Name: Irene Fuhrmann, geboren 1980, aufgewachsen in Wien Penzing, wohnt jetzt außerhalb von Wien, weil sie in die Fußball-Akademie nach St. Pölten pendelt. Von Beruf ist sie Trainerin des Frauen Fußball-Nationalteams.
Die gute Nachricht zuerst: Das Fußball Frauen Nationalteam ist für die EM 2022 fix qualifiziert. Irene Fuhrmann mischte schon beim Halbfinaleinzug der Frauen bei der EM 2017 als Assistenztrainerin mit. Ende Juli 2020 wurde sie als neue Teamchefin und Nachfolgerin des langjährigen Cheftrainers Dominik Thalhammer vorgestellt. Bei der Antrittspressekonferenz streute ihr die versammelte ÖFB-Spitze Rosen.
Sportdirektor Peter Schöttel betonte, dass sich mehrere Personen beworben hatten und Fuhrmann den Job nicht aufgrund ihres Geschlechts bekommen habe, "sondern, weil wir es ihr hundertprozentig zutrauen und sie sich extrem bewährt hat". Diese Pressekonferenz ist online abrufbar. Irene selbst hat sie nie gesehen, obwohl es zum Job gehört viel zu streamen und zu schauen. Doch dazu später. „Ich war extrem nervös. Mein Naturell ist nicht unbedingt, vorne zu stehen – ich sehe mich als Teil des Teams“. Beim Interview erleben wir eine bescheidene Person, die für Fußball brennt und gut vorbereitet in die erste Reihe vorgetreten ist. Während wir an einem nebeligen Tag Anfang März die Prater Hauptallee hinauf und hinunter marschieren, erzählt die Trainerin MadameWien von ihren ersten Monaten im Amt.
Auch wenn sie schon sechs Jahre U19-Trainerin war, war „es ein Schritt aus der Komfortzone für mich. Das ist kein Geheimnis. Dieser Job ist mit einer ganz anderen Aufmerksamkeit verbunden, natürlich auch aufgrund der großen Erfolge des Teams. Aber mir geht es sehr gut damit. Ich bin sehr froh, dass die vier herausfordernden Qualifikationsspiele, die ich betreuen durfte, gut gelaufen sind.“ Das Team hat zwei Mal gegen den Gruppenkopf Frankreich (Platz 3 der Weltrangliste) gespielt und gegen das starke serbische Team. Das alles unter den verschärften Bedingungen der Corona-Pandemie. Und damit ist nicht nur das Spielen ohne Publikum gemeint.
Sehr viel hat sich geändert und niemand hatte Erfahrungen damit. Es braucht eine sehr enge Abstimmung mit den Vereinen, bei denen die Spielerinnen unter Vertrag sind, es gibt ein strenges ÖFB-Präventionskonzept, Einzelzimmer, kaum Auszeiten oder Rauskommen bei den Lehrgängen, eigene Transporte und Abholungen, strenge Einreisebestimmungen und natürlich viel Desinfektion. Sechs bis sieben Mal im Jahr, je eine Woche bis zehn Tage, darf sie 20 Spielerinnen und drei Torfrauen einberufen, um als A-Team zu trainieren.
Als Folge von Corona gab es im Herbst mehr Ausfälle bei den Stammkräften. So konnte etwa Torfrau Manuela Zinsberger aus England nicht einreisen, „aber wir haben es gut geschafft uns auf Dinge zu konzentrieren, die wir beeinflussen können. Anstatt zu jammern, dass wir diese oder jene Spielerin nicht haben, fragen wir uns was wir machen können und arbeiten lösungsorientiert mit dem, was wir haben.“
Die Fußstapfen ihrer Vorgänger interessieren uns weniger als ihr Stil als Trainerin. Wie ist sie so bei einer „Kabinenpredigt“? „Eine Nationalspielerin brauchst du nicht motivieren. Die ist einfach stolz, das österreichische Dress tragen zu dürfen. Ich lege Wert auf gewisse Regeln auf dem Platz und neben dem Platz. Innerhalb dieses Rahmens behandle ich sie wie erwachsene Menschen.“
Innerhalb des Rahmens können und sollen sich die Fußballerinnen frei bewegen, ihre Stärken einbringen, ihr Potenziale entfalten. Das gelingt gut, meint Irene, weil das Team eine extrem positive Gruppendynamik hat. Die meisten kennen einander lang, der Stamm spielt seit zehn Jahren zusammen. So ein Lehrgang hat ein dichtes Programm mit Analysen. Einzeln, in der Mannschaft, in Positionsgruppen, es gibt Gespräche mit der Sportpsychologin, Physio, Workshops in Kleingruppen. Was es bei ihr nicht (mehr) gibt, ist vorgeschriebene Zimmerruhe. Jede macht, was sie braucht, stört aber die anderen nicht.
