Architektur am Limit ohne Schwerkraft

René Waclavicek und Barbara Imhof von LIQUIFER fotografiert von Nini Tschavoll

Name: Barbara Imhof, geboren 1969 in Wien, wohnt im 20.Bezirk. Sie studierte Architektur in Wien (TU Wien und Angewandte), London, Strasbourg und L.A. und gründete 2003 die auf Architektur für Raumfahrt und Weltraum spezialisierte LIQUIFER Systems Group.

Name: René Waclavicek, geboren 1976 in Graz, wohnt in Brigittenau. Er studierte Architektur an der TU Wien, arbeitet als Weltraumarchitekt und ist Co-Geschäftsführer der LIQUIFER Systems Group.


Wer erwartet Weltraum-Architektur hinter einer eingerüsteten Gemeindebau-Fassade am Donaukanal, mit einem Waschmaschinengeschäft straßenseitig und einem Kindergarten mit fröhlichen Kinderstimmen im Hinterhof? Was kann man sich darunter vorstellen? Und welche Rolle spielt Wien, wenn es um die Eroberung des Weltraums geht? MadameWien fuhr in den 8. Stock und befragte dazu Barbara Imhof und René Waclavicek im Büro der LIQUIFER Systems Group.

Architektur ist schon auf Erden oft schwierig, umstritten und limitiert. Warum haben sich die beiden auf den Weltraum spezialisiert, wo keine Schwerkraft wirkt, dafür extreme Strahlung, Baumaterial schwierig zu transportieren ist und Menschen in einer Ausnahmesituation sind? „In meiner Jugend habe ich mich für den Schutz unserer Umwelt interessiert, um Menschenleben gut möglich zu machen. Im Architekturstudium an der Angewandten habe ich mein Interesse an der Zukunft weiterentwickelt. Man plant ja immer für eine Zukunft, und wenn man das noch ein Stück weiter denkt, kommt man nicht umhin Szenarien anzudenken. Solche, wo wir nicht mehr auf der Erde leben, sondern auf der Mondoberfläche, dem Mars oder irgendwo dazwischen”, erläutert Barbara Imhof.

Aus der Idee, wie Menschen dort zusammenleben, welche gesellschaftlichen Ordnungen, Systeme, und Architektur es braucht, wechselte sie zum Master an die International Space University nach Strasbourg (Frankreich). Ende der 1990er-Jahre war die Erkundung des Weltraums, geschweige denn außerirdischer Lebensraum, medial kaum präsent. Der Aufenthalt am Johnson Space Center der NASA versetzte die Architektin dennoch in eine andere Realität: „Jeden Monat ist ein Space Shuttle gestartet zu einer Mission oder zur MIR. Das Wohnen oder der Transport in den Weltraum war dort etwas Alltägliches.“

René Waclavicek gehört zu jenen, die sich seit Kindheit für den Weltraum begeisterten und von Carl Sagan beeinflusst und fasziniert waren. Er lernte Barbara Imhof im Studium an der TU Wien kennen, wo sie am Hochbau 2 Institut von Helmut Richter unterrichte und Weltraumarchitektur-Entwurfsprogramme ausschrieb. Sein AHA-Erlebnis war ebendort, als er bemerkte, dass er beide Interessen verbinden kann. 2005 kam die Crew bestehend aus Barbara Imhof, Waltraut Hoheneder, Susmita Mohanty (ISU) und René Waclavicek darin überein die „Mission ins Unbekannte“ zu wagen und die LIQUIFER Systems Group für Weltraumarchitektur zu gründen.

René beschäftigt sich als Architekt mit der Planung für den Weltraum, „weil sie besondere Herausforderungen bietet. Man agiert unter extremen Bedingungen, mit sehr begrenzten Räumlichkeiten, alle Aktivitäten finden in einem Raum statt und man muss sich überlegen, wie man den umnutzen und transformieren kann. Es ist sehr verlockend für die Schwerelosigkeit zu planen, wenn man sich in alle Richtungen ausbreiten kann“.

