Gut gelandet

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Maria Bill fotografiert von Nini Tschavoll

Name Maria Bill, geboren im Kinderdorf Pestalozzi in der Schweiz, Beruf Schauspielerin und Sängerin, wohnt bereits länger als ihr halbes Leben in Wien


Dass ihr Bühnenbretter die Welt bedeuten, fand Maria Bill in einem ganz besonderen Dorf in den Hügeln des Kanton Appenzell heraus. Als zweite von vier Töchtern wuchs sie im internationalen Kinderdorf Pestalozzi auf, wo ihr Vater zunächst Lehrer und dann Dorfleiter war, und ihre Mutter in der Organisation mithalf. Die jährlichen getanzten Theateraufführungen vor den Unterstützern der Betreuungseinrichtung bedeuteten für sie schon ab den Proben und Vorbereitungen Bühnenfieber.

Die musikalische Ader pulsierte in der gesamten Familie Bill: „Meine Schwestern und ich haben nach der Geburt neben einem Namen auch je ein Instrument zugeteilt bekommen. Ich habe Klavier gelernt und jeden Sonntag musizierten wir gemeinsam. Da wurde die tickende Uhr abgestellt und der Hund in die Küche verfrachtet, er jaulte dort laut mit“, erinnert sich Maria Bill.

Das Kinderdorf Pestalozzi wurde nach dem Zweiten Weltkrieg – auch mit der Zielsetzung der Völkerverständigung – gegründet. Maria wurde ins „Hamburger Haus“ mit rund 15 Bonusgeschwistern hineingeboren, später übersiedelte die Bill-Familie in ein altes Bauernhaus im Kinderdorf. Dort gab es viele  Haustiere, von Katzen, Hühnern und Tauben bis zum Pony und zum Haushund. Kulturelle und sprachliche Vielfalt mit Kindern aus insgesamt zwölf Nationen gehörten zum bunten Alltag, bereicherten und prägten ihr ganzes Leben.

Ihre Eltern spürten den Hang zur Bühne, verordneten ihr aber zunächst ein solide Berufsausbildung. Maria Bill wurde also Grundschullehrerin und fuhr mit dem Lehrerpatent in der Tasche nach Zürich, wo sie die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule bestand und drei Jahre studierte. Der Brotberuf ermöglichte es ihr, in Spielpausen auf Kurzzeitstellen Geld zu verdienen. Ihre richtige Bühnenkarriere begann 1971 im Theater am Neumarkt in Zürich.

Nach Wien kam Maria Bill mit einem Umweg über Paris und Berlin. Das Neumarkt-Ensemble beschloss nach drei Jahren, dass das Nesthäkchen erst einmal die Mühen der Theaterebene in der Provinz kennenlernen sollte und schmiss sie so per Ensemblebeschluss raus. Das setzte ihr ganz schön zu. An diesem Tiefpunkt begegnete sie Christoph Marthaler, heute ein gefeierter Regisseur, der damals als Straßenmusiker in Zürich mit je einer Flöte in einem Nasenloch Musik spielte. Er riet ihr, die Theaterschule von Jacques Lecoq in Paris zu besuchen.

Dort entfachte Maria ein breites Repertoire mit Gesang, Tanz, Artistik, Clownerie und Commedia dell’Arte bis zur Pantomime: „Es war eine internationale Schule, Sprache stand deshalb nicht im Mittelpunkt. Wir haben uns oft mit Händen und Füßen verständigt. Das Sprachtalent hatte ich ohnehin aus dem Kinderdorf mitgebracht.“ Zurück in Zürich traf sie auf das fahrende „Flittertheater“ des Regisseurs Hans Gratzer, dem sie sich anschloss. An einer Station der Theatertruppe in Berlin lernte sie ihren späteren Ehemann Michael Schottenberg kennen, von dem sie mittlerweile getrennt lebt.

Gratzer eröffnete 1978 das „Schauspielhaus“ in Wien und Maria Bill wurde Ensemblemitglied der ersten Stunde. Das Leben in einer gleichgesinnten und extrovertierten Theaterfamilie ließ sie rasch in Wien ankommen und Anschluss finden. „Wir haben pausenlos geprobt, zogen abends noch um die Häuser, ruhten, und am nächsten Tag ging es wieder von vorne los. Am Eröffnungsabend hat das Ensemble bereits im Kostüm noch die Häusl’n geputzt, während Menschen in Abendrobe mit Sektglas die Räumlichkeiten bewundert haben“, erinnert sie sich.

Die damaligen Querelen auf dem Amt, das Bangen und Warten am Magistrat, die Unannehmlichkeiten, die ein Zuzug in eine große Stadt so mit sich bringen kann, hat sie erfolgreich verdrängt. Maria Bill ist Weltenbürgerin mit Schweizer Pass, die sich von Wien adoptiert fühlt. Sie hat sich das internationale Flair in die Stadt geholt und findet Wien nicht mehr so grau und verschlossen, wie es in den 1970er-Jahren auf sie wirkte.

