Siebzehn sein reloaded

Monja Art fotografiert von Nini Tschavoll

Name Monja Art, geboren 1984, aufgewachsen in Lanzenkirchen und Schwarzenbach (NÖ), arbeitet als Drehbuchautorin und Regisseurin, wohnt in Wien Leopoldstadt


Schon in den ersten drei Minuten des Films ist der Wiedererkennungswert hoch: Der Wecker schrillt, Geschwister kämpfen, die Mathe-Hausübung wird im Bus gemacht und ebendort werden in der letzten Reihe Liebesprobleme diskutiert. In den übrigen 100 Minuten des Films kommt noch sehr viel mehr zur Sprache, was mit siebzehn wichtig ist und war.

Regisseurin und Drehbuchautorin Monja Art hat mit „Siebzehn“ ein gekonnt komponiertes und realitätsnahes Spielfilmdebut vorgelegt. Mise en scene im letzten Sommer vor der Matura in einer Schule im Süden von Wien.

Es geht um Sehnsucht und um einen unausweichlichen Übergang – um das Coming of Age, das Ende der Jugend. Schon das Drehbuch wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem DACHS-Drehbuch Preis 2017,  der fertige Film auf zahlreichen Festivals prämiert und Hauptdarstellerin Elisabeth Wabitsch gewürdigt.

Warum gerade siebzehn? „Es ist meine Lieblingszahl neben 21 und 27. Sie ist ausgeschrieben und in Zahlen wunderschön. Siebzehn Jahre bedeuten aber auch einen Umbruch, weil man sich ein Jahr vor der Matura noch in einer vertrauten Situation befindet, die unweigerlich zu Ende geht“, erklärt Monja Art, die endlich einen guten österreichischen Coming of Age Film machen wollte. „Im Prinzip ist ,Siebzehn‘ ein Film wie eine Serie. Es gibt viele Charaktere und unterschiedliche Liebeskonstellationen, die parallel erzählt werden.“

Wer so ein fulminantes Drehbuch vorlegt, muss sich fragen lassen, wie viel von der eigenen Person im Plot verarbeitet wurde. Monja hat sich für ihre Heimatgemeinde als Schauplatz entschieden, sie war selbst in einer Schule mit Uniform und Internat und sie hatte bestimmt einen Schwarm. Aber sie kontert: „Eine Gruppe ehemaliger Mitschüler hat sich den Film gemeinsam angesehen und mir im Spaß mit dem Anwalt gedroht, falls sie sich in einer Figur wiederentdeckten. Sie sind nicht fündig geworden.“

Wiewohl Monja schon mit drei Jahren Schriftstellerin werden wollte und gleich vier wissen­schaftliche Abschlussarbeiten verfasst hat, fällt ihr das Drehbuchschreiben schwer. Und sie will mit einem verbreiteten Irrtum aufräumen: „Es kann nicht jeder Drehbücher schreiben, nur weil er oder sie gerne Filme schaut“. Sie findet, dass Stoffentwicklung samt Dramaturgie und Figuren­entwicklung in Österreich eher stiefmütterlich behandelt werden – es braucht Zeit und wird kaum unterstützt.

Ihr hilft, wenn sie den Anfang und das Ende der Geschichte kennt, wobei sie keine Freundin von „happy endings“ ist: „Die Mitte findet sich.“ Wenn sie einen Stoff entwickelt – in der Regel mehrere parallel – geht sie viel zu Fuß, redet mit drei Vertrauten darüber, holt sich Feedback und schreibt dann allein. Da die Ablenkung dabei ihr größter Feind ist, schreibt sie viel auf Zettel. Das Treatment und das Drehbuch werden dann am Schreibtisch verfasst.

Die Absolventin der Filmakademie hat in ihrem Spielfilm die Mädchen mehr im Fokus, wobei die Knaben nicht farblos bleiben. Die Hauptfiguren Paula (externe Schülerin, Single, begabt, mit schwieriger Familie, viel Sehnsucht und vielen Möglichkeiten), Lilli (im Internat, Gelegenheits-Liebende, provokant) und Charlotte (externe Schülerin, mit Führerschein, in einer sehr verbindlichen Beziehung, die sie abschnürt) gehen in die gleiche Klasse.

