Name: Erika Freeman, geboren 1927 in Wien, von Beruf Psychoanalytikerin, wohnt in Wien Mariahilf und New York City, USA
In ihrem lichtdurchfluteten Wohnzimmer empfängt sie sonst ihre Patientinnen und Patienten. Dass sie fast 93 Jahre alt ist, hindert sie nicht daran. Und jene, die ihren Rat suchen, genauso wenig. „Immer noch bekomme ich neue Patienten“, sagt sie, und schaut dabei gespielt-verwundert drein. Wer auch immer mit ihr in Berührung kommt, ist darüber kein bisschen verwundert. Jedes Gespräch mit ihr, jede Anekdote, die sie erzählt, jeder ihrer weisen Sprüche ist wie eine kleine, wohltuende Therapie-Einheit.
So kann es vorkommen, dass sich während eines Interviews die Rollen von Gefragtem und Fragendem neu ordnen. „Bist du die Lieblingstochter deines Vaters?“ fragt sie zum Beispiel, ganz unvermittelt. „Weil nämlich die gegengeschlechtlichen Lieblingskinder eines Elternteils immer Erfolg haben werden, egal, wie schwierig es wird. They fail not to succeed.“ Und während man noch darüber nachdenkt, sagt sie: „Jedes Elternteil hat ein Lieblingskind, ob sie es zugeben oder nicht.“ Und dann dieser typische Blick: ironisch, weise, das Gegenüber durchschauend, aber liebevoll.
Erika Freeman wurde 1927 als Erika Padan in Wien geboren. Ihr erstes Zuhause war eine intakte, wohl behütete Familie, Vater, Mutter, Kind. Das änderte sich mit dem aufkommenden Judenhass und Hitler. 1940, zwei Jahre nach dem „Anschluss“, wurde Erika, damals 12 Jahre alt, in Sicherheit gebracht.
Mit einem Affidavit, einer Bürgschaft, floh sie über Amsterdam nach Amerika – allein. Ihre Mutter Rahel blieb in Wien zurück, lebte im Untergrund, lehrte hier den jüdischen Kindern, die nach Palästina geschmuggelt wurden, Hebräisch. Beim letzten Bombenangriff auf Wien starb sie, kurz vor Ende des Krieges 1945.
Erikas Vater war Außenminister gewesen im Schattenkabinett der Sozialdemokraten. Er wurde kurz nach der Machtergreifung der Nazis nach Theresienstadt deportiert. Der Familie wurde gesagt, er sei dort gestorben. „Das stimmt aber gar nicht“, sagt Erika, denn eines Tages traf sie ihn wieder. „Ausgerechnet an Jom Kippur bin ich ihm über den Weg gelaufen, in New York!“ Dort lebte Erika seit ihrer Flucht aus Wien. Sie kam bei entfernten Verwandten unter, lernte Englisch und studierte. Erst „International Relations“, mit dem Ziel, die Welt zu retten.
Mit dem israelischen Außenminister kam sie zu den Vereinten Nationen nach Lake Success. „Eines Tages waren die ganzen Politiker versammelt, ein paar von ihnen haben laut herumgeschrien und ich dachte mir: wenn ich eine Idee habe, ist es eine Idee. Wenn er eine Idee hat, wird daraus Politik! Und er ist verrückt, er könnte die Welt zerstören.“ Und Erika hatte tatsächlich eine Idee: „Wenn ich einen verrückten Menschen wie ihn in eine produktive Bahn lenken kann, wird er die Welt nicht zerstören.“ So beschloss sie, Psychoanalytikerin zu werden und eben auf diesem Wege die Welt zu retten.
Bald lagen in ihrer New Yorker Praxis die schillernden Stars auf ihrer Couch. Worüber sie mit ihnen sprach, behält sie als Therapeutin natürlich für sich. Überhaupt hält sie geheim, ob sie überhaupt mit ihnen sprach: „Ich habe das nie gesagt.“ Sprichts und lächelt geheimnisvoll. „Meine Patienten sind kreative Persönlichkeiten. Mit normalen Neurotikern kann ich nicht viel anfangen,“ sagt Erika. Kreative Menschen haben, sagt sie, etwas Spezielles an sich, sie hören mehr, fühlen mehr, haben feinere Sensoren. „Das tut manchmal sehr weh.“ Mit Woody Allen, Marlon Brando und Marilyn Monroe war sie befreundet.