Viele Menschen assoziieren Maria Bill mit nur zwei Rollen. Mit Édith Piaf, die sie in einem Stück am Schauspielhaus verkörperte (Premiere 1982, Gastspiele in Deutschland und der Schweiz) samt der Interpretation ihrer Lieder als „Spatz von Wien“. Und als Sängerin des Austrop-Hits „I mecht land’n“ aus 1983. Eine Plattenfirma wollte nach dem Theatererfolg mit ihr ein Album „Bill singt Piaf“ produzieren, aber das gefiel ihr nicht: „Ich hatte immer großen Respekt vor Édith Piaf und ihrem Können und habe gesagt: Die gibt es doch schon im Original. Ich habe auch eigene Lieder.“ Tatsächlich hatte sie die meisten Songs für ihr erstes Album bereits in der Schublade: „Ich habe mit 14 Jahren im Kinderdorf begonnen, Lieder zu schreiben, wie andere Teenager Tagebuch, im Auf und Ab der Gefühle, die man da erlebt. Ich war nie eine gute Pianistin, aber das Klavierspielen hat mir beim Komponieren geholfen.“

„I mecht land’n“ schrieb sie hier und sie hat sich dafür stark mit dem Wiener Dialekt auseinandergesetzt. Nach drei Alben in fünf Jahren machte sie erst einmal Schluss mit der Karriere als Sängerin, denn „die Leichtigkeit, das Bedürfnis und die Inspiration für Lieder wurden von der Erwartungshaltung und dem Veröffentlichungszwang unterdrückt.“

Danach spielt sie viele Jahre Theater: In der Josefstadt, am Burgtheater und im Akademietheater, im Volkstheater und auch bei den Salzburger Festspielen. Lieder von Édith Piaf (1997, 2013) und von Jacques Brel (2001) veröffentlichte sie erst später, als sie sich sicher war, eine eigene Interpretation gefunden zu haben.

„Mit Brel bin ich groß geworden und ich habe geheult, als er mit 41 Jahren gestorben ist. Er singt kritisch-witzig-frech über große Themen wie Tod, Glaube und Tradition. Wenn ich mich verloren fühle, tröstet mich seine Musik und ich fühle mich ihm verbunden in Herz und Kopf. Die Piaf deckt für mich das Thema Liebe in allen Facetten ab.“ Sie verschmilzt weder mit Édith noch mit Jacques, aber sie lebt ihre Lieder intensiv, leiht diesen Künstlern ihre Stimme, erzählt von ihrem Leben und gewinnt immer noch neue Blickwinkel auf deren Werke und Geschichte, die sie gerne mit ihrem Publikum teilt. „Die beiden haben mir in meinem Leben viel ermöglicht“, lächelt sie.

Maria Bill ist auch Spezialistin für Lieder von Kurt Weill und sie hat in vielen Stücken von Berthold Brecht gespielt. Deren gesellschaftskritische Ausrichtung bezeichnet sie als ungebrochen aktuell. Das aufregendste ist für die „Die sieben Todsünden“, aber auch „Mutter Courage“ und natürlich die „Dreigroschenoper“. Für ihre „Jenny“ wurde sie 2017 mit dem Nestroy Schauspielpreis für die beste Nebenrolle ausgezeichnet. Ihre Stimme hat sie auf der Vertonung des Kinderbuchklassikers „Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel“ von Mira Lobe auch einem nimmermüden Mädchen geliehen.

Sie konnte und kann nicht jedes Lied zu jeder Zeit singen. Manchmal wird der Abstand zum eigenen Befinden zu gering und dann stellt sie eines zurück und holt lieber ein anderes aus ihrem reichhaltigen Repertoire. Bei ihrem Auftritt „Maria singt Bill“ im Stadtsaal im Jänner wird sie Lieder aus verschiedenen Epochen singen: „Ich habe mich bei jedem einzelnen Lied für das Programm gefragt, ob es noch Gültigkeit hat. Es sind Lieder, die zwar nicht mein Ich jetzt, hier, heute geschrieben hat, aber durch meine wunderbare Band, lauter jüngere Kollegen, wurden die Arrangements erfrischend in die Jetztzeit transponiert.“

Maria Bill genießt es, nicht mehr pausenlos im Hamsterrad von Proben und Aufführungen zu stecken. Ihr Leben vergleicht sie mit einem Ozean, die Auftritte mit Lichtinseln. Die Inseln liegen heute einfach weiter auseinander und sie kann sie gezielt ansteuern. Es ist freudvoll für sie, auf interessanten Bühnen zu stehen, aber sie ist nicht mehr ständig unter Strom.