Bei der Besetzung mit den jugendlichen SchauspielerInnen aus Österreich nahm sich die Regisseurin viel Zeit. Zwei Casterinnen übernahmen die Vorarbeit, die endgültige Rollenverteilung entschied sich für Monja in Impro- und Szenenarbeit in immer neuen Konstellationen: „Für mich ist das die einzige Art zu besetzen. Ich schaue mir selbst kleine Nebenrollen immer im Ensemble an.“

Hier bekamen auch einige Dialoge ihren letzten Schliff, der sie so ungekünstelt macht. Und auch der Soundtrack ist homegrown – featuring Clara Luzia, Mo, Wanda, Bilderbuch und Co.

„Siebzehn“ zeigt, dass sich zwischen meiner Jugend (17 im Jahr 1995), Monjas Jugend (2001) und der Jugend gedreht im Sommer 2015 gar nicht so viel verändert hat. Ich möchte Tränen lachen und die Hand heben bei Fahrstunden im roten 2er-Golf (mit Abwürgen), geflochtener Badetasche, Geschmacksverirrung Pfirsichspritzer oder dem Versprechen der besten Freunde, einander zu heiraten, falls sie mit 30 noch niemanden gefunden haben.

Die Jetztzeit ist nur am (Stress mit) Social Media festzumachen: „Ich bin froh, dass es bei mir kein Facebook gab. Junge Menschen geben unzensiert oft viel von sich preis. Heute kann ich sehen, was mein Schwarm mit anderen tut. Jemand könnte auf mein neues Profilbild nicht reagieren. Es gibt dauernd Kommunikation, aber vieles bleibt dennoch sprachlos. Trotz vermeintlich ständiger Verbindung, kennt man die Wahrheit nicht“, meint Monja Art.

„Siebzehn“ vereint Charaktere, die jeder kennt: Den Kumpel, von dem man nichts will außer Gespräche und Anlehnen, die sexuell viel erfahrenere Klassenkollegin, den Technik-Nerd, die Tratsch’n, den unsicheren Junglehrer, den Schwarm … und dazwischen man selbst mit vielen Möglichkeiten, einem Wahnsinns-Körper (den man erst später im Leben vermissen lernt) und der Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen oder jemandem einfach zu sagen, dass man ihn oder sie mag.

Was ist dein Eindruck: Ist Wien für Jugendliche aus dem Industrieviertel ein Sehnsuchtsort? In deinem Film ist es nur der Ort, wo der Französisch-Redewettbewerb stattfindet. Ich denke nicht. Du hast die Dorf-Disco, wo alle hingehen, das Wirtshaus, den Schwimmteich, die Schule, deine Freunde. Es ist alles da. Ich war mit meiner Zwillingsschwester in einer Tourismusschule am Semmering. Da war Wien ganz weit weg. Ich bin zum Studium hergekommen, mag die Stadt und fühle mich heute hier sehr wohl. Aber als Jugendliche habe ich Wien nicht vermisst.

War Tourismus deine erste Leidenschaft? Es ist eher so, dass es eine naheliegende Berufswahl gewesen wäre. Seit meinen Urgroßeltern gab es in meiner Familie immer Wirtshäuser – eine gute Menschenschule. Meine Schwester und ich haben das Managen gelernt, uns aber dagegen entschieden.

Warum hast du dich für Film als Ausdrucksmedium entschieden? Da braucht es immer ein großes Team für ein gelungenes Endprodukt. Romane könntest du alleine schreiben. Ich liebe es, Regie zu führen, mit SchauspielerInnen zu arbeiten. Es ist die Belohnung fürs Drehbuch-Schreiben. Der „Siebzehn“-Dreh war ein bisschen wie ein Ferienlager. Wir waren alle sechs Wochen im gleichen Hotel zusammengespannt und es wurde viel gelacht. Der Dreh an sich ist die kürzeste Zeitspanne bei der Entstehung eines Films. Viel Zeit geht ins Drehbuch und ins Casting, parallel in die Finanzierung.

