Name Ali Mahlodji, geboren 1981 in Teheran, aufgewachsen in Traiskirchen und Wien. Auf seiner Visitenkarte steht Chief Storyteller, aber sein Beruf ist Größter Lehrer der Welt, Genauer Beobachter der Welt und Übersetzer verschiedener Sichtweisen auf die Welt. Seine Berufung ist Weltretter und EU-Jugendbotschafter, wohnt in Wien Alsergrund
Ali Mahlodji hatte als Kind nicht alle Möglichkeiten und ist froh darüber. Die Erfahrung von Mangel bereichert den Mitgründer der Plattform Whatchado bis heute. Seine Eltern flohen aus Teheran nach Wien, als er zwei Jahre alt war. Immer wieder fühlte er sich als Jugendlicher wie ein Fehler im System. 2011 erfüllte er sich – und allen anderen 14-Jährigen – seinen lang gehegten Wunsch: Ein Handbuch für sämtliche Berufe der Welt.
Ali hatte in seinem Leben schon 1001 Ideen, kann 1001 Anekdoten erzählen, hat als gefragter Vortragender seine Geschichte 1001 Mal erzählt und damit weit mehr als 1001 Menschen begeistert. Aber er ist kein Märchenonkel, sondern ein Macher. Man kennt ihn als Ideengeber und Mitgründer der Online-Plattform whatchado.
In der Nacht vor unserem Gespräch hat Ali nicht viel geschlafen. Er hat die erste Version seines im Herbst erscheinenden Buches fertig gestellt und 250 Seiten an die Lektorin abgeschickt. Und dann noch eine neue Geschäftsidee in sein Notizbuch gescribbelt. „Das ganze Leben ist eine Reise zu sich selbst“, konstatiert er etwas übernachtig.
Aus dem operativen Geschäft bei whatchado hat sich der „Geburtshelfer“ 2015 zurückgezogen. Begleitet hat er die Firma vom Start 2011 mit drei Freunden und 17 Videos bis zu den 60 Mitarbeitern und 5000 Videos heute. Auf seiner Visitenkarte steht „Chief Storyteller“.
Er selbst bezeichnet sich als „freies Radikal“. Er ist im Vorstand der Firma für die strategische Weiterentwicklung des Bildungsbereichs, für whatchaskool und als Außenminister mit aufgestellten Antennen unterwegs. Er trägt vor, berät und konzipiert, motiviert und inspiriert in Schulen und Firmenzentralen.
Warum kommt Ali bei (jungen) Menschen so gut an? Wenn er redet, schaut keiner aufs Handy, alle hören zu. 2013 wurde er zudem zum EU-Jugendbotschafter gewählt. Fun Fact, weil wir schließlich in Österreich sind: Das ist eine Funktion auf Lebenszeit! Aber zurück zum Gespür für junge Menschen.
Er sagt ihnen, (1) dass man sich Alter, Geburtsort und die Eltern nicht aussuchen kann, auch wenn viele Menschen glauben, ihr Leben in der heutigen Welt planen zu können. (2) Jedes Leben ist endlich. Und in dieser Zeit kann man (3) jederzeit etwas verändern, Fehler machen, Regeln infrage stellen, aber nicht das Gesetz brechen.
Auf Augenhöhe zu agieren und die Menschen dort abzuholen, wo sie emotional stehen, ist sein Rezept. Diesen kleinen Aufwand – Arbeit würde er das nie nennen – investiert Ali gerne und immer wieder aufs Neue: „Ich habe gelernt die vorherrschende Emotion im Raum zu spüren und sie für anhaltende Aufmerksamkeit zu nutzen. Ob dicke Luft herrscht oder dieselbe Wellenlänge, kann jeder spüren. Es ist den Menschen eingebaut.“ Die meisten haben es nur verlernt.
So gelassen war Ali mit 14 Jahren nicht. Da war er wütend und orientierungslos. Also will er heute 14-Jährigen zeigen, welches Potenzial sie haben: „In zehn Jahren sind diese jungen Menschen die Erwachsenen in der Welt, dürfen wählen, sind vielleicht Eltern, zahlen Steuern und prägen die Arbeitswelt. Wenn ich die Welt verbessern will, muss ich heute in junge Menschen investieren, weil sie in Zukunft mitbestimmen.“
Damit denkt er sein eigenes Mantra konsequent weiter. Jugendliche sollen Erwachsenen, Fachleuten, Lehrenden nicht gram sein, wenn diese sagen, dass etwas „so – einfach – sicher nicht“ geht. Menschen, die schon länger am Leben sind, betrachten die Welt durch die Brille ihrer Erfahrungen. Sie verkörpern das Wissen der Vergangenheit, maximal der Gegenwart. In ihrer Welt, mit der Summe der jeweiligen positiven und negativen Erlebnisse, kann so manches nicht funktionieren.