LIQUIFER geht es immer darum, einen Raum für Menschen und das Zusammenleben von Menschen zu schaffen. „Die Bedürfnisse von Menschen ändern sich nicht, egal wo wir leben. Wir brauchen etwas zu essen, wir brauchen Luft und Wasser, haben gerne etwas Sinnvolles zu tun, sind von Natur aus neugierig und haben uns als Spezies dem Erforschen gewidmet.“ Apropos Nahrung: Gemeinsam mit 13 Partneroranisationen unter der Leitung der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat LIQUIFER EDEN ISS entwickelt, ein Gewächshaus mit optimiertem Raum- und Ressourceneinsatz.

EDEN ISS fokussiert auf eine aeroponische Anwendung, bei der die Wurzeln ohne Erde auskommen und mit einer abgestimmten Nährmittel-Lösung besprüht werden. Das Gemüse wächst unter energiesparendem LED-Licht in einem bestimmten Spektrum in einem Container. Aktuell wird EDEN-ISS in der Antarktis unter extremen Bedingungen auf der Erde getestet. „Da der Weltraum diese extremen Bedingungen vorgibt, muss man sehr fokussiert und mit geschärftem Blick vorgehen. Das kommt uns bei Anwendungen auf der Erde zugute, wo die Randbedingungen noch einfacher sind, sich aber verändern“, erklärt Barbara Imhof.

Bei EDEN ISS ist die Verbindung zur Erde relativ direkt, weil die Technologien auch für die Produktion im vertical indoor farming interessant sind, mitten im urbanen Raum, mit wenig Ressourcen, wenig Wasser, ohne Pestizide, bei hohen Erträgen. Für René Waclavicek spielt neben dem technologischen auch der völkerverbindende Aspekt der Weltraumtechnologie eine wichtige Rolle: „Nach 20 Jahren Space-Race der Supermächte ist das heute ein Friedensprojekt. Die ISS ist ein riesiges internationales Kooperationsprojekt.“ Entsprechend sind alle Projekte, an denen LIQUIFER arbeitet, Teamarbeit in Konsortien, wo jede Organisation eine andere Spezial-Expertise einbringt: „Wir stellen unsere Kompetenzen in Architektur, Produktdesign und Weltraum-Ingenieurwissenschaft in den Dienst des Gesamtprojekts. Nach 20 Jahren sprechen wir die gemeinsame Sprache und docken so erfolgreich an angeschlossene Disziplinen an.“

Aktuell arbeitet LIQUIFER an zwei Projekten rund um den Erdtrabanten. Das internationale Wohnmodul der Raumstation Lunar Gateway im Mondorbit wird schon bald in zwei 1:1 Mock-ups zum Training mit den Crew-Mitgliedern umgesetzt, die in Europa und den USA aufgestellt werden. „Die beiden Trainingsmodule bauen wir gemeinsam mit unserem französischen Partner COMEX, mit dem wir seit fast zehn Jahren eng zusammenarbeiten. In dieser Zusammenarbeit ergänzen sich guter Teamgeist und Expertise“, betont Imhof. Flug-Hardware macht LIQUIFER im Moment nicht. Diese wird noch auf Herz und Nieren getestet für die schwierigen Bedingungen in Weltraum. Aber auch im Innenraum gibt es strenge Vorschriften. Schwer entflammbare Stoffe sind Pflicht und es gibt auch keine Aufdrucke auf Raumanzügen die ausgasen könnten. Daher werden Embleme in der Raumfahrt immer aufgestickt. Zwei große Rollen des Weltraumstoffs Nomex stehen im Büro.

Wir erfahren, dass die Lärmbelastung aus den lebenserhaltenden Systemen in einer Raumstation hoch ist und dass ein Schlafsack für die Entspannungshaltung in der Schwerelosigkeit für eine hockende Embryo-Haltung geformt sein muss. Im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf musste das Gateway-Habitatmodul für eine kleinere Trägerrakete redimensioniert werden. Wo wird gespart, wenn Minimalismus ohnehin Pflicht ist? „Die lebenserhaltenden Systeme schrumpfen nicht. Auf Stauraum ist am leichtesten zu verzichten. Auch beim bewohnbaren Raum müssen Abstriche gemacht werden auf 10m3 für alle“, beschreibt René Waclavicek.