Auf dem Feld braucht es zwei Breitengeber im Angriff, das Spielfeld muss lang gemacht werden. „Wir geben den Spielerinnen Werkzeuge mit. Wir analysieren die Gegnerinnen und sagen, wo wir Räume vermuten. Aber sie müssen diese Freiheiten dann mit Verantwortung füllen, das Spiel eben spielen und überraschen.“ Auch zwischen den Lehrgängen kommuniziert Irene ständig mit den Vereinstrainern und den Spielerinnen: „Ich habe sie sozusagen immer im Auge. Ich schaue mir ihre Spiele auf Regionalsendern oder im Livestream an. Ich frage nach, gebe Beobachtungen weiter, gebe individuelles Feedback auf ihre Leistung via Zoom.“
Irene selbst ist vergleichsweise spät und eher zufällig zum Profi-Fußball gekommen. Erst im Rahmen ihres Sportstudiums begann sie mit 19 Jahren im Verein zu spielen. Aber ihre Kindheit in Wien Penzing verbrachte sie mit ihren beiden älteren Brüdern im Park und im Fußball-Käfig: „Wir haben drei gegen drei auf engem Raum gespielt.“ Rücksicht auf ein Mädchen hat da vermutlich niemand genommen. Ballverliebt wie sie war, hat sie die Trainerin zunächst in den Sturm gestellt.
Später war sie offensive zentrale Mittelfeldspielerin, „weil ich ein gutes Auge für den letzten Pass hatte. Im Nationalteam habe ich teilweise auch Mittelfeld außen gespielt, aber da war ich zu langsam auf Sicht“, analysiert Irene trocken. Man glaubt ihr, dass sie ihren Job als Privileg empfindet, dass sie stolz sein kann, aber nicht angibt. Irene hat 22 Länderspiele bestritten, wechselte aber schon in jungen Jahren ins Betreuerlager. 2008 wurde sie Co-Trainerin im U19- und im A-Team, 2011 angestellte Individualtrainerin im Nationalen Zentrum für Frauenfußball in St. Pölten, der heutigen ÖFB Frauen-Akademie, und übernahm die U19-Equipe, die 2016 bei der EM-Endrunde war.
Irene Fuhrmann hält die höchste, die UEFA Pro-Trainerlizenz. Wie lief die letzte Stufe der Ausbildung zur Profi-Trainerin ab? In eineinhalb Jahren wurden in mehrtägigen Modulen verschiedene Spezialgebiete erarbeitet: technisch-taktisch, Belastungssteuerung, Pädagogin und Psychologin werden, Selbstkompetenz, Medienschulung, Videoanalyse und Präsentation - alles sehr realitätsnahe mit Tutor beim Training, Feedback in allen Belangen, echten Spielanalysen in Rollenspielen... „Jetzt wird auch Englisch forciert. Ich hätte es in einem mehrsprachigen Team wohl schwer“, lacht sie.
Sie konnte sich in jeder Ausbildung etwas mitnehmen und über die Praxis wächst man dann auch in Ungeliebtes rein, wie etwa Pressearbeit. „Die größte Herausforderung im Vorfeld war für mich, ob es mir gelingt, Dinge abzugeben. Ich brauche ja Zeit für die Spielerinnen und den Austausch. Das ging, weil ich es lernen musste und es mit meinem Team einfach gepasst hat.“ Training ist Teamarbeit und alle im Profi-Fußball wissen, „wieviel (Wo-)Man Power das braucht. „Es war mir wichtig einen Betreuerstab zu haben, dem ich vertraue, auf dessen Wissen ich baue. Das habe ich vor meiner Bestellung geklärt, damit ich mich da wohlfühlen kann.“
Druck – und die Aufmerksamkeit in einem Land mit Millionen verkappten FußballtrainerInnen und VirologInnen – gehört zu ihrem Job als Trainerin dazu. Sie muss nicht alles im Detail können, kann sich beraten, trifft die Letztentscheidung – und hält gegebenenfalls den Kopf dafür hin. Viel zu meckern gibt es angesichts der Qualifikation nicht. Und Irene achtet auf ihre Psychohygiene. Sie liest keine Forendiskussionen und Social Media Suadas: „Man muss sich nicht allem aussetzen.“
Wie beurteilt sie die Nachwuchspflege in Österreich heute? Bei ihr selbst regierte eher der Zufall. „Es gibt heute einen ÖFB-Aktionsplan für die gezielte Weiterentwicklung. Karin Gruber hat in einer eigens geschaffenen Stelle den Auftrag, Mädchen ab fünf Jahren zum Fußball zu bringen und setzt mit allen Landesverbänden Projekte um.“ Corona hat auch hier viel gestoppt und es wird spannend werden, wie viele zurückkommen. Jedes Mädchen darf in Österreich grundsätzlich in jedem Burschenverein spielen - da liegt es dann am Trainer, sie zu betreuen und zu halten.
