Name: Barbi Marković, geboren 1980 in Belgrad, studierte Germanistik in Belgrad und Wien. Die Autorin lebt seit 2006 in Wien Ottakring.
Schon mit sieben Jahren war Barbi Marković in der literarischen Neigungsgruppe. Die Volksschülerin schrieb mit Vorliebe Aufsätze und Geschichten. Sie bediente sich unter anderem am großartigen Personal der griechischen Mythologie und machte einen Ameisenvogelelefantennashornmenschen zum Protagonisten. „Es kann sein, dass ich dieses Stadium der Entwicklung, in dem ich einfach alles hernehme, was mir gefällt, nie überwunden habe“, ergänzt sie lachend.
Auch als „Teeneragerkopf“ beschreibt sie sich selbst. Es könnte sein, dass genau das ihren Stil so besonders macht. Sie hat die Wurzeln zu ihrem inneren Kind, ihrer inneren Jugendlichen, der inneren Belgrader Großstadtpflanze, der inneren Studentin mit Geldsorgen, der inneren Volksschülerin mit Berufswunsch Schriftstellerin nie gekappt. Die profane Realität und Zweifel kamen erst später. Einen quasi sportlichen Ehrgeiz für Deutsch entwickelte sie in einem Kurs im Gymnasium, wo sie große Fortschritte machte und „Mutter Courage“ las.
Sie studierte Germanistik in Belgrad und arbeitete im Rende Verlag, wo 2006 ihr erstes Buch „Izlazenje“ herauskam. Nach Wien kam sie kurz darauf mit einer Freundin, um weiter Germanistik zu studieren und verpasste so „meinen angeblichen Semi-Erfolg in Belgrad“. 2009 wurde dieses erste Buch mit dem Titel „Ausgehen“ auf Deutsch übersetzt. Ihre Übersetzerin Mascha Dabić lernte Barbi in Wien bei ihrer ersten Lesung auf Serbisch kennen: „Ich hatte das Gefühl, niemand hört mir zu. Mascha kam zu mir und hat das Bernhardeske sofort erkannt. Ich hatte also Riesenglück!“
Die Freundin meinte, in Wien kann man mit 400 Euro im Monat leben, „aber wir hatten keine Arbeitserlaubnis. Wir wollten besser in Germanistik werden, waren aber sehr mit Überleben beschäftigt.“ Um Geld zu verdienen, verteilte sie Flyer, servierte im Dirndl in einem Grinzinger Heurigen – ohne den Dialekt verstehen zu können – oder übernahm andere schwarz bezahlte Jobs.
Richtig in Wien Fuß gefasst hat sie vor rund drei Jahren. Einer ihrer Jobs ist jetzt Literatur schaffen, der andere, Literatur mit dem Büchereiverband unter die Leute zu bringen. Gerade hatte sie „wieder Glück in der Literaturlotterie“, wie sie das nennt, und bekam den Reinhard-Priessnitz-Preis zugesprochen. Wie sie dazu gekommen ist, weiß sie nicht genau, freut sich aber über die Würdigung ihres bisherigen Schaffens. 2011/2012 war sie Stadtschreiberin in Graz und bekam 2016 den Literaturpreis Alpha für ihr zweites Buch Superheldinnen zugesprochen. Sie schrieb es auf Deutsch und Serbisch. Als Stück wurde es 2018 im Volkstheater aufgeführt.
„Meine Erfahrung ist: Wenn es nicht zumindest am Rande um mich geht, funktionieren meine Geschichten nicht“, sagt Barbi, die alles andere als ein übersteigertes Ego ausstrahlt. Im Vorfeld des Gesprächs meint die Verlagsvertreterin, dass Barbi eine „interessante Art“ zu schreiben habe. Das nächste Buch bei Residenz sei für Frühjahr 2021 geplant.
MadameWien fragt nach: „Sie meint wohl meine Konzepte. Ich produziere für jedes Buch im Vorfeld Material. Bei Ausgehen habe ich das Buch Gehen von Thomas Bernhard umgeformt. Bei Superheldinnen habe ich sechs Städte abgeschrieben“. Da lohnt eine weitere Nachfrage: „Ich habe mich in Wien, Graz, Berlin, Zagreb, Belgrad und Sarajevo auf zentrale Plätze gestellt und alles abgeschrieben, was ich lesen konnte. Aus den Stadtabschriften habe ich Monologe gebaut, zu Themen wie: Was kostet was? Was sagt die Werbung über Träume aus? Wie bewegt man sich in der Stadt.“
Superheldinnen schrieb sie bereits zum Teil auf Deutsch. Die Idee war, keinen Umweg mehr zu machen bei dem, was sie sagen will: „Man hat mich ermutigt es zu probieren und ich habe geübt. Jetzt fühle ich mich halbsicher, brauche aber halt - wie jeder - ein Lektorat.“ Aktuell schreibt sie über die 1990er-Jahre: „Wenn ich davon erzähle, merke ich immer, wie skurril und krass das klingt, wie grell und übertrieben und bunt. Also habe ich mir gedacht, ich mache als Material ein Fantasy Rollenspiel daraus“. Davor stellt sie für Herbst noch ein Stück über die Immobilienwelt für das Grazer Theater im Bahnhof fertig.
