Ein treuer, aber wankelmütiger Begleiter

Veronika Schöpf fotografiert von Nini Tschavoll

Name: Veronika Schöpf, geboren 1981 in Rum/Tirol, aufgewachsen in Innsbruck, lebt seit 2008 in Wien. Sie studierte Technische Mathematik und Humanbiologie und spezialisierte sich auf die Verbindung von Geruchssinn und Gehirn. Seit 2011 wohnt die Spezialistin für Duftfragen in Ottakring. Momentan arbeitet sie als Beraterin im Gesundheitswesen und ist Gastprofessorin an der Medizinischen Universität Wien.


Wer einen untrüglichen Riecher hat, wird sich auch von dieser Kulisse nicht täuschen lassen. Wir treffen Veronika Schöpf, die sich sehr intensiv mit dem menschlichen Geruchssinn beschäftigt hat, bei Lederleitner. Das Garten- und Wohngeschäft im Börsegebäude duftet intensiv blumig-grün, aber zum Glück nicht nach Rosen. Worin besteht der Nutzen des Geruchssinnes für den Menschen und was bedeuten die verarbeiteten Informationen für uns? Wer ins Lehrbuch schaut, wird diese Begründung als eine der ersten finden: Der Geruchssinn hilft uns zu beurteilen, ob wir etwas essen sollten, oder lieber nicht. Für Veronika Schöpf ist jedoch „seine Funktion in der sozialen Kommunikation am interessantesten und am schwersten zu untersuchen“.

Nicht umsonst werden Gerüche im entwicklungsgeschichtlich ältesten Teil des Gehirns verarbeitet. Genießbar oder nicht ist eine lebenswichtige Information, jedoch weniger komplex als Beziehungen. Ein Geruch kann den Teletransporter in die eigene Vergangenheit anwerfen. Wer schon einmal den Duftspuren von Mottenkugeln der verstorbenen Oma, dem Aftershave eines Verflossenen oder dem Geruch der Wäsche im Feriendomizil auf eine Erinnerungsreise gefolgt ist, weiß wovon wir sprechen. „Wenn wir einem Menschen begegnen, verarbeitet der Geruchssinn chemosensorische Signale, die wir nicht beeinflussen können. Sie sollen uns verraten: Magst du mich oder magst du mich nicht?“, erzählt Veronika in ihrem charmanten Tiroler Akzent. Im Tier- und Pflanzenreich werden solche Signal- oder Lockstoffe Pheromone genannt. Die Duftmoleküle transportieren Informationen auf einer unbewussten Ebene. Anziehende und abstoßende, solche, die uns zur Tat schreiten lassen oder bei denen wir uns unzuständig fühlen. Der menschliche Körper war schon in der Steinzeit gut angepasst, ein Erbe, von dem wir uns nicht einfach lossagen können.

Heute verlässt sich kaum jemand darauf, dass der eigene Körpergeruch schon gut genug ankommen wird. Das kann einen sommers in der vollbesetzten Straßenbahn froh machen. Wenn wir der Werbung Glauben schenken, gibt es einen Axe-Effect. Es gibt auch Pheromon-Parfums für Männer und Frauen. Innenräume und Geschäfte werden beduftet mit Airwick, Wunderbaum, Röstaromen oder mit „Neues Auto-Geruch“.

Bei aller duftigen Maskierung soll unser Geruchssinn dennoch die Frage beantworten, ob wir jemanden riechen können und uns wohlfühlen dürfen. Der Geruchs-Check hat unterschiedlich große Bedeutung: „Immer der Nase nach ist grundsätzlich eine gute Devise. Aber wir haben aus gutem Grund noch unsere anderen Sinne.“ Oder etwas deutlicher: „Auch ein Mann, der unwiderstehlich riecht, kann ein Volltrottel sein“, bringt es die Expertin auf den Punkt. Interessant sind die Studien zur Veränderung des Geruchsempfindens durch die Pille. Manche Frauen empfinden den Geruch des Partners als nicht mehr so attraktiv, wenn sie die Verhütung absetzen, um ihn zum Vater zu machen.

Der Geruchssinn ist unser treuer Begleiter, aber auch volatil: Er verändert sich über den Tag, mit dem Zyklus, je nachdem, ob wir hungrig sind oder satt. Brotbackaromen, Kaffeeröstnoten, Tannennadelduft oder der notorische Abercrombie & Fitch-Geruch können uns länger im Geschäft halten, in Kauflaune versetzen, Weihnachtsstimmung simulieren, an die Marke binden oder zur Wiedererkennung anregen. Aber hat diese „Febreze-isierung“ unserer Gesellschaft auch unerwünschte Folgen - abgesehen von möglichen allergischen Reaktionen? Das Gute ist: Der Geruchssinn kann kaum überfordert werden. Nach 16 Sekunden gewöhnt sich die Nase auch an das stinkigste Häusl oder die schwitzigste Garderobe – dann können keine neuen Geruchsmoleküle mehr an die Rezeptoren andocken. Außer es kommt ein Luftzug ... aber wie gesagt: Wir haben noch andere Sinne und sind nicht willenlos. Es können sich aber die Schwellen verschieben, ab denen ein Geruch wahrnehmbar wird.

