe kein allzu großer“, lacht sie, „aber die Jurist:innen haben im Haus tatsächlich eine Sonderstellung. Historisch hatten sie vor allem eine Hilfsfunktion für die Management- und BWL-Fächer. Inzwischen haben wir an der WU aber ein eigenes Studium ‚Wirtschaftsrecht‘. Arbeitsrecht hat den klaren Zweck, Arbeitnehmer:innen zu schützen. Das kann betrieblichen Interessen natürlich zuwiderlaufen.“
Eine öffentliche Universität ist Teil der Arbeitswelt, bereitet Studierende auf die Arbeitswelt vor und hat eine Vorbildfunktion. Aber gerade Forschung lässt sich nicht gut in ein Nine-to-five-Schema pressen, da nimmt sich auch die Professorin selbst an der Nase. Susanne Auer-Mayer begann Anfang März 2020 an der WU Wien: „Ich hatte eine ‚normale Woche‘, zu Beginn der zweiten wurde schon über einen Lockdown spekuliert, der dann auch kam. Ich bin dann für sechs Wochen zurück nach Salzburg, weil meine Wohnung in Wien noch nicht fertig eingerichtet war und ich bei meiner Familie sein wollte. Die Lehre auf online umzustellen hat relativ gut funktioniert. Zum Start in Wien hätte ich aber einfach gerne die Leute kennengelernt. Erst nach zwei Jahren bin ich erstmals richtig im Hörsaal gestanden.“ Die Digitalisierung macht uns örtlich ungebundener, Videokonferenzen sind heute normal und für ein kurzes Treffen müssen nicht mehr alle anreisen. Die Digitalisierung hat ihre Vorteile in der Covid-19 Pandemie, mal mehr, mal weniger schnell und – bei weitem nicht für alle gleich gut – ausgespielt.
Frage an die Expertin: Ist das Arbeitsrecht in dieser Hinsicht in Österreich à jour? „Im Großen und Ganzen ist unser Arbeitsrecht digitalisierungsfit, aber es gibt Baustellen. Das fängt damit an, dass ihm nur Arbeitnehmer:innen unterliegen.“ Die Rechtslage stellt aktuell stark auf die persönliche Abhängigkeit ab, mit Kriterien wie zeitliche und örtliche Bindung an den Arbeitsplatz und ob das persönliche Verhalten durch Weisungen bestimmt wird. Auch im Homeoffice ist man grundsätzlich Arbeitnehmer:in. Je flexibler man arbeitet, desto schwieriger wird aber die Abgrenzung zu Selbständigen. Ein solcher Grenzfall sind etwa auch Essenlieferant:innen, die Aufträge über eine App kommen, die zu- oder abgesagt werden können, was flexibel und unproblematisch klingt. Wenn aber Leute davon leben müssen und auf Aufträge angewiesen sind, sieht das anders aus. Zur Plattformarbeit ist daher auch eine Richtlinie der EU in Arbeit. Für Susanne Auer-Mayer ist die Europäische Union inzwischen „eine wichtige Institution für sozialen Schutz. Dies v.a. aufgrund der vielen grenzüberschreitenden Fragestellungen, die sich national gar nicht mehr regeln lassen“.
Das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) ist aus 1811 und die Regelungen über den Dienstvertrag sind aus 1916. Das Bild vom Normalarbeitsverhältnis stammt aus dieser Zeit und wurde trotz der industriellen Revolutionen nicht korrigiert. Stark in Diskussion ist aktuell die Ausweitung des Arbeitnehmerbegriffs, damit wirtschaftlich abhängige, flexibel Arbeitende mehr Schutz bekommen. Die Arbeitszeit ist ebenfalls ein schwieriges Thema. Für den Gesundheitsschutz sind Pausen und durchgehende Ruhezeiten wichtig. Dazu gibt es genug Studien. Die Regeneration ist ein wenig typabhängig, aber manchmal müssen Menschen auch vor sich selbst und vor Selbstüberschätzung beschützt werden. Derzeit sagt das Recht sehr klar: Nach sechs Stunden Arbeit braucht es eine halbe Stunde Pause, es sind 11 Stunden ununterbrochen Pause bis zum nächsten Arbeitsbeginn vorgesehen und einmal pro Woche 36 Stunden Ruhezeit. Das ist im Wesentlichen auch unionsrechtlich vorgeschrieben. „Das ist dem Grunde nach wichtig und richtig, steht aber in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Flexibilität, die viele Arbeitnehmer:innen haben wollen. Etwa das Schönwetter am Freitag nutzen und dafür am Sonntag arbeiten.“ Aber wenn man hier Regelungen lockert, besteht die Gefahr, dass man die „Büchse der Pandora“ öffnet. Dass es nicht mehr nur jene machen, die das punktuell wollen, sondern Druck auf die anderen Arbeitnehmer:innen entsteht.
Ein guter Moment, um über die Generation Z zu sprechen. Die Ö3 Jugendstudie wurde gerade veröffentlicht: Sinn, Zeit und Sicherheit im Job sind vielen sehr wichtig oder wichtig. Liegen die jungen Menschen ganz richtig und sprechen einfach aus, was sich eigentlich alle wünschen? Muss ihren Anforderungen nachgegeben werden? Die aktuell hohe Nachfrage am Arbeitsmarkt kommt den jungen Arbeitnehmer:innen sicher zugute, so Auer-Mayer, „wir wissen nicht, wie nachhaltig das ist. Ich erkläre am Anfang meiner Vorlesungen immer, dass das Arbeitsrecht die Schwächeren schützt, die ihre Arbeitsbedingungen nicht so gut beeinflussen können. Vielleicht muss ich mir zumindest vorübergehend etwas Neues überlegen.“ Die Arbeitgeber:innen können momentan nicht mehr alles vorgeben. Das liegt also nicht nur an der Gen Z und es ist sicher nicht so, „dass die alle nichts arbeiten wollen“. Die Grundfrage bleibt: Was ist freiwillig? Wie wirkt elektronische Kommunikation? Wozu fühlt man sich verpflichtet und was löst sie aus? Da wäre es wichtig, in Unternehmen das Bewusstsein für klare Kommunikation zu stärken und Erwartungen anzusprechen. Auf europäischer Ebene geht es beim „Recht auf Nichterreichbarkeit“ stark um organisatorische Maßnahmen zur Sicherstellung der Erholung.
