Name Barbara Albert, geboren 1970 in Wien, Beruf Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin sowie Lehrende an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, wohnt in Berlin
Die junge Frau mit aufgetürmter Perücke und aufg'mascherltem Kleid greift virtuos in die Tasten des Cembalos. Ihr Publikum in Puder, Perücken und Rüschen fächelt sich Luft zu und tuschelt. Was ist mit den Augen der Pianistin? Ihre Augäpfel rollen haltlos in den Höhlen umher, sie wirkt entrückt und dennoch angestrengt. Von der Seite zischt die Frau Mama ihr zu, was sie neben der Melodie noch alles in den Griff bekommen soll.
Schon in der ersten Szene des Films Licht (Mademoiselle Paradis) skizziert Regisseurin Barbara Albert das Wechselbad der Gefühle, in welches sie ihr Publikum immer wieder tauchen wird. Gerade hat sie beim Viennale Filmfestival ihr neuestes Werk präsentiert. In ihre Geburtsstadt kommt die Wahlberlinerin hauptsächlich zum Arbeiten. 2016 war sie viel in Österreich, zum Drehen in Wien und Niederösterreich sowie für Schnitt und Postproduktion.
Zu Alberts Schaffen zählen Spielfilme wie „Nordrand“, „Böse Zellen“ und „Die Lebenden“, aber auch Dokumentarfilme. Ihr aktuelles Werk nimmt die Jugendjahre der historischen Wienerin Theresia Paradis (1759–1824) in den Fokus: „Ich finde viele Arten des filmischen Erzählens spannend. Es wäre langweilig, mich selbst zu kopieren. Also probiere ich mit jedem Film etwas Anderes. Als nächstes will ich vielleicht einen Geisterfilm machen“, betont die Berufsneugierige.
„Licht“ widmet sich jenen Monaten, als die blinde Pianistin Patientin des Arztes und Heilers Franz Anton Mesmer war. Ihm gelang es – nach zahlreichen vorhergehenden, schmerzhaften und wirkungslosen Behandlungen – ihr Augenleiden vorübergehend zu lindern. Eine Inspiration für den Film war Alissa Walsers Roman „Am Anfang war das Licht“, den Barbara gerne gelesen hat. „Die Figur der Resi Paradis berührte mich. Dass sie nicht sein darf, wie sie ist. Dass ihr Inneres nicht heraus kann, weil sie ständig verhindert wird. Dass sie in jeder Hinsicht eingezwängt ist, in das damals übliche Korsett“, beschreibt Barbara.
Später emanzipierte sich Theresia Paradis, wurde auf einer Europatournee über die Grenzen Österreichs bekannt, korrespondierte mit musikalischen Größen ihrer Zeit, komponierte selbst, war eine Salonnière und arbeitete auch als Musikpädagogin. Sie ist Namensgeberin der Wiener Paradisgasse, auch wenn es ohne den Vornamen nicht erkennbar ist.
Empathie und eine gute Romanvorlage reichen aber nicht aus: „An der Entscheidung für einen Stoff hängen mehrere meiner Lebensjahre für die Umsetzung. Das überlege ich mir entsprechend gut“, schmunzelt Barbara.
Einige Frauen wirkten beim Keimen der Filmidee zusammen, als Barbara noch ihren letzten Film fertigstellte: Resi Paradis, Alissa Walser, Drehbuchautorin Kathrin Resetarits und Producerin Ursula Wolschlager.
Wichtig war im nächsten Schritt die Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion in Wien mit dem Produzenten Michael Kitzberger, die eine intensive Vorbereitung und dementsprechend erfüllende Drehzeit ermöglichte. Barbara ackerte die Recherche-Ergebnisse durch und sprach danach viel mit Fachleuten über historische, physische und psychische Aspekte: „Es ist kein Dokumentarfilm, aber ich will möglichst nah an eine mögliche Wirklichkeit kommen.“
Resi Paradis kommt als junge Frau in den historischen Quellen nicht selbst zu Wort. Es dominiert der männliche Blick ihres Vaters und des Arztes Mesmer: „Als ihr Vater Joseph Anton Paradis von der Nacht berichtet, in der seine Tochter erblindet, redet er ganz seltsames Zeug. Es wirkt fast, als wolle er sich abputzen oder etwas vertuschen. Ich gehe davon aus, dass sie eine Seelenblindheit hatte, eine Form der dissoziativen Störung.“ Das würde auch ganz gut erklären, warum es ihr hilft, dass der Arzt Mesmer sie als Mensch wahr- und aus dem System des Elternhauses herausnimmt.