Nach dem Dreh kommt eine monatelange Postproduktion – Schnitt, Sound Design, Untertitelung etc. Und was ich unterschätzt habe, ist der Aufwand, der dann noch kommt, wenn der Film fertig ist. Die ganzen internationalen Festival-Teilnahmen, Filmgespräche, Interviews, Fototermine. Davor schon das Kämpfen, dass es das Plakat wird, der Schriftzug, der Trailer, wie ich es mir vorgestellt habe – damit mein Film auch nach außen hin so präsentiert wird, wie ich ihn sehe. Generell heißt Regieführen, sehr viele Entscheidungen zu treffen. Eine Million Entscheidungen am Tag. Und bereit zu sein, für seine Vorstellung bis zum Ende zu kämpfen. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern hundertmal.

Du hast Philosophie und Deutsche Philologie an der Universität Wien abgeschlossen und ab 2007 parallel die Filmakademie absolviert. Wann wusstest du, dass du Filme machen willst? Ich habe 2005 ein Seminar in Queer Studies gemacht und mir war klar, dass mein Abschlussprojekt ein Film sein musste. Das Ergebnis waren acht Kurz­filme unter dem Titel „Anemonis“. Da habe ich alles allein gemacht mit ca. 20 Schau­spielerInnen. Ich hab dann einen Verein gegründet, um mit anderen jungen Leuten gemeinsam Filme zu machen. 2007 wurde ich schließlich nach einem vierstufigen Verfahren an der Filmakademie Wien aufgenommen, mit Spezialisierung auf Drehbuch und Dramaturgie. In den ersten beiden Jahren studiert man aber alle fünf Fächer, also auch Regie, Kamera, Schnitt und Produktion. Und dreht sehr viele Kurzfilme. Da kannst du im Prinzip samt Zahnbürste einziehen.

Und warum jetzt das Langformat? Kurzfilme mochte ich nie. Ich erzähle nicht gerne kurze Geschichten. Ich erzähl lieber vierhundert als zehn Minuten. Ich würd’ in Zukunft auch sehr gerne Serien machen.

Wie wichtig ist Wien für das, was du machst? Eigentlich glaube ich, dass ich überall Drehbuchschreiben könnte. Ich reise gerne und überlege mir an jedem Ort, ob ich dort leben wollen würde. Aber ich mag Wien sehr und für die Vernetzung mit den Menschen, mit denen ich arbeite, ist es gut, hier zu sein.

Welche Städte würden Wien als Wohnort Konkurrenz machen? Das ist schwierig. Wohl englischsprachige Städte, auch berufsbedingt. Aber dann auch wieder nicht.

Wie geht es weiter? Führst du als Filmemacherin ein Leben zwischen Preiswürdigung und Prekariat? Ich kann seit ein paar Jahren vom Filmemachen leben. Ich habe durch die Auszeichnungen Zugang zu Referenzmitteln, die quasi ein Vorschuss auf das nächste Projekt sind – mit Ablaufdatum. Allerdings ist es einfach so, dass wir sehr stark von Förderinstitutionen abhängig sind. Ich hätte heuer im Herbst meinen zweiten Kinospielfilm gedreht, der bereits bis in die kleinste Nebenrolle besetzt war. Wir waren mitten in den Drehvorbereitungen, hatten schon fixe Zusagen für den Großteil des Budgets. Und dann sagt eine Institution ab und die ganze Kette reißt. Manchmal glaube ich, dass so versucht wird, die Fülle an heimischen Filmemachern auszusieben. Die Durststrecken übersteht nur, wer das wirklich machen möchte. Ich hab keinen Plan B. Mein Plan A ist mein Leben lang – glücklich und erfolgreich – Filme zu machen.

