Die Angst ist eine hochmotivierte Mitarbeiterin

Karin Magrutsch fotografiert von Nini Tschavoll

Name: Karin Magrutsch, geboren 1970 in Wien, lebt in Ottakring und arbeitet in Mariahilf. Die Psychotherapeutin hat sich auf die Behandlung von Angst(störungen) spezialisiert.


„Ich habe Angst“ ist ein Satz, den man eher von Kindern in dieser Deutlichkeit zu hören bekommt. Wir Erwachsenen versuchen uns wenig anmerken zu lassen von einem Gefühl, das sich eigentlich nicht ignorieren lässt. Das den Körper in Alarmmodus versetzt. Die Kehle eng macht. Das Herz in die Hose rutschen lässt. Wir vermeiden lieber Orte, Situationen oder Menschen, die uns Angst machen.

Karin Magrutsch arbeitet in einem Psychotherapiezentrum in Mariahilf, das sich auf die Behandlung von Ängsten spezialisiert hat. Das Türschild ist nicht abschreckend: „Die meisten wissen, dass sie hier richtig sind. Es ist wichtig, Angst als solche zu benennen. Wenn man das Faktum anerkennt, kann man besser damit leben und daran arbeiten“, erklärt sie freundlich.

Angst ist überaus nützlich. Sie warnt uns vor Risiken. Das dringliche Gefühl beschützt uns, lässt uns überleben und verleiht uns ungeahnte Kräfte, wenn nötig. Als Dauerzustand macht sie uns kaputt. Von den Fenstern der Praxis können wir auf die Mariahilferstraße hinuntersehen auf Menschengewimmel, Leuchtreklamen, klimatisierte Geschäfte, U-Bahn, Entertainment und Fast Food. Das Abbild unserer Kultur und Technologie macht es schwer vorstellbar, dass unser Körper auf eine steinzeitliche Ausstattung setzt.

Wenn wir Angst haben, machen wir uns für genau drei Reaktionen bereit, mit denen wir unser Leben retten könnten: Flucht, Angriff oder Totstellen. Das existenzielle Grundgefühl des Menschen macht sich als purer Stress bemerkbar: „Der Job der Angst ist es, Leib und Leben zu schützen. Also werden Dinge, die schon einmal schlecht ausgegangen sind, besonders gut abgespeichert.“ Nicht nur selbst erlebte Gefahrensituationen merken wir uns. Auch die aller anderen, von denen wir gehört haben. Es war einfach sinnvoll zu wissen, wo der Säbelzahntiger wohnt. Dass der Onkel die Begegnung nicht überlebt hat. Und wo das Raubtier gerne wartet.

Zu den häufigsten Ängsten gehört die Platzangst (Agoraphobie), die rund fünf Prozent der Menschen betrifft. Aber auch Flugangst, Lampenfieber, diverse Tierängste (Spinnen!), Prüfungsangst, Höhenangst oder Klaustrophobie quälen viele. Phobien sagen die Fachleute zu isolierten Ängsten vor speziellen Situationen. Eine Tunnelphobie klingt vermeintlich isoliert, macht das unterwegs sein aber schwierig. Auch die Sozialphobie ist eine erhebliche Störung und schwieriger zu behandeln als andere Phobien. Sie bedeutet, dass man sich vor dem Urteil oder der schlechten Bewertung durch andere Menschen ängstigt, was Gruppensituationen erschwert. Flugangst kann verschiedene Ursachen haben. Dahinter steht meist eine Platzangst und als Schlüsselreiz das Gefühl, keinen Fluchtweg zu haben.

Auch die generalisierte Angststörung ist ziemlich verbreitet, quälend und langwierig - unter Frauen noch mehr. Ihr Kennzeichen ist viel Sorge und Angst vor Krankheiten und künftigen Katastrophen. „Man ist ständig in der Zukunft mit den Gedanken. Die Gegenwart wird ziemlich anstrengend und freudige Momente können kaum genossen werden, weil ständig irgendetwas droht.“ Und dann wäre da noch ein Zustand, der die meisten letztendlich zu Karin Magrutsch in die Praxis führt: Die Panikattacke. Hier bricht sich meist eine Angst Bahn, die schon länger da ist. „Das fühlt sich an wie ein Herzinfarkt, weswegen viele im Spital landen. Wenn dort nichts Organisches gefunden wird, wird oft eine Psychotherapie empfohlen. An einer Panikattacke kommt man nicht vorbei. Sie neigen dazu, sich zu verstärken und zu häufen, wenn man nichts tut.“

