Wien ist ein gemischter Satz

Name Jutta Ambrositsch, geboren 1974 in Wolfsberg (Kärnten), ausgebildete Grafikerin, Beruf Winzerin, wohnt in Wien Landstraße.


An vierzehn Wochenenden im Jahr wird die Winzerin Jutta Ambrositsch zur Heurigenwirtin in Grinzing. Seit 2008 betreibt die Ex-Werbegrafikerin eine „Buschenschank in Residence“. Dort wird gemäß der Tradition heuriger Wein eigener Produktion ausgeschenkt und kalte Speisen serviert. Sonst nichts. Mit diesem puren und radikalen Zugang haucht die spätberufene Weinbäuerin einem Wiener Original neues Leben ein und lockt Menschen an, die den Traditions-Weinort zwischen Idylle, Kitsch und Bustourismus lange gemieden haben.

Für Jutta Ambrositsch führt der Weg von der Werbeagentur in den Weingarten zurück zu den Wurzeln. Er ist gepflastert mit purem Willen, Lernbereitschaft und Knochenarbeit. 2004 gestand sich die Absolventin der Wiener Kunstschule ihre tiefe Sehnsucht nach Arbeit mit den eigenen Händen und Erde unter den Fingernägeln ein. Als sie noch als Art-Director für eine Werbeagentur arbeitete, tauschte sie wochenends Computermaus gegen Gartenkralle, um mit ihrer Mutter den Gemüsegarten umzugraben.

Angefangen hat sie 2004 mit 127 Rebstöcken auf dem Eisenberg im Bezirk Oberwart, die Uwe Schiefer für sie vinifizierte. Der erste eigene Jahrgang aus Wien im Jahr 2005 bestand aus 650 Flaschen restsüßen Rieslings – nicht gerade die beliebteste Weinsorte in Österreich. „Ich war ein No-Name mit einem quasi unverkäuflichen Wein“, erinnert sie sich lachend an den holprigen Start. Heute bewirtschaftet sie gemeinsam mit ihrem Mann sieben Weingärten mit insgesamt fünf Hektar auf den Weinbergen rund um Wien in Stammersdorf, Grinzing und Sievering. Und sie verarbeitet die Trauben selbst zu typischen Wiener Weißweinen wie Grüner Veltliner, Riesling oder Gemischter Satz.

Die spätberufene Weinbäuerin ist radikal im Wortsinn: Radix ist die Wurzel und in allen Wein-Belangen geht sie dorthin zurück. Die alt-eingesessenen Wiener Winzer beäugten die Quereinsteigerin natürlich argwöhnisch, erwiesen sich aber als hilfsbereit. Das liegt wohl daran, dass Jutta Ambrositsch, verheiratete Kalchbrenner, freundlich fragt, hartnäckig nachhakt und sichtbar hart arbeitet. 2005 gab sie ihren gut bezahlten Job für zwei Winzerpraktika auf und bewirtschaftete gleichzeitig akribisch ihren ersten Viertel Hektar Weingarten: „Mit Mut hat das nichts zu tun. Eher mit schierem Willen. Ich wollte es lieber wagen, als später ewig zu bedauern, dass ich es nicht einmal versucht habe“, sagt Jutta Ambrositsch.

Sie macht fast alles selbst. Nur Traktorarbeit und Kellertechnik mietet sie an. Ein Weinfass nennt sie ihr eigen, aber im Keller eines befreundeten Winzers in Stammersdorf kann sie mit hochqualitativem Equipment ihren Wein keltern: „Ich investiere viel Energie, um die besten Trauben zu produzieren. Früher tat es mir sehr leid, sie abzuschneiden. Inzwischen tröste ich mich damit, dass sie nur den Aggregatzustand ändern. Ich habe nun auch schon Rebstöcke ausgerissen und neu gepflanzt“.

Obwohl Ambrositsch Wein gänzlich in Wien gemacht wird , ist es gar nicht so leicht, ihn hier zu kaufen: Nur wenige Geschäfte führen sie im Sortiment. Die rund 20.000 Flaschen im Jahr werden zu 80 Prozent exportiert. Ihre Kunden aus dem Ausland sind immer wieder überrascht, aber „unsere Art von Weinbau passt gut in die Stadt. Wo das Herz ist, da wollte ich auch meinen Wein machen. Leichter wäre es wohl gewesen, wenn ich dafür aufs Land gezogen wäre.“ Verkostungen finden oft in ihrer Wohnung im dritten Bezirk statt, beim Arenbergpark mit dem wuchtigen Flakturm. Wenn es das Wetter erlaubt, werden – einmal quer durch die Stadt – die Weingärten besucht. Und auch anderen Gästen zeigt sie Wien gerne von oben. Die Aussicht muss man sich aber mit einem steilen Anstieg auf einen Weinberg erarbeiten.

