Brüder im Geiste im Rausch mit Bogen

MadameWien, MadameWien.at
Matthias Bartolomey und Klemens Bittmann fotografiert von Nini Tschavoll

Matthias Bartolomey, Cellist, geboren 1985 in Wien und Klemens Bittmann, Geiger,
geboren 1977 in Graz, leben und arbeiten in Wien als Duo „BartolomeyBittmann – progressive.strings.vienna“


Bei Matthias Bartolomey und Klemens Bittmann weiß man nicht, wer das Streichholz ist und wer die Reibfläche. Die zwei Musiker befeuern sich gegenseitig, sie liefern einander Zünd- aber auch Brennstoff, glühen in Eintracht und entziehen sich mit ihrem Duo „BartolomeyBittmann – progressive strings vienna“ einer Einordnung.

Matthias und Klemens stauben ihre Streichinstrumente kräftig ab und holen aus den betagten Klangköpern moderne Musik heraus, wie sie sie selbst gerne hören wollen. Schlagartig berühmt wurde ihre Liebeserklärung an Wien: Das Video zum rhythmischen Track „Les Pauli“ auf Facebook zeigt die beiden in Action – und außerdem in vier Minuten 281 Schauplätze in der Stadt.

Im Gespräch mit MadameWien streuen sie einander ständig Rosen. Man spürt, wie sehr sie sich gegenseitig schätzen und respektieren. Sie haben schließlich Großes vor: Gemeinsam entwickeln sie einen Musikstil außerhalb von Harmonieschubladen und jenseits von Genregrenzen.

Matthias ist einer Musikerfamilie aufgewachsen und begann mit sechs Jahren Geige zu spielen. Wenige Monate später setzte er sich versehentlich auf sein Instrument drauf: „Vielleicht war das ein Zeichen. Ich bin dann auf Cello umgestiegen, wie mein Vater, und habe eine klassische Laufbahn eingeschlagen. Es haben mich aber immer auch andere Musikstile und -richtungen interessiert. Mit Klemens kann ich diese Türe aufmachen und aus der Klassik herausgehen.“

Klemens’ Eltern haben ihn immer unterstützt, was bei einem Streichinstrument besonders wichtig ist. „Ich habe mich auch einmal auf meinen Geigenbogen gesetzt“, erinnert er sich. Mit 15 tauschte er die Geige gegen die E-Gitarre, kehrte aber zur Violine zurück und studierte schließlich Musik: „Das Berufsbild Musiker wurde für mich aus dem Tun greifbar. Ich wollte mit der Geige immer die Nische entdecken und bin schnell in Projekte gerutscht, die meine Miete bezahlten.“

Vom römischen Staatsmann  Lucius Annaeus Seneca ist der Sinnspruch überliefert: „Glück ist, was passiert, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft.“ BartolomeyBittmann sind genau so ein Glücksfall. Bei ihrer Begegnung waren beide an einem Wendepunkt in ihrer Karriere: Sie hatten die Ausbildung abgeschlossen, mit anderen tollen Musikern gearbeitet, mit bekannten Ensembles performt und coole Projekte umgesetzt. Für Klemens Bittmann war dennoch nichts dabei, „was mich inhaltlich und künstlerisch beseelt hat, was mich mit einer Vision beglückt, wie ich sie jetzt im Duo erleben darf.“

Auch Matthias Bartolomey stand an der Weggabelung von Solo, Quartett und Orchestermusik. Das mit der gemeinsamen Vision klingt pathetisch, aber es braucht sie, um die Mühen der Ebene zu überstehen. Vom Musikmachen zu leben bedeutet nicht nur Feuerwerke auf der Bühne zu zünden. Stichwort schlecht besuchte Gigs, Organisation von Auftritten und Terminen aller Art, Webpräsenz, Social Media, komponieren, üben, Flops, Fotos, Album aufnehmen, Videodreh, noch mehr üben, ein Repertoire schaffen, Geld verdienen, Kooperationen einfädeln und so fort.