Trotz der Sorgfalt beim historischen Hintergrund steht in dem Spielfilm natürlich Geschichte und Entwicklung der Figur im Vordergrund: „Wir mussten Resis Entwicklung erfahrbar machen. Ich habe mich gemeinsam mit Darstellerin Maria Dragus für die heftigen Augenbewegungen entschieden, um auch eine Verbesserung gut zeigen zu können.“
Barbara Alberts eigener Blick auf Wien hat sich durch die Arbeit an „Licht“ noch vertieft: Sie hat die Stadt und ihre Gesellschaft noch ein Stück besser verstehen gelernt. Als sie zuletzt eine Premiere im Burgtheater besuchte, „begann das Theater schon auf der Ringstraße. In Wien gibt sich jeder einer Rolle hin, verkörpert etwas und spielt es.“
Ganz wichtig ist auch der Blick: „Ich weiß sofort, dass ich in Wien bin, weil ich anders angeschaut werde. Hier wird nicht einfach betrachtet, hier wird gemustert“, und zeigt gleich vor, wie der Blick von oben bis unten und zurück wandert.
In Wien wird mit dem Blick gleich die Bedeutung des Gegenübers für einen selbst abgeschätzt: „Nach dem Motto: Kann der Mensch mir schaden oder kann er mir nützen. Das ist spannend. Ich kann das mitspielen, komme gut zurecht. Aber Nicht-Österreicher können das gar nicht dechiffrieren.“
Film ist Teamarbeit und das wird Barbara immer noch wichtiger: „Je erfahrener ich werde, desto eher kann ich loslassen und Anderen etwas anvertrauen. Es wird immer noch erfüllender zu sehen, wie jeder in seinem Spezialgebiet so wunderbar zum Ganzen beiträgt. Ich mag die Arbeitsteilung à la Hollywood.“
Filme machen kombiniert das Erzählen in Filmen, das ihr sehr entspricht, das Arbeiten mit Sprache und die geistige, körperliche und sozial-gesellschaftliche Arbeit mit Menschen. Das ist für Barbara „auf vielen Ebenen komplex und wunderbar“. Gelernt hat sie das Filmemachen in den 1990er-Jahren, als die Arbeit mit der Kamera vor der Digitalisierung noch schwerfälliger war. Sie hat selbst viel am Set gearbeitet. Mit den Jahren hat sie erkannt, wie sie als Regisseurin gut sein kann. Sie schöpft gerne aus dem Vollen.
Jedes Mal denkt sie vorher, dass sie bei den wochenlangen Aufenthalten in Wien auch Zeit zum „Privatisieren“ haben wird. Familie und Freunde gäbe es genug zu treffen. Mit ihrem Partner und ihrem Sohn ist sie vor siebeneinhalb Jahren nach Berlin gezogen und kann Wien inzwischen aus einer gewissen Distanz sehen.
Was gefällt dir an Berlin? Ich habe drei Monate gedacht: Niemand mag mich. Dann habe ich begriffen, wie es läuft und fühle mich jetzt sehr wohl. In Berlin bin ich herrlich anonym. Manchmal ärgere ich mich über das Schnoddrige, das Unfreundliche und Harte. Aber ich stimme mich gut ein, wo ich jeweils bin. Nach meinem Film „Die Lebenden“ (in dem sie die SS-Vergangenheit ihres Großvaters zum Thema machte, Anm.), war ich froh wieder in Berlin zu sein. In Deutschland gibt es – auch in der Kritik – eine angenehm größere Distanz. In Österreich wird alles sehr schnell sehr persönlich.