Sie arbeiten seit 1971 als Künstlerin. Wie bekommt man so eine lange Bühnenkarriere überhaupt hin? Gibt es genug spannende Engagements für Frauen im fortgeschrittenen Alter? Als ich mir meinen Wunschberuf ausgesucht habe, war mir klar, dass man die Schauspielerei ein ganzes Leben lang ausüben kann, weil ja auch die Großmütter authentisch verkörpert werden müssen. Allerdings habe ich nach „Kottan“ und „Trautmann“ meine TV-Karriere nicht intensiv genug weiterverfolgt. Aber ich mache Lesungen und Konzerte, neulich etwa Erik-Satie-Lieder in einer Kirche mit Orgelbegleitung.

Welche Bedeutung hat Wien für Sie? Es ist einer der Orte, an denen ich mich Zuhause fühle.

Was gibt es nur in Wien? Die Internationalität und geniale Verschmelzung von Ost und West, eine lebendige Stadt, die sich immer wieder neu sortiert. Ich hoffe, dass diese Lebendigkeit unter der neuen Regierung bleibt und man die Geschenke aus anderen Kulturen annehmen kann.

Gibt es Plätze oder Orte in der Stadt, die Sie inspirieren? Ich glaube, dass ich eigentlich ans Meer gehöre. Wenn es in Wien ein Meer gäbe, wäre der Strand an der Wotruba Kirche in Wien Mauer. Weil es aber kein Meer gibt, gehe ich leidenschaftlich gerne an die Donau oder ich radle auf die Donauinsel. Und ich bin gerne „oben“, etwa am Cobenzl und am Kahlenberg, wo man auf vielen Wegen nach unten spazieren kann nach Grinzing oder Sievering. Und dann beim Heurigen einen Flieger mitnehmen, herrlich. Der Prater mit seinen Gewässern und seiner Hauptallee ist ein auch Anziehungspunkt für meine Ausflüge.

Wie riecht Wien? Wien riecht nach Fiakergulasch und Kastanienblüten.

Und wie klingt Wien? Für mich klingt es nach Glockengeläute und Marianne Mendt.

Wie schmeckt Wien? Nach Verhackertem auf Brot mit einer Prise Geraunze als Gewürz, und einem erfrischenden Glas Grünen Veltliner mitten in den Reben des Kahlenbergs.

Welchen Wiener oder Wienerin, historisch oder aktuell, bewundern Sie? Helmut Qualtinger und Cecily Corti, die die Vinzirast leitet.

Was lesen Sie aktuell? Eben fertig gelesen habe ich „Hier bin ich“ von Jonathan Safran Foer. Momentan beschäftigt mich das Buch „Stille“ von Erling Kagge, und als nächste lese ich „Americanah“ von Chimamanda Ngozi Adichie.

Ihr allerliebster Lieblingssong? You are so beautiful“ von Joe Cocker.

Für welche soziale Einrichtung schlägt Ihr Herz? Ich denke gerade über ein längerfristiges soziales Engagement nach. Das Gute an meinem Beruf ist, dass man immer wieder Benefiz-Veranstaltungen machen kann – zuletzt war ich dabei beim 20-Jahr-Jubiläum des AIDS Hilfe Haus Wien.

Ihr Lieblingslokal ? Ich liebe die asiatische und die spanische Küche. Tapas esse ich gerne im „Puerta del Sol“.

Lieblingsbar für einen Absacker? Absacker passieren mir nicht mehr oft. Das ging früher gut, aber heute leide ich dann drei Tage. Ich muss und will weiterarbeiten, will lesen, reisen und singen und daher versuche ich möglichst auf meine Gesundheit zu achten.

Wo entspannen Sie sich am besten? Mit Blick aufs Meer spür’ ich die Entspannung. Ich kann heute alles etwas ruhiger angehen. Mit einem guten Buch und einer Tasse Kaffee noch einmal ins Bett schlüpfen ist herrlich. Ich entspanne mich und werde ruhig, wenn ich Musik von Johann Sebastian Bach höre.

Haben sie Lieblingsdestinationen? Griechenland ist meine zweite Heimat. Mit meinem Sohn Tany war ich zuletzt in Portugal, wo wir die Musik von Salvador Sobral lieben gelernt haben. Gerade überlege ich, als Volontärin in den harnas wildlife park nach Namibia zu reisen.  

Wo gehen Sie gerne einkaufen? Meist gehe ich nicht gezielt einkaufen, die besten Sachen finde ich ganz zufällig, so z. B. im Qwstion in der Westbahnstraße, da gibt’s coole Sachen.

Was möchten Sie Wien ausrichten? „I woll’t so gerne landen und jetzt bin i an’kommen“. Mit weltoffenen Herzgrüßen.

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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