Musik zu machen, die sie selbst gerne hören wollen, ist die kompositorische Grundidee von BartolomeyBittmann. Das Duo komponiert seine eigene Musik, und setzt Stile wie Klassik, Groove, Metal, Jazz, Rock u. v. m. auf ihren Instrumenten authentisch um. Sie wollen nichts weniger, als eine Musikrichtung begründen. Kennengelernt haben sich die beiden 2011 bei den Proben eines Streichquartetts, bei dem Matthias mitspielte und Klemens für den Sänger Drew Sarich Arrangements geschrieben hatte.

Für die künftige Ehrentafel, die an jedem ihrer Wohnorte in Wien angebracht werden wird, sei hiermit in Stein gemeißelt, dass Matthias den ersten Schritt tat: „Ich habe Klemens gefragt, ob er Lust hat, sich zu treffen und zu schauen was passiert, wenn wir zu zweit mit den Instrumenten in einem Raum sind.“

Fürs Protokoll: Klemens wollte und die folgenden Monate waren sehr intensiv. Sie gönnten sich die Zeit, um eine gemeinsame Qualität und musikalischen Ausdruck zu entwickeln und fanden eine Konstellation, in der ihre Persönlichkeiten harmonieren. BartolomeyBittmann sind nicht nur Brüder im Geiste. Sie sind seit 2011 gleichberechtigte Geschäftspartner. Begnadete Musiker, die das Risiko des brotlosen Künstlerdaseins auf vier Schultern verteilen.

Das spüren wir auch im Café Siebenstern, wo sie sich gegenübersitzen, sich ergänzen und wo der Schmäh rennt. Das Jahr 2017 war intensiv. Sie traten in der Sargfabrik ebenso auf wie im Goldenen Saal des Musikvereins oder in der Elbphilharmonie in Hamburg. „Große Bühnen sind sicher Highlights, aber jeder Gig ist von ähnlicher Intensität. Es gibt keinen Punkt, an dem wir uns denken: Jetzt haben wir es geschafft“, so Matthias. Klemens ergänzt: „Das Aufführen und Hinaustragen unserer Idee ist wichtig. Das Wichtigste aber ist das gemeinsame Schaffen eines neuen Repertoires für unsere Instrumente, die wir lieben. Matthias und mich verbindet das Gefühl, dass es noch etwas zu erleben und entdecken gibt. Gerade arbeiten wir zudem an unserem dritten Album.“

Matthias hat als Solocellist des Concentus musicus mit Nicolaus Harnoncourt gearbeitet und sucht nun auch mit BartolomeyBittmann die unbändige Unbedingtheit: „Es geht nicht darum, dass man nette Musik macht, sondern darum, Kontraste auszureizen und Geschichten zu erzählen, die Menschen bewegen“, sagt er ernst. Von der 2011 zusammengeschweißten Basis profitieren sie heute.

Es ging nie darum, dass der eine Musiker vom Ruhm des anderen Musikers profitiert. „Wir hatten beide eine Karriere am Laufen, die wir wechselweise geschätzt haben. Uns beiden ist wichtig, dass wir intensiv suchen, was wir beide als Zentrum des Musikmachens sehen. Es ist ein wahnsinniges Geschenk, die Essenz dessen, was wir machen wollen, gemeinsam zu finden.“

Was das ist, entzieht sich einer Beschreibung – man muss es eben erleben. Und dafür gibt es glücklicherweise immer wieder Gelegenheit. „Wir machen unser eigenes Ding, verarbeiten für unseren Sound, was wir mögen und was uns geprägt hat. Die Veranstalter schaffen konzertante Plätze für unseren Stil in ihren Zyklen, Reihen und Programmen“, freut sich Matthias.