Allgemein gültige „wundervoll“ oder „kann-ich-nicht-haben“- Gerüche, die alle Menschen verbinden, gibt es nicht. Mit geprägt werden sie zum Teil bereits im Mutterleib, später auch anerzogen, kulturell geprägt und gelernt. Veronika Schöpf zum Beispiel hasst Rosenduft. Er erinnert die Wissenschaftlerin daran, dass die feinmotorische Arbeit mit Proben im Labor nie ihre starke Seite war. Bei der Gelegenheit ist ihr 2-Phenylethylalkohol in größerer Menge ausgekommen und hat einen persönlichen Geruchs-GAU ausgelöst. Rosenduft erinnert sie an ihr „Versagen“. Die Frage, wie ein Wartezimmer beim Arzt riechen soll, wird in unseren Breiten übrigens oft mit „gut geputzt“ beantwortet.

Die Bedeutung einer Sache wird ja meist erst erkannt, wenn sie nicht mehr da ist. Auf Veronika Schöpf trifft das auf zwei Arten zu. Die Absolventin der Technischen Mathematik begann eher zufällig mit dem Diplom in Technischer Mathematik an der Abteilung für Neuroradiologie in der Arbeitsgruppe „Funktionelle Bildgebung des olfaktorischen Systems“ der LMU München.

Als sie in die Forschung einstieg, war gerade der Medizin-Nobelpreis für die Entzifferung der rund 1.000 Gene für den olfaktorischen Rezeptor vergeben worden (an Linda Buck und Richard Axel). Kurz darauf wurde der Verlust des Geruchssinns als frühes Warnsignal für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson erkannt und deshalb viele Forschungsmittel gewidmet. Ihre Forschungsfrage war also: Was passiert (im Gehirn), wenn uns der Geruchssinn im Stich lässt? Dafür kann es ganz verschiedene Ursachen geben. Den PatientInnen fehlt die chemosensorische Kommunikation über Sympathie sichtlich. Sie sind häufig depressiv, haben soziale Ängste, weniger Sex, keinen Partner etc. .

Wenn die Siebbeinplatte zwischen der Nase und dem verarbeitenden Hirnareal mit den darin verlaufenden Nerven beschädigt ist, kann man nichts mehr tun. In vielen anderen Fällen kann intensives Riechtraining helfen. „Das bedeutet morgens und abends über viele Wochen an Dingen zu riechen, die man mochte. So wird die Anpassungsfähigkeit des Gehirns genutzt“, beschreibt Veronika Schöpf. Obwohl sie zu Beginn ihrer Karriere glücklich damit war, die funktionale Bildgebung von Geruchssinn und Gehirnaktivität im stillen Kämmerchen auszuwerten, setzte sich nach und nach die Neugier für das schwierige und spannende Versuchsobjekt Mensch durch.

Der zweite Verlust betrifft ihren Beruf und die Forschungsszene in Österreich. Veronika Schöpf legte bis 2016 eine mustergültige Karriere in der Wissenschaft hin. Sie warb eigene Forschungsmitteln ein, war jüngste Gruppenleiterin, habilitierte, baute den Neuroimaging Bereich an der Uni Graz auf und leitete ihn, machte zusätzlich einen MBA und brachte sich engagiert in Gremienarbeit ein. „Ich will g’schaft’ln“, nennt sie das.

Weil sie aber eine Professur nach § 99 hatte und nicht nach § 98, lief ihre Stelle einfach aus, die Evaluierung ihres Track Record war nicht vorgesehen. Also sagte sie zu, als sie von einem Beratungsunternehmen abgeworben wurde: „Ich will Wissen an die Gesellschaft zurückgeben. Das ist mein wichtigstes Anliegen“, betont sie. Nun bringt sie ihre Erfahrungen im Gesundheitswesen ein und betreibt Wissenschaft momentan in der Freizeit, mit einer Gastprofessur an der MedUni Wien. Was die Zukunft bringt, kann niemand erschnuppern. Aber Veronika Schöpf richtet den Blick nach vorne und folgt weiter ihrem Riecher für spannende Aufgaben.

Eine Frage, die MadameWien allen Interviewten stellt: Wonach riecht Wien? Für mich nach Manner-Glasur.

Und allgemeiner: Was prägt den Geruch einer Stadt, die Wiener Luft? Das ist schon schwieriger. Man kann riechen, ob eine Stadt am Meer liegt. Die Prägung durch ein Gewässer ist oft merkbar. Und Wien ist gut durchlüftet. Es gibt keinen Smog. Da hat Wien ein tolles Geruchsfeature.

Was riechen Sie gerne? Kaffee.

Haben Sie einen Lieblingsort in Wien? Meine Wohnung – mein Palast.

Wo entspannen Sie sich gerne? Beim Yoga und beim Berggehen.

Ein Buchtipp? Eher ein Zeitschriftentipp: Reportagen-Magazin.

Ein Lieblingslokal? Das Amerlingbeisel.

Was ist Ihre Wiener Lieblingsspeise? Schinkenfleckerl habe ich erst hier kennengelernt.

Ein Wiener Lieblingswort? Oida! und Anser Panier.

Ein Einkaufstipp?  Lieber klein und fein, als bei einer Kette. Eines meiner absoluten Lieblingsgeschäfte ist lila.

Ihre Botschaft für Wien? Ich bin wirklich in diese Stadt verliebt. Aber wenn ich von woanders oder von dahoam zurückkomme und die Menschen so grantig sind ... da brauche ich immer wieder einen Moment, um zu verstehen, dass das nichts mit mir zu tun hat. Und dann denke ich mir: Das ist keine Zierde, auf die man als Stadt stolz sein muss.

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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