Zum Glück hat ihr steter Begleiter im Weingarten gleich vier Beine. Foxterrier Edgar ist so etwas wie ein Markenzeichen geworden. Bei der Arbeit konzentriert sie sich oft so auf den Weinstock vor sich, dass sie das wunderbare Panorama ihres Arbeitsplatzes gar nicht wahrnimmt. Sie erinnert sich aber an das erste Mal auf dem Nußberg: „Ich habe mir gedacht: Das ist wie eine Fototapete.“

Am besten kauft und trinkt man ihre Weißweine beim temporären Heurigen in Grinzing, den Jutta Ambrositsch mit ihrem Mann betreibt. Wer sich bei ihrem „Buschenschank in Residence“ Kerzen, Zithermusik, kariertes Tischtuch, Bier, Stelze und Blumenschmuck erwartet, dreht auf dem Absatz um. Auch hier hält sie es pur, echt und radikal einfach. Wenn sie ausg’steckt hat, liefern andere kleine Produzenten die Zutaten für das Heurigenbuffet. Es gibt nur selbst gemachte kalte Speisen und dazu vielleicht ein Achtel vom „Ein Liter Wien“, „Gemischter Satz „ Satellit“ oder „Sieveringer Ringelspiel“.
Weil es in ihrem Fall ganz um das Produkt geht, hat der Heurige von Jutta Ambrositsch noch einen kleinen Dreh: Hier holt man sich Wein und die Erläuterungen an der Schank selbst, dafür wird das Essen serviert

Was liest du? Ich mag Thomas Bernhard und Haruki Murakami. Gerade lese ich „Die Vegetarierin“ der koreanischen Autorin Han Kang.

Deine Lieblingsmusik? Johann Sebastian Bach.

Bist du Mitglied bei einem Verein? Ja, bei der  Vereinigung 11 Frauen und ihre Weine.

Was sind deine Lieblingslokale? Echte Wiener Klassik ist der Eckel in Sievering. Dort ist die Welt noch in Ordnung , gerne gehe ich auch Zum finsteren Stern , ins Café Engländer oder ins Café Prückel.

In welcher Bar lässt du den Abend in der Stadt gerne ausklingen? Früher war ich nach der Arbeit oft in der Loos Bar . Und natürlich immer gerne im Unger + Klein Hinterzimmer, da gibt es meinen Wein!

Dein Lieblingsheuriger? Der Hengl-Haselbrunner in der Iglaseegasse im 19. Bezirk.

Wien schmeckt nach … ? Mein vegetarisches Wien schmeckt sehr gut: frisch, bunt und nach vielen Einflüssen. Andere würden vielleicht sagen, Wien ist ein bissi ranzig und schwer von viel Panier.

Was isst du am liebsten in Wien? Als Vegetarierin die Beilage zum Tafelspitz. Cremespinat und Rösti. Von mir aus könnte jeden Tag Gründonnerstag sein.

Wo entspannst du dich am besten? Zuhause, im Gastgarten, wenn er nicht zu sehr wuchert und in Ausstellungen.

Die letzte Ausstellung, die du gesehen hast? Balthus im Kunstforum Wien.

Gibt es Orte in der Stadt, die dich inspirieren? Ich gehe gerne in Ausstellungen, etwa in die Albertina oder im Wien Museum. Und ich gehe gerne über die Eiserne Hand zum Kamaldulenser Friedhof.

Deine Lieblings-Shoppingadressen in Wien? Ich brauche ja quasi Funktionskleidung und mein Universalausstatter dafür – von Hundehalsband bis Gummistiefel – ist der Kettner. Mir fehlt der spielerische Zugang zum Shoppen. Ich mag die Wollpullover von Boutique Atlas in der Wollzeile. Wenn ich zu viel Geld hätte, würde ich es in Boutiquen wie Firis oder Song tragen.

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.

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