Auch beim Alter der Audience kennen sie keine Limits: Die wippende 90-Jährige in der ersten Reihe ist ihnen ebenso willkommen, wie der 14-Jährige, der sich erstaunt fragt, was da mit Cello und Geige abgeht. Klemens spielt neben der Geige auch auf einer selbst entwickelten Mandola, einem gitarrenähnlichen Instrument, angelehnt an mittelalterliche Zistren, das es ihm erlaubt auch andere Begleitfunktionen zu übernehmen. So entsteht eine zweite Besetzung, eine zweite Instrumentierung.

Wie wichtig ist Wien für BartolomeyBittmann progressive strings vienna? „Wir haben uns hier getroffen, wir leben hier, wir finden diese Stadt großartig, unsere Instrumente sind mit der Stadt verbunden und bis vor kurzem haben wir sogar beide im 7. Bezirk gewohnt“, erklärt Matthias Bartolomey. Ihr letztes Album „Neubau“ ist nicht nur eine Referenz an den Bezirk, sondern auch an jedes neu geschaffene Instrument im Geigenbau, genannt Neubau. Matthias und Klemens beantworten hier sicher keine Fragen zu ihrem Privatleben.

Bereitwillig sprechen sie aber über die Beziehung zu ihren Instrumenten. Klemens sieht sich als Kurzzeit-Lebensabschnittspartner seiner Geige, die Josephus Pauli im frühen 19. Jahrhundert gebaut hat. Matthias spielt ein Violoncello das 1727 gebaut wurde. Beide Instrumente haben also viel erlebt, klingen schon lange und sind dennoch „federführend in der klangästhetischen Vorstellung unserer Zeit“, schwärmt Klemens, der sich eigentlich als Teil eines Quintetts fühlt. Dieses besteht aus David Tecchler, einem Visionär im Cellobau, Markus Kirchmayr aus Natters in Tirol, der seine Mandola gebaut hat, Josephus Pauli aus Linz, Matthias und ihm selbst. Das „Quintett“ probt in Klemens’ Wohnung in einem musikerfreundlichen Haus, wo immer gerade jemand übt. Neben der Wiener Arbeitsfläche haben sie auch außerwienerische Refugien, um intensiv zu arbeiten. Ausständig sind noch Liebeserklärungen an Bad Aussee, Kufstein und Graz.

Ihr seid so unglaublich harmonisch. Worum beneidet ihr einander?
Klemens: Matthias hat die schönsten Haare.
Matthias: Klemens ist ein Organisationsgenie. Ich habe mir schon sehr viel von ihm abgeschaut, komme aber einfach nicht an ihn heran.

Worauf bezieht sich der Titel „Les Pauli“?
Matthias: Es ist ein Wortspiel: Klemens Geige wurde von Josephus Pauli gebaut und der US-Hersteller Gibson baut die berühmten „Les Paul“ E-Gitarren.

Wie kam es zum „Les Pauli“- Video, der Liebeserklärung an die Donaumetropole?
Klemens: Die Basis für so ein Video ist eine glückliche Fügung und die Begleitung durch den Fotografen und Videokünstler Max Parovsky, der sich in unsere Idee und Musik verliebt hat. Den Aufwand und die Ausdauer, die hinter dem Video stehen, kannst du nicht bezahlen. Und wir mussten minutiös planen, weil wir alle viel unterwegs sind. Wir haben an einzelnen Tagen das Auto genommen und sind durch Wien gefahren, das ich im Schnelldurchlauf besser kennengelernt habe. Anfangs wollten wir nicht so viele Plätze besuchen. Max hat die ersten 20 Takes auf eine rhythmische Passage geschnitten und dann gesagt: „Boys, da brauchen wir mehr, viel mehr!“ Wir haben also letztlich in eineinhalb Jahren 281 Locations besucht. Ich habe Buch geführt, sonst wüsste ich es auch nicht mehr, wo wir überall waren. Am schwersten war es, ein Ende zu finden, zu sagen: „Es passt!“

Auch das Podest ist im ganzen Video dabei. Ist es offizieller Teil des Teams?
Matthias: Wir haben mal in Oberösterreich auf einer sehr niedrigen Bühne gespielt ohne Verstärkung. Also mussten wir dringend die Quellen der Tonabstrahlung einander annähern. Klemens steht ja mit seiner Geige und ich sitze. Da kam das Podest ins Spiel. Außerdem kann ich ihn so besser im Auge behalten.