Allerdings sind die Missionsdauern auf 30 Tage beschränkt und es gibt noch andere Räume an Bord. Der Zeitplan ist eng: 2024 bis 2026 sollen die Module aufgebaut werden und in Betrieb gehen. Das Lunar Gateway ist in einem Mondorbit angesiedelt und dient als Tor für weitere Missionen auf die Mondoberfläche, aber auch als Vorbereitung für Mars-Missionen. Um auf anderen Planeten zu überleben, kommt es darauf an, welche Ressourcen man vor Ort nutzen kann.

Also arbeitet ein weiteres Konsortium im Projekt Regolight daran, Mondstaub, Mondgestein und starke Solarenergie zu nutzen, um daraus strahlenschützende Kuppeln (auch gegen Mikrometeoriten) zu bauen. „Mit der Uni Aachen überlegen wir uns Anwendungsfelder für Basaltfasern, die mithilfe von Sonnenenergie geschmolzen, ausgezogen und aufgespult werden. Sie sind sehr widerstandsfähig und können Bauteile faserverstärken“, so René Waclavicek. Die Bauteile für die Kuppeln sollen aus Mondsand gesintert werden, wie in einem 3D-Drucker betrieben mit gebündeltem Sonnenlicht. Man merkt, dass er es beinahe vor sich sieht: „In zwei Schichten mit einem luftdichten Ballon innen, den man platzsparend transportieren kann, kann man so einen Wohnraum schaffen.“

In der Corona-Krise wurden auch RaumfahrerInnen zu Isolation und räumlicher Beschränkung befragt, denn die kennen sich damit aus. Corona kam jedoch plötzlich und unvorbereitet, im Gegensatz zu den Missionen ins All. Auch Barbara Imhof kennt hilfreichen Strategien wie eine Tagesstruktur erstellen und regelmäßiges Umräumen/Umstellen im Wohnraum. „Eingeschlossen zu sein, ist nicht wie eine Weltraummission. Wir haben im Lockdown für unser lang laufendes Projekt City As A Spaceship drei Publikationen ausgearbeitet mit vielen Fachleuten rund um den Globus.“

Wo ist Wien besonders spacig? Bei uns!

Was gibt es nur in Wien? Barbara: Das Kaffeehaus. Das ist ein wenig kitschig, aber wenn man lange weg war und sich dann da hineinsetzt, Zeitung liest, sich bequem macht, einen kleinen Kaffee trinkt. Das gibt es nur in Wien. René: Den Heurigen. Je mehr man herumkommt, erlangt man die Einsicht, dass sich Mentalitäten und Menschen von Ort zu Ort nicht grundsätzlich voneinander unterscheiden. Man trifft dieselben Typen überall auf der Welt

Ein Wiener Lieblingsort? Barbara: Der Wiener Wald am Hermannskogel, Das ist immer wieder so ein Ziel, der höchste Berg von Wien. René: Ich mag den 2. und 20. Bezirk, diese Ecke von Wien. Da fühle ich mich wohl, ich schätze die kulturelle Vielfalt und die Nähe zur Donau.

Ein Wiener Lieblingswort? René: Das langgezogene passt mit hartem b am Anfang. So etwa: baaaast! (lacht).

Der beste Weltraumfilm? René: „A Space Odyssee“ ist die Mutter aller Sci-Fi Filme

Das beste Weltraum-Buch? Barbara:  Solaris von Stanislaw Lem und die „Sterntagebücher“.

Die beste Weltraum-Musik? Barbara: Für meine Radio Orange Sendungen Space Specials verwende ich immer wieder  Surfing on a rocket  von Air. Das erinnert mich an den Film Dark Star.

Web

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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