Wie geht es weiter? Seit „Siebzehn“ Weltpremiere hatte, hab ich zehn Regieanfragen aus Österreich und Deutschland erhalten. Die Stoffe haben mich allesamt nicht überzeugt. Ich bin da sehr wählerisch, vor allem, wenn es um Kinostoffe geht. Ich arbeite an mehreren eigenen Stoffen gleichzeitig, unter anderem an einem Sci-Fi-Stoff, der mit österreichischen Mitteln finanzierbar wäre.

Was hast du zuletzt gelesen? „Hauptsache nichts mit Menschen“ von Paul Bokowski.

Es ist ein bisschen verwegen, eine Regisseurin nach EINEM Lieblingsfilm zu fragen. Hast Du Empfehlungen? RegisseurInnen, deren Arbeit ich sehr mag, sind z. B.: Xavier Dolan, Céline Sciamma, Maren Ade und Yorgos Lanthimos. Ich mag generell Serien sehr gerne. Aktuell einer meiner Favoriten: „The Bridge – America“  mit der großartigen Diane Kruger, „Broadchurch“ mag ich auch sehr und erwarte mit Vorfreude die dritte und leider letzte Staffel.

Wo gehst du gerne ins Kino? Ich mag das Top Kino, weil man davor oder danach auch gleich im Lokal sitzen kann. Und ich mag die Village Cinemas,  da kann ich abends auch lange Bücher einkaufen. Und z. B. das Votivkino. Generell geh ich sehr gern ins Kino.

Hast du einen Lieblingssong? Nirvana hat mich die ganze Jugend hindurch begleitet und damit Roxette abgelöst. Ich bin mit zehn Jahren mit Nirvana unmittelbar nach Kurt Cobains Tod in Berührung gekommen. Mein erstes „Bravo“ war ausgerechnet die Ausgabe, in der es um den Tod des Sängers ging. „How do you do“ war mein Lieblingslied von Roxette. Von Nirvana war ein Favorit „Lithium“. Während des „Siebzehn“-Drehbuch-Schreibens habe ich ständig  „Only by the night“ von Kings of Leon gehört, sehr gern mochte ich etwa „17“.

Wo trinkst du gerne Kaffee? Ich bin zurzeit sehr gern im Balthasar. Den Swing Kitchen Kaffee mag ich total gern. Termine mache ich aus Gewohnheit oft im Café Stein.

Du bist heute ganz in schwarz gekleidet – gehst du gerne einkaufen? Kleidung und Schuhe nicht besonders, wobei ich schlichte Farben mag: Schwarz, Weiß, Dunkelblau. Ich kauf generell lieber Bücher und Technik.

Wo gehst du abends gerne essen? Ich geh gern ins Pancho, Maschu Maschu und Ra’mien.

Was isst du am liebsten in Wien? In Wien mag ich die große Auswahl an Gebäck, Suppen und Nachspeisen.

Was gibt es nur in Wien? Die öffentlichen Personenwaagen mit Münzeinwurf.

Wonach riecht Wien? Nach Zuckerwatte im Prater und nach Frittiertem.

Gibt es Plätze oder Orte in der Stadt, die dich inspirieren? Was machst du, um zu entspannen? Das Museumsquartier mag ich gern. Und auch den Augarten und den Cobenzl.

Was möchtest du Wien ausrichten? Ich hoffe, dass sich die politische Lage nicht so verändert, dass es weniger Filmförderung gibt.

Trailer

Siebzehn

 

Zum Thema Siebzehn und Sehnsucht
Unweigerlich kommen mir die Lieder vorangegangener Generationen ab Pettycoat in den Sinn, die sich auch am Kompass Sehnsucht ausrichten: „Siebzehn Jahr, blondes Haar“ von Udo Jürgens  aus 1996. Von ihm stammt auch das Zitat: „Die Sehnsucht stirbt an der Schwelle zur Erfüllung. Und ohne Sehnsucht kann ich nicht leben“. „Mit siebzehn“ von Peter Kraus aus 1958, oder „Mit siebzehn hat man noch Träume“ mit Peggy March aus dem Jahr 1965.

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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