Das aktuelle Konzept ist also ein Rollenspiel-Abenteuer, wie Dungeons & Dragons, komplett mit Regelbuch, einem Abenteuer mit Schauplatz Belgrad durch die Augen von Kindern und Jugendlichen und eben diesen Charakteren. Dann breitet sie Spielkarten, einen Plan und ein Goldmedaillon mit Krokodil an einer Panzerkette auf dem Kaffeehaustisch aus. Barbi Marković hat das Rollenspiel als Spielleiterin mit verschiedenen Menschen gespielt und aufgezeichnet.
Aus wissenden Rückmeldungen und Handlungen, aber auch Unverständnis und Fehlern in Spiel-Situationen, zieht sie ihre Schlüsse. Aus eigenen Erinnerungen und den Spielergebnissen entsteht so ihr Buch: „Die verschissene Zeit“. Wer hier die Brauen hochzieht und sich denkt: „Wieso? Die 90er waren doch geil...“ muss gedanklich die 614 Kilometer zwischen Belgrad und Wien überwinden. Durchaus ähnliche Erlebniswelten von cooler Markenware und uncoolen Nachbauten, Mode & Popkultur wurden abrupt voneinander getrennt. Ob eine Große Koalition und Frieden herrscht oder Nationalismus, NATO-Bombardement und Bürgerkrieg, macht den Unterschied.
Die verschissene Zeit, also die 1990er- Jahre, „haben sich nicht normal angefühlt, aber es war unser Alltag. Es war unsere Jugendzeit mit vielen Zäsuren z.B. die Sanktionen und dann die Bombardierung. Wir konnten nicht in die Schule gehen, elterliche Aufsicht war schwach und wir haben ohne Geld die Zeit totgeschlagen.“ Barbi wohnte damals im Ottakring von Belgrad. 1999 war ihr Maturajahr, aber ein Maturafoto gibt es nicht. Mit ihren Tagebüchern hat sie diese Zeit nachvollzogen und für den WDR zum Hörspiel „Frag die Angst“ verarbeitet. Darin bezeichnet sie sich selbst als „alternativ, bekifft und schüchtern” und berichtet über die NATO-Bombardierung „Operation Allied Forces“ im Frühjahr 1999 mit dem Fazit: „Es war nicht schlimm, aber es war nicht nichts”.
Es war für Barbi 2006 nicht schwer, in Wien Anschluss zu finden - bis auf den Aspekt, kein Geld zu haben: „Ich konnte mich als 26-jährige über Subkulturen wie Kunst, Literatur und Musik unterhalten. Die strukturellen Probleme hatte ich mit Menschen gemeinsam, die auch gerade angekommen waren. Aber meine Freunde sind nicht alle Ex-Jugoslawen.“ Überhaupt nervt sie die „Balkanfixierung“ und Schubladisierung: „Ob der Balkan am Rennweg beginnt, ist mir wurscht.“
Wien ist ihr heute Heimat: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Leben woanders besser werden kann. Ich finde Wien sehr in Ordnung.“ Die zweite Wochenhälfte widmet Barbi im Regelfall dem Schreiben „wobei meine einzige Methode ist, ständig die Methode zu wechseln, damit ich dranbleibe. Ich schreibe auf verschieden Arten und an verschiedenen Orten. Ich bin eine Person der vielen Hände und Entwürfe“.
Wichtig ist, sich zu vertiefen, also einige Zeit am Stück schreibend zu verbringen. Lesungen und Workshops sind für Barbi Marković ein produktives Feld, sie wird häufig angefragt und lernte in diesem Rahmen ihre Lektorin, ihre Übersetzerin und auch Fans kennen: „Ich komme da oft ins Gespräch und habe dann meist einen Text in Vorbereitung, den jemand will.“
Praktischerweise ist in ihrem Wohnhaus auch der Verein ADA untergebracht, in dessen Räumen Ausstellungen und Spielsalons stattfinden und die „Wiener Grippe/KW 77“ gegründet wurde. Ans Aufhören hat sie immer wieder gedacht, aber gerade jetzt will sie lieber dranbleiben: „So lange ich die Menschen nicht jagen muss, mit dem was ich mache, mache ich weiter. Sonst schreibe ich wieder Tagebuch.“
Was ist dein Wiener Lieblingsort? Ich mag die Steinhofgründe, schaue dort gerne ins Grüne, fahre mit dem Mountainbike. Auch den Lainzer Tiergarten. Da gehe ich hin und hoffe, die Wildschweine zu treffen. Und wenn ich sie tatsächlich sehe, bekomme ich Todesangst, stoße Adrenalin aus und fühle mich nachher besser. Eine Empfehlung.
Für welchen Verein schlägt dein Herz? ADA, BH, Wiener Grippe/ KW 77
Eine Buchempfehlung für Wien? Irgendwann wird es das Buch der Wienwanderungen von KW 77 geben, das wird sicher super, könnte aber noch dauern.
Wonach riecht Wien? Nach Manner und Ottakringer, also nach gerösteten Haselnüssen und Maische.
Edit:
Barbi hat auf der Leipziger Buchmesse im März 2024 den Preis für die beste belletristische Neuerscheinung Minihorror (Residenz-Verlag) gewonnen. Sie erzählt in 28 Kapiteln vom Mittelstandspaar Mini und Miki und lässt deren Alltag in Wien zum Horrortrip werden: mit Verwandten, beim Möbelkaufen, in der hellhörigen Wohnung. Die Besprechung zum Buch findet sich hier.
Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.
Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.