Auch ihr Mann war ein Kreativer, der Bildhauer, Maler und Kalligraph Paul Freeman. Sie heiratete ihn mit 27, das war spät für die damalige Zeit, Mitte der 1950er Jahre. Die Ehe war modern. Und glücklich. Bis Paul mit gerade einmal 50 Jahren plötzlich starb. „Eine Frechheit!“ sagt Erika. Sie ist eine Frau, die an vielen verschiedenen Ecken und Enden mitmischt und sich, wo sie kann, für Frauen einsetzt.
So war sie Beraterin von Golda Meir, als diese Premierministerin von Israel war. Sie gehörte zu den ersten Mitgliedern des 1982 gegründeten International Women´s Forum , ein Zusammenschluss „wichtiger Weiber“, Frauen in Toppositionen, die es damals nur vereinzelt gab. Damit scheint sie nach ihrer Tante zu kommen: Ruth Klüger, einer Heldin der israelischen Geschichte, Kopf der Organisation Aliyah Bet, die nach dem zweiten Weltkrieg Juden aus Europa nach Palästina schmuggelte. Und nach ihrer Mutter, der Rebellin, die als erste Frau Hebräisch lehrte.
Seit einiger Zeit verbringt Erika mehrere Monate im Jahr in Wien, der Stadt, aus der sie vor 80 Jahren floh. Hier hat sie jetzt auch eine Wohnung, die ihr gehört und die davor an eine Studenten-WG vermietet war. Ein paar bunte Wände, die ihre Vormieter strichen und die ihr gefielen, zeugen davon. Anfangs war sie gerne im Hotel Imperial abgestiegen, ebenfalls eine „Rache an Hitler“, denn der hatte nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich dort gewohnt, wenn er in der Stadt war.
Eine spürbare Leistung war das für sie, mit Österreich wieder ins Reine zu kommen,. Dem Land, in dem ihr einst alles genommen war und aus dem sie fliehen musste. Dass sie seit rund 10 Jahren wieder einen Wohnsitz in Wien hat, dafür ist die Organisation Letter To The Stars verantwortlich. Als Zeitzeugin ist sie Teil dieses Projektes, bei dem Schülerinnen und Schüler mit Zeitzeugen wie Erika in Kontakt kommen.
Geplant war ihre Rückkehr nach Wien also nicht. Von Plänen hält sie ohnehin wenig. „Ich mache nie Pläne“, sagt sie. „Bisher ist aus meinen Plänen noch nie etwas geworden“. Dann lacht sie und sagt: „Sondern immer was viel Besseres.“
Wo wohnst du, wenn du in der Stadt bist? Entweder in meiner Wohnung im 6. Bezirk oder im Hotel Imperial. Das ist meine Rache an Hitler.
Vermisst du Wien, wenn du in New York bist oder umgekehrt? Weder noch. Ich freue mich immer über die Stadt, wo ich bin. Meine Aufenthalte in Wien werden immer länger. Anfangs war es eine Woche, dann ein Monat, jetzt bin ich oft mehrere Monate hier.
Wirst du dich eines Tages für eine Stadt entscheiden? Das kommt auf die Menschen an, nicht auf die Stadt. Dort, wo du Menschen hast, die dir etwas bedeuten, ist deine Stadt. Ansonsten ist man ein Tourist.
Ursel ist gelernte Wienerin (was man ihr aber nicht anhört) und auch nach vielen Jahren noch frisch verliebt in ihre Stadt. Mit ihrer Familie lebt sie in Liesing. Hier schreibt sie Reportagen, Kolumnen und Bücher. Und sammelt Einkaufszettel fremder Menschen.