So war es auch mit whatchado. Alle fragten den Jugendlichen Ali: „Was willst du werden?“ Und er wünschte sich ein „Handbuch der Lebensgeschichten“ herbei, um zu sehen, was es alles gibt auf der Welt und wie Millionen Menschen zu ihren Berufen gekommen sind. Die Reaktion auf seine Idee? Das geht nicht. Wenn das ginge, hätte das schon jemand gemacht. Wenn das eine gute Idee wäre, gäbe es das ja schon. Das ist nicht wissenschaftlich fundiert. Zugegeben musste erst das (unvorstellbare) Internet erfunden werden, um whatchado Wirklichkeit werden zu lassen.
Zwischen der Idee und ihrer Umsetzung zu whatchado lagen viele kleinere und größere Hürden: Scheidung der Eltern, Stottern, Schulabbruch, 40 verschiedene Jobs – von Bodenwischer bis zum Highflyer Marketing-Management-Fuzzi in den USA –, der Tod seines Vaters, Burnout, berufsbegleitendes Studium, ab 2010 die Arbeit als Lehrer (und immer noch kein Handbuch), das Internet, das Wiedersehen mit den Freunden aus dem Fußball-Käfig in Simmering, ein Camcorder und ein ZiB24-Beitrag zum Start am 27. Juni 2011.
„Whatchado wäre niemals entstanden, wenn ich keine Wut gehabt hätte. Ärger ist mein Grundantrieb, das Pferd, auf dem ich sitze. Der Reiter, der darauf sitzt, ist getrieben von Begeisterung. Ich kann Ärger heute gut kanalisieren in Aktivität. Wenn keiner was macht, mach ich es selber.“ Die Lösungsansätze der Plattform sind die eines Kindes: „Wenn du wirklich etwas lösen willst, rede mit Kindern. Sie können Fenster noch rund zeichnen. In der Welt der Erwachsenen stellen sich alle das gleiche Haus vor.“
Heute sieht er sich als größten Lehrer der Welt, als genauen Beobachter von Lebenswelten und Übersetzer zwischen verschiedenen Lebenswelten. Er reist herum und vermittelt ManagerInnen, wie Jugendliche ticken und Jugendlichen, wie die Arbeitswelt heute tickt. Und Lehrenden, welche wichtige Rolle sie mit der Vorbereitung auf die Welt haben. Und welche Rolle spielt dabei Humor? „Humor gibt dir Energie und Kraft, aus dir selbst heraus und bringt uns alle auf dieselbe Schwingung“, lacht Ali.
Hast Du das Buch geschrieben, um weniger Vorträge halten zu müssen? Nach den Vorträgen wurde ich immer wieder gefragt, ob es das Erzählte auch geschrieben gibt. Aber es gab nur Stückwerk. Letztes Jahr hat mich der Ullstein Verlag gefragt, ob ich mir das vorstellen kann. Ihnen gefiel mein Konzept, also erscheint hoffentlich am 11. August „Und was machst du so?“ ebendort.
Warum ändern wir unser Leben eher in Krisen? Es gibt sonst keinen Grund: Eine Krise bedeutet, dass die Variablen deines Lebens sich so radikal verändern, dass die einprogrammierten Spielregeln einem nicht mehr erlauben damit umzugehen. Dann kommt es zum Bruch. Unser Hirn arbeitet gerne energiesparend. Gehirngerecht sind Routinen und Automatismen. Meist ist man nicht so flexibel Denkmuster von alleine zu durchbrechen.
Apropos Veränderung. Du heiratest bald. Was ist geplant? Ich bin seit August 2016 verlobt und das ist urcool. Wir sagen keinen Termin, weil die ganze Familie eh schon völlig ausflippt. Wir wollen eine Hüpfburg und einen Stand der Kaffeefabrik, weil wir uns dort kennengelernt haben.
Wie kommst du vom Reden zum Tun? Die Welt ist wie Lego, ganz viel ist vom Menschen erschaffen. Wenn ich etwas sehe und denke: Das kann man besser machen, dann mache ich es einfach. Das war immer schon so. Ich glaube mein großes Glück war, dass ich in einem Flüchtlingsheim aufgewachsen bin und meine Klamotten von der Caritas waren. Wenn Du ohne Mangel aufwächst: Wie sollst du darauf kommen, dass dir etwas fehlt? Wenn du alles hast: Wieso sollst du etwas unternehmen? Ich habe an der Stadtgrenze in Simmering gewohnt, wir hatten keinen Fernseher, ich war viel draußen, spielte im Käfig Fußball und Basketball. Wenn du nichts hast, kannst du mit deinen Händen und deiner Kreativität arbeiten. Whatchado wäre sicher nie entstanden, wenn wir Kohle gehabt hätten.