Hast du manchmal Heimweh? Nein. Vielleicht weil ich oft genug in Wien bin. In Wien menschelt es mehr – danach sehne ich mich manchmal, aber nah kann auch zu nah sein. Wenn ich nach langer Zeit aus Berlin nach Wien komme, bin ich manchmal irritiert und mir ist die eigene Stadt zunächst fremd.
Wie geht es dir mit dem Dasein zwischen Preisregen und Finanzierungsabsage? Ich bin ja schon lange im Beruf. Mir hilft mein zweites Standbein, die Professur an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Mit dem Unterrichten habe ich früh angefangen und kann so ausbalancieren, dass nicht jedes Filmprojekt aufgeht. Ich mache die Filme, die ich unbedingt machen möchte oder ich mache sie erst, wenn sie wirklich bereit zur Umsetzung sind. Ich kann mir Zeit lassen. Das ist gut. Der zweite Beruf ist Stütze und Bremse in einem, weil ich nicht mehr 100 Prozent für meine Projekt habe. Aber ich profitiere vom Austausch, lerne viel von der Auseinandersetzung mit den Studierenden.
Du bist auch im Lobbying aktiv. Für die staatliche Förderung und das Aufmerksam machen auf heimisches und europäisches Filmschaffen. Woher nimmst du die Energie her, dich da einzusetzen? Es ist sicher die Sehnsucht nach Gleichgesinnten, mit ihnen zusammenzuarbeiten und etwas zu bewegen. Ich mache es nicht mehr so vehement wie früher, weil ich ja an der Uni in Potsdam Professorin für Film und Vizerektorin für Lehre bin. Das füllt mich sehr aus und ich kann dort auch etwas bewegen. Ich bin keine Funktionärin oder Politikerin, aber ich gebe gerne Anstöße, setze Dinge in Bewegung. Auf die Gefahr hin, nicht alles selbst fortführen und ausgestalten zu können. Es geht um das Einpflanzen. Die nächste Generation engagierter Frauen hegt das heute.
Welchen Film hast du zuletzt gesehen? „Teheran Tabu“ von Ali Soozandeh, „Tiere“ von Greg Zglinski und „Western“ von Valeska Grisebach. Alle drei derzeit oder ganz bald in den österreichischen Kinos!
Was ist dein Lieblingsfilm? Eine Empfehlung? Ich habe nicht den einen Lieblingsfilm, es gibt zu viele, die mich begeistern!
Was liest du aktuell? „Swing Time“ von Zadie Smith.
Was läuft derzeit auf deiner Playlist am meisten? Soap & Skin, Ja Panik!, Der Nino aus Wien – alle auch Inspiration für ein neues Projekt, an dem ich arbeite.
Dein allerliebster Lieblingssong? Mit Best-of-Listen habe ich auch meine Schwierigkeiten, es gibt viel zu viele gute und inspirierende Songs! Aber Nina Simone geht immer.
Für welchen Verein schlägt dein Herz? FC Gloria
Dein Lieblingslokal in Wien ? Das Café Prückel, immer noch und weil es so etwas nicht in Berlin gibt.
Deine Lieblingsbar für einen Absacker? Die American Bar (Loos Bar), auch immer noch.
Wien riecht nach … Naschmarkt und Bärlauch.
Wien schmeckt nach … Topfeneis am Schwedenplatz von Molin-Pradel.
Wo feierst du gerne mit deinen Freunden? Habe ich leider schon zu lange nicht mehr …
Deine Lieblings-Shopping-Adressen? Elke Freytag, Bernadette Kindl
Lieblingsort in Wien? Der Grüne und der Würstel-Prater.
Gibt es Plätze oder Orte in der Stadt, die dich inspirierten? Die Groß- und die Nordrandsiedlung, der Bisamberg, der 2. Bezirk, der Zentralfriedhof, die Wotruba Kirche, die U6, die Donau und der Donaukanal.
Was möchtest du Wien gerne ausrichten? Wählt anders als der Rest von Österreich!
Filmografie Barbara Albert
Filmuniversität
Zum Film
Ab 10. November in den heimischen Kinos,
Empfehlung!
LICHT Ein Film von Barbara Albert
Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.