Ist Wien ein guter Platz für Musiker? Funktioniert es noch als Musikhauptstadt?
Matthias: Für uns ist Wien der ideale Lebensmittelpunkt. Wien hat uns die Türen immer ziemlich weit aufgemacht für unsere Ideen. Also: Ja, es ist noch eine Musikhauptstadt.
Klemens: Zudem hat Wien ein sehr aufgeschlossenes und interessiertes Publikum. Und eine unglaubliche musikalische Infrastruktur, von Ausbildung bis Aufführung.

Welche musikalische Infrastruktur ist für euch wichtig?
Klemens: Ich spiele auf Wiener Saiten von Thomastik Infeld.
Matthias: Ich habe ein Endorsement von Larsen Strings aus Dänemark.  So wie wir spielen, haben wir einen ziemlichen Saiten-Verschleiß …
Klemens: Unsere Bögen bringen wir zu Martin Rainer, einem jungen Geigenbauer im zweiten Bezirk, der neue Bogenbehaarungen macht. Unsere Instrumente werden von Geigenbauer Marcel Richters und seinem Team betreut. Das ist immens schön und wichtig, weil er sich seit Beginn für unsere Musik und Ideen interessiert und uns unterstützt. Eine so hohe Betreuungsqualität ist nicht selbstverständlich in jeder Stadt zu bekommen.

Wonach schmeckt Wien?
Klemens: Kaiserschmarren
Matthias: Debreziner

Was ist dein Wiener Lieblingswort?
Matthias:
Heast
Klemens: Leiwand

Wie klingt Wien? Was ist ein typisches Wiener Geräusch?
Matthias: Wie das Läuten der alten Straßenbahngarnituren, das waren echte Glocken und man hört es immer seltener.
Klemens: Wien hört sich sehr satt und voll an.

Apropos Klang: Wo nehmt ihr eure Alben auf?
Matthias: Das neue Album nehmen wir in meiner neuen Wohnung in der Weyringergasse auf. Unsere letzte CD „NEUBAU“ haben wir im Casino Baumgarten aufgenommen.

Wo geht ihr gerne auf Konzerte?
Matthias: Ich mag das Radiokulturhaus.
Klemens: Und ich geh gerne in den Mozartsaal im Konzerthaus und ins Loop am Gürtel.

Euer Lieblingslokal in einer Schaffenspause?
Klemens: Wenn wir eine Pause machen, sind wir Gewohnheitstiere. Im Schaffensprozess hilft eine bekannte Struktur beim Entspannen und es geht um die Stimmung. Wir gehen oft monatelang an einen Ort und dann wechseln wir ihn. Lange war es das Gasthaus Schilling
Matthias: Momentan essen wir mittags gerne bei Elefant& Castle und in der Pizzeria La Spiga.

Wohin auf einen Absacker?
Matthias: Ins Café Morgenstern.

Was habt ihr zuletzt gelesen?
Matthias: Bücher von Joachim Meyerhoff.
Klemens: „What I Talk about when I talk about running“ von Haruki Murakami

Was hört ihr für Musik?
Klemens: Matthias hat mir zum Geburtstag eine CD mit Ibiza Drum & Bass und Trance Tracks geschenkt, die ich beim Autofahren gerne höre. Meine Lieblingsoper ist „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss. Ganz generell bin ich ein Fan von Live-Musik. Das ist einfach eine andere Welt im Vergleich zum Hörerlebnis von Aufnahmen.
Matthias: Ich höre gerne Radiohead und anderen Alternative Rock aus den 1990ern. Musik aus meiner Jugend.

Discography
M E R I D I A N (2013)
N E U B A U (2015)
Beide CDs erhältlich bei Preiser Records Vienna


www.bartolomeybittmann.at

Les Pauli

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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