Wie bist du selbst als Chef? Das hat sich über die Jahre immer wieder verändert. Bei Siemens oder Sun war ich als Teamleiter viel nüchterner, distanzierter und gelassener in Entscheidungen. Im Herzensprojekt Whatchado war ich ein Verstärker, im Guten und Schlechten. Viele Menschen spüren eine Grundspannung in mir, und für die meisten bin ich vermutlich etwas zu schnell. Heute sehe ich mich eher als Coach. Ich bin jemand, der auf Selbstverantwortung setzt. Menschen dürfen wählen, Autos lenken und Eltern werden. Und in einer Firma sind sie weisungsgebunden? Das ist doch ang’rennt!
Dein Ratschlag an Jugendliche? Regeln, die keinen Sinn ergeben, hinterfragen und brechen – aber nicht das Gesetz. „Was auf den Tisch kommt, wird gegessen“, ergibt nach dem Krieg Sinn, in der Überflussgesellschaft aber nicht mehr. Außerdem: Es gibt keinen geraden Karriereweg, die meisten Wege verlaufen zick-zack.
Und dein Rat für Erwachsene? Wir Menschen lernen in den ersten drei Lebensjahren so viel, wie nie mehr danach. Und wie machen wir das? Erinnert euch zurück. Aus innerem Antrieb ohne Angst vor Fehlern. Kinder wollen dabei sein und deshalb lernen sie so komplexe Fertigkeiten wie sprechen und gehen. In der Schule geht das oft verloren: Du hast vier Fehler, statt 16 richtige, das ist Stoff, das musst du lernen. Diese Lust sollten wir uns zurückholen.
Was magst du an Wien? Ich liebe es. Es ist das Paradies. Ich wollte als Kind immer weg aus Wien, fand es fad. Irgendwann habe ich mir die Welt angeschaut. Heute bin auch auch noch gerne weg, komme aber sehr gerne zurück. Es ist so: Wenn ich mir die Hand breche, kann ich ins Krankenhaus gehen. Wenn ich Durst habe, könnte ich in Wien auch aus der Toilette trinken. Ich kann ich mich vors Parlament stellen und sagen: Ihr habt alle einen Vogel, und keiner steckt mich ins Gefängnis. Wenn meine Firma krachen geht, gibt es erst einmal Arbeitslosenhilfe. Mal ehrlich: Wo noch gibt es so ein System? Wenn man von Härtefällen absieht.
Was ist an dir Wienerisch? Ich bin in Simmering aufgewachsen. Im Stadion und am Würstelstand rede ich auch noch so. Ich mag Gemütlichkeit. Mir gefällt das Motto „moch ma scho“ – es ist Wienerisch und vielleicht auch Persisch. Das Multikulturelle ist super. Die Erholungsplätze sind einfach cool. „Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles fünfzig Jahre später“, hat Gustav Mahler angeblich gesagt. Word!
Wo entspannst du dich? Ich bin mit meiner Vespa ganz schnell oben auf dem Kahlenberg und schaue gerne auf die Stadt runter. Und ich sitze gerne im Stadtpark und schau’ einfach nur.
Eine Leseempfehlung? Jon Kabat-Zinn „Zur Besinnung kommen“. Das empfehle ich gerne Uni-Absolventen.
Welche Musik hörst du? Ich höre Musik nie zur Berieselung. Falco ist einer meiner All-Time-Favourites und sonst Hip Hop aus Brooklyn, z. B. von Mos Def.
Hast du einen Lieblingssong? Bei der Gründung von whatchado hatten wir eine Hymne von Eminem „Loose yourself“ mit der Textzeile: „You only got one shot, do not miss your chance to blow“ – nicht im Sinne von Schusswaffen, sondern „Du hast oft nur eine Chance Eindruck zu machen, nutze sie“. Als die Firma gegründet war, wechselten wir zu „99problems“ von Jay-Z. Wir hatten T- Shirts mit dem Slogan „99problems, but the job ain’t one“.
Für welchen Verein schlägt dein Herz? Ganz klar: Friedhofstribüne des Wiener Sportclub.
Hast du ein Lieblingslokal? Das Sapa und die Health Kitchen im 7. Und dann das MonAmi im 6. und die Kaffeefabrik im 4. Bezirk.
Wien schmeckt nach …? Abhängig von Wetter und der Straßenecke nach Käsekrainer oder nach kaltem Espresso.
Wo feierst du mit deinen Freunden? Ich miete das Feinkoch Studio.
Und wo feierst du mit der Familie? Im Pars auf der Lerchenfelderstraße.
Deine Lieblings-Shopppingadressen in Wien? Früher war ich eher der Footlocker-Typ und überall dort, wo es Turnschuhe zu kaufen gab. Heute finde ich, dass Klamotten wieder einen Wert bekommen sollten. Und dann mag ich das Minimalistische bei We Bandits und ZERUM in der Kirchengasse.
Ali Do!
Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.