Karin Magrutsch wirkt, als könnte sie kaum etwas aus der Fassung bringen. Sie ist die Ruhe selbst und setzt auf ihre Stimme, Sessel, Stofftiere und ein ganzes Regal voller Schleich-Tiere als Arbeitsmittel. In der Behandlung soll es möglich werden „zu erkennen, dass die Angst ein Teil von einem ist, aber man nicht selbst die Angst ist. Es ist gut, mit der Angst in Dialog zu treten und zu lernen, sich zu entspannen.“ Wenn sich die Methode für den Typ eignet, arbeitet Karin Magrutsch dafür gerne mit Psychodrama. Hier kommen die Angst und ihr „Wirt“ miteinander ins Gespräch.

Wenn Karin Magrutsch den Hauptgegner ihrer Klientinnen und Klienten im Rollenspiel beschreibt, blitzt ihr komödiantisches Talent auf. Man sieht sie förmlich vor sich: Die engagierte Sekretärin namens Angst. Karin Magrutsch verwendet gerne die Metapher von der Chefin und der Mitarbeiterin, die ihren Job sehr gut machen will: „Ihr Job ist: Leib und Leben schützen. Sie macht das sehr engagiert mit Hang zur Hysterie. Sie meint es sehr gut und ist sehr aufgeregt.“ Jeder kennt so jemanden und kann sich vorstellen, wie man mit so einer Person redet. Risikoeinschätzung ist aber ChefInnensache. Wenn man der eigenen Angst zu viel Verantwortung aufhalst „platzt sie bei jeder Gelegenheit ins Zimmer mit ihrer langen Liste von Dingen und Katastrophen, die ziemlich sicher passieren könnten. Sie ist dabei laut und aufgeregt, atmet schnell und holt kaum Luft“, sagt die Therapeutin und rudert dabei mit den Armen.

Wie kann man mit so jemandem in Dialog treten? Wie beruhigt sich so jemand? Karin Magrutsch coacht beide Rollen in einer angstfreien Umgebung: „Es geht darum, die Rollen zu wechseln und den Perspektivenwechsel auch zu spüren.“ Ziel ist es, mit der pragmatisierten Mitarbeiterin in Zukunft freundlich umzugehen, in „einer Mischung aus in die Schranken weisen, Trösten, Fingerspitzengefühl, Wertschätzung und Zuhören. Die Angst wird ja so laut, weil sie immer weggedrückt wird. Wenn man der Angst nicht zuhört, malt sie Horrorszenarien, damit man hinschaut.“

Mit unbearbeiteten Ängsten kann man leben, „aber man hat halt permanent Stress. Der Organismus arbeitet auf Hochtouren und produziert Stresshormone. Leute, die ständig Angst haben, müssen auch ständig mutig sein.“ Es gibt Prädispositionen, wie frühe Gewalterfahrung und Vernachlässigung. Es gibt eine große, genetische Komponente: Einen Erwachsenen, der Sicherheit gibt und Ruhe reinbringt, haben viele Angstgestörte schon in ihrer Kindheit vermisst.

Heute beschäftigt man sich viel mit seelischer Widerstandsfähigkeit – genannt Resilienz – und die Therapeutin bricht es mal so herunter: „Gute, sichere Beziehungen früher und später im Leben machen resilient. Alleinsein macht tendenziell krank und unglücklich.“ Die ausgebildete Sonder- und Heilpädagogin hat sich viele Jahre mit dem (guten) Heranwachsen von Kindern beschäftigt, Mütter beraten, im pädagogischen Bereich und im Kinderschutzzentrum gearbeitet. Daraus ergab sich für sie irgendwann die Frage wie ein gutes Leben gelingen kann. Sie selbst war übrigens als Kind so schüchtern, dass sich ihre Eltern sich große Sorgen gemacht haben. Heute singt sie im Chor - ganz laut.

In ihrer Praxis arbeitet sie mit einer kombinierten Methode, die ihr Kollege entwickelt hat. Desensibilisierung findet hier in einer Art Trance statt (z.B. in einer Traumreise), dann sollte man das Gelernte in absehbarer Zeit anwenden - etwa in ein Flugzeug steigen. Und wenn sie im Anmarsch ist, die engagierte Mitarbeiterin, gilt es sich möglichst früh selbst zu beruhigen. „Je besser man sich kennt, kann man gleich zu atmen anzufangen, bevor man sich hineindreht. Auch diese Techniken vermitteln wir.“

Die schwarz-blaue Bundesregierung ist bereits abgewählt worden. Auslöser für das Gespräch war ursprünglich die Frage, ob abstrakte Ängste wie die vor Überfremdung in der Gesellschaft zunehmen und warum? Ich unterstelle manchen PolitikerInnen, dass sie sehr gut mit Angst spielen. Extremisten und Populisten können gerade mit Social Media sehr gut punkten, weil sie eine Katastrophenmeldung nach der anderen absenden. Auch die Medien sind in der Pflicht, weil es ein Gefühl von allgemeiner Bedrohung macht, wenn sie über negative Dinge berichten. Wir merken uns alles Negative sehr gut. Ganz grundsätzlich muss sich jeder anschauen, was Social Media mit ihm machen und darauf sensibel sein.