Noch gibt es wenige reine Mädchenvereine, was regelmäßiges Training aufwändig macht: „Es ist schon besser geworden, aber die Drop-out Quote ab 14 Jahren ist da. Wir brauchen eine größere Breite.“ Die besten Burschen und Mädchen eines Landesverbandes können von 10 bis 14 Jahren in den Leistungsausbildungszentren der Länder vier Mal pro Woche miteinander trainieren und mit der ÖFB Frauen-Akademie „können wir seit 2011 die allerbesten von 14 bis 19 gebündelt in St. Pölten trainieren. Diese Lücke in der Talentepyramide haben wir geschlossen.“
Weil sie es wirklich gerne tut, reden wir noch einmal über das Team, dessen Teil sie ist. Es ist quasi das akustische Äquivalent zum Jubel-Video über die Qualifikation, in dem das Frauen-Nationalteam seine Trainerin in die Luft schupft. Das Team ist „immer offen für Neues. Wir haben nicht diese individuelle Qualität wie andere Nationen. Frankreich ist sehr stark und spielt sein Spiel. Wir müssen es schaffen, im Kollektiv gut zu sein und die Gegnerinnen immer wieder zu überraschen, weil wir eben nicht immer in derselben Grundaufstellung spielen. Die Spielerinnen schwingen sich immer in kurzer Zeit auf unsere Analysen, die Ankerpunkte und Handlungspläne für ihre Positionen ein“.
Vielleicht schaut man Frauenfußball deshalb so gerne, „weil Frauen weniger herumliegen und jammern, sondern spielen. Aber ich vergleiche ansonsten wenig. Der Frauenfußball ist erst im Entstehen.“ Im Teamsport auf Profilevel muss man sich nicht verstehen, aber man muss die Leistung erbringen können. Und dann rückt Irene Fuhrmann doch noch mit einem Unterschied zwischen Männern und Frauen im Fußball heraus: „Die Frauen müssen sich gut verstehen, also im Team wohlfühlen, um die Leistung erbringen zu können“. In Irene Fuhrmann haben sie jedenfalls eine unaufgeregte Begleiterin für spannende Lebenslagen gefunden.
Was ist die richtige Bezeichnung: Damen-Fußball oder Frauen-Fußball? Wir sagen Frauen-Nationalteam. Damen passt nicht, wir sagen auch Männer- und nicht Herrenfußball. Ich sage oft „Mannschaft“ und „Hintermann“, weil es im Sprachgebrauch noch so üblich ist.
Dein Lieblingsort in Wien? Da drei meiner vier Geschwister in Wien wohnen, bin ich immer wieder hier. Das Tolle an Wien ist, dass es so vielfältig ist und je nach Stimmung viel zu bieten hat. Wien ist nicht ohne Grund lebenswerteste Stadt. Den schönsten Platz kann ich nicht nennen. Ich bin dankbar, dass ich hier geboren bin. Ich bin im Westen Wiens aufgewachsen und mag die Umgebung um Schönbrunn sehr. Aber ich sage auch oft: als Wienerin kenne ich die Stadt eigentlich noch zu wenig. Ich mag die tollen Bauten der Innenstadt und schätze, dass es soviel Grün hier gibt: den Lainzer Tiergarten, den Bundesgarten in Schönbrunn, den Kahlenberg.
Spielst Du noch manchmal Fußball? Fußball mit anderen Frauen kann ich fast nie spielen. Die, mit denen ich gespielt habe, können verletzungsbedingt oft nicht mehr. Oder sind nie an einem Ort zusammen. Die Schwachstelle ist meist das Kniegelenk, bedingt durch eine andere Becken-Bein-Achse und muskuläre Dysbalancen. Ich habe mich immer sehr viel gerne draußen bewegt. Wir haben als Kinder getobt, sind über Zäune, Mauern und Bäume geklettert. Ich bin also auch viel hingefallen und mein Körper weiß, wie das geht. Das ist mir immer zugute gekommen in der Koordination, ich war fast nie verletzt.
Welchen Sport machst Du? Laufen, das geht fast immer und überall. Es macht den Kopf frei oder ordnet die Gedanken.
Wonach riecht oder schmeckt Wien? Kann man Vielfalt riechen?
Was ist Deine Lieblingsspeise? Ich esse so gut wie alles.
Möchtest Du eines Tages Männer trainieren? Ich schließe es nicht aus, aber es ist kein Ansinnen von mir.
Was ist Dein Wiener Lieblingswort? Das Wort „ur“ assoziieren alle mit Wien. Aber ich mag lieber G’frast. Und es passt auch gut zum Nationalteam, weil wir müssen mehr G’fraster sein – wir sind oft zu brav. Wir könnten etwas schmutziger spielen, einmal eine gelbe Karte mit einem taktischen Foul riskieren.
Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.
Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.