An der Universität beschäftigt sie sich mit der Auslegung von Rechtsnormen. Die Pandemie war arbeitsrechtlich spannend, etwa in Hinblick auf das breit verordnete Homeoffice oder die Kurzarbeit: Die meisten haben im Vertrag als Arbeitsort den Betrieb vereinbart: „Man hat sich auf Homeoffice geeinigt, aber arbeitsrechtlich stand keineswegs fest, dass die Arbeitnehmer:innen dorthin wechseln mussten. Wenn die Arbeit im Betrieb vorübergehend nicht möglich ist, etwa auch wenn es dort brennt, ist das an sich nicht das Problem der Arbeitnehmer:in.“ Der Gesetzgeber hat später ausdrücklich festgehalten, dass es für die regelmäßige Arbeit im Homeoffice eine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer:in und Arbeitgeber:in braucht. Die Digitalisierung schafft auch Überwachungsmöglichkeiten, die rechtlich problematisch sind (z.B. Key Logger, Dienstwagen mit GPS, Tools zur Anfertigung laufender Screen Shots). Offen ist etwa auch, wie betriebliche Interessenvertretung via Videokonferenz funktioniert.
Es werden im Nachgang der Pandemie noch mehr arbeitsrechtliche Fälle vor Gericht kommen, schätzt Susanne Auer-Mayer. Angefangen hat es etwa bereits mit den Fragen: Was darf ich am Arbeitsplatz – mit oder ohne Maske und geimpft oder nicht geimpft? Arbeitrechtler:innen geben Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen ab „oder die Gesetze werden erlassen und wir geben Hilfestellungen für die Auslegung, schreiben Aufsätze, betten Arbeitsrecht in andere Rechtsmaterien ein und widersprechen uns dabei – zugegeben – auch gegenseitig“. Was lockt Susanne Auer-Mayer an der Tätigkeit? Wieso hat sie Lust, sich täglich mit Arbeits- und Sozialrecht zu beschäftigen? „Dieses Recht ist extrem praxisrelevant und betrifft jede und jeden bei der Arbeit oder wenn wir krank werden. Es lohnt sich, hier mitzugestalten und den Diskurs zu verbreitern. Wir arbeiten nicht für die Schublade.“
Wien im Vollbetrieb lernt die WU-Professorin nach und nach immer noch kennen: „Es war erschreckend, durch den völlig leeren Prater zu gehen. Das war vielleicht für Wiener:innen im Lockdown ein tolles Erlebnis. Als ‚Neo-Wienerin‘ lässt mich das pulsierende Leben mit Schanigärten und Menschen auf der Straße durchatmen.“
Was würden Sie für eine saubere Trennung von Arbeit und Freizeit empfehlen? Die Push Funktion beim E-Mail ausschalten oder den Berufs-Account am besten gar nicht erst aufs private Handy installieren. Sich auch im Homeoffice Struktur geben, sich vornehmen und einhalten, wann man arbeitet. Sich immer wieder die Frage stellen: Ist das so wichtig und so dringend, dass ich es in meiner Freizeit machen muss? Sich überlegen, was das eigene Handeln bei anderen Personen bewirkt.
Ihr Wiener Lieblingsort? Ich bin sehr gerne am WU-Campus, finde ihn wirklich schön mit dem Grünen Prater, verbringe hier aber nicht unbedingt meine Freizeit.
Ich mag etwa auch die Gegend um den Vorgartenmarkt und die Wiener Innenstadt, bin aber schon neugierig auf viele weiter schöne Plätze, die mir hoffentlich noch gezeigt werden.
Ihr Wiener Lieblingswort? Die Angabe der Uhrzeit mit „viertel zwölf“ finde ich großartig, auch wenn ich als Westösterreicherin immer noch manchmal verwirrt bin. Jurist:innen mögen ja Logik und das „viertel – halb – dreiviertel“ ist an sich sehr logisch. Insofern gewöhne ich mich gerne daran.
Wie und wo entspannen Sie? Ich gehe gerne spazieren und am Wochenende wandern. Und ich gehe sehr gerne gut essen, da lerne ich immer noch viele Lokale kennen.
Ihr Lieblings Afterwork Platzerl? Im Glashaus und – wenn es etwas Besonderes sein darf – in der Sattlerei war ich schon öfter. In Fußnähe von Arbeit und Zuhause gibt es noch sehr viel, das ich ausprobieren möchte.
Ein Tipp zum Einhören oder Einlesen Ihr Thema? Podcasts von juristischen Verlagen wie zum Beispiel die arbeitsrechtlichen Podcasts von Manz oder Linde. Auch Rechtsanwaltskanzleien bieten Podcast zu verschiedenen Fragen an. Etwa hier. Hilfreiche und gut aufbereitete Informationen zum Einstieg finden sich auch auf den Websites von Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer.
Ihre Botschaft für Wien? Ich bin sehr begeistert von Wien. Also: Bleib‘ wie du bist!
Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.
Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.