Wie können wir gut reagieren? Was können wir Gutes tun, wenn jemand sagt: "Ich habe Angst"? Echte No-Gos sind spotten, kleinmachen, abwerten. Gut ist angemessener Körperkontakt, beruhigen, trösten, nicht auszureden versuchen, aber gute Argumente bringen, warum etwas nicht so gefährlich ist.

Wie ist es speziell bei Kindern? Bei Kindern geht es um das Ernstnehmen, eventuell unterm Bett nach Monstern schauen, drücken und einen Teddy hinsetzen, der aufpasst.

Und bei einem Erwachsenen? Bei Erwachsenen hilft darüber reden und sich angenommen fühlen. „Reiß’ dich z’samm!“ und „hab’ dich nicht so!“ also keinesfalls. Zuhören, austauschen und zur Verfügung stellen, was der Andere gerade nicht kann: Argumente, Logik und Sicherheit anbieten. Wer in Richtung Panik unterwegs ist, denkt nicht mehr logisch. Das Adrenalin schickt Blut in Arme und Beine für die Flucht und man wird hibbelig. Also hilft bewegen, Stiegen steigen, hüpfen, außer Atem kommen, um es abzubauen.

Angst ist ein internationales deutsches Wort. Gehören Wien und Angst zusammen? Vor knapp hundert Jahre ist ein riesegroßes K&K-Reich zusammengeschrumpft und da gab es durchaus Existenzsorgen. Da hat sich was Existenzielles für die hier Lebenden ereignet und im Narrativ verankert. Vielleicht lebt diese Unsicherheit fort. Sich nicht auskennen und nicht genau wissen, befördert die Angst. Der Wiener soll ja zu Grant, Schwermut und Jammern neigen und in einer wenig optimistischen Grundstimmung gedeiht Angst eher besser.
Und dann prägen natürlich die Geschehnisse im und nach dem 2. Weltkrieg: Flucht, Verschleppung, Ermordung unzähliger (jüdischer und dem Nationalsozialismus gegenüber kritisch eingestellter) WienerInnen. Der Bombenkrieg 1945, der Hunger und der Überlebenskampf in der Stadt danach. Die vielen traumatisierten Kriegsheimkehrer von der Front und aus der Gefangenschaft. Von deren Erlebnissen und denen der in Wien verbliebenen Männer, Frauen und Kinder wurde danach meist nicht viel gesprochen. All das sitzt uns aber auch heute noch in den Knochen, weil unsere Großeltern, Eltern oder Urgroßeltern ihre unverarbeiteten Traumata an die nächste Generation weiter „vererbt“ haben. Eine gute Grundlage für Angsterkrankungen!

Was gibt es nur in Wien? Das Grüne mit dem Großstädtischen

Wo ist Ihr Lieblingsort? Die Steinhofgründe.

Was ist Ihr liebstes Wiener Wort? Ich mag die Diminutive! „A bisserl“ zum Beispiel. Gschropp hat meine Oma immer gesagt oder Scheißerl.

Was ist Ihre Lieblingsspeise? Ich bin nicht heikel. Ich mag Erdäpfelgulasch.

Wonach riecht Wien? Der Wind bringt verschiedene Gerüche und zum Glück macht er sie auch weg. Es riecht selten nach Abgasen und oft nach Grün und... Döner. Und jede U-Bahn hat einen eigenen Geruch.

Für welchen Verein schlägt Ihr Herz? Für den Verein Neunerhaus! Ich finde, die machen wirklich gute und mutige Dinge für und mit obdachlosen Menschen und obendrein noch tolle gesellschaftspolitische Arbeit. Hochachtung!

Haben Sie eine Buchempfehlung für uns? Ein gutes Selbsthilfebuch ist „Angst selbst bewältigen. Das Praxisbuch“ von Dietmar Hantsch.

Was ist Ihre Botschaft für Wien? Mehr Lächeln!


Angst&Co

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