Es gibt einen großen Durst nach diesem Wissen

Katharina Mückstein fotografiert von Elsa Okazaki

Name: Katharina Mückstein, geboren 1982 in Wien, von Beruf Filmregisseurin und Drehbuchautorin. Sie lebt in 2. Bezirk. Ihr erster Dokumentarfilm „Feminism WTF“ gewann bei der Diagonale 2023 den Publikumspreis. 2022 brachte Mückstein, die früh in der Filmbranche zu arbeiten begann, auf Instagram die Debatte über #MeToo im Filmgeschäft ins Rollen.


Intersektionalen Feminismus mit seinen vielfachen gleichzeitigen Benachteiligungen kann man auch in einer leeren Halle greifbar machen. Das F-Wort ist für viele unbequem, aber sicher nicht unverständlich. Ein neuer Film bringt glasklare Informationen quietschbunt, lustvoll und auf vielen Ebenen ins Bewusstsein. Mit „Feminism WTF“ legt Katharina Mückstein ihren ersten Dokumentarfilm vor. Sie bezeichnet ihn „als filmisches Nachschlagewerk für intersektionelle feministische Fragen, die sich jede Generation neu stellt“.

Der Film wurde erstmals auf dem Diagonale-Festival des österreichischen Films gezeigt. Die zwei Screenings waren binnen weniger Minuten ausverkauft. Die Regisseurin freut sich über das junge und diverse Publikum „mit vielen Menschen, die ich noch nie gesehen habe“ – in der überschaubaren österreichischen Filmbranche ein gutes Zeichen. Andererseits zeigt es, dass „diejenigen, die über Feminismus noch am meisten lernen sollten, nicht da waren – die bittere Seite der Medaille“. Ambivalenz aushalten und zwiespältige Gefühle zulassen: das ist eine Stärke von Katharina Mückstein, wie sich im Gespräch mit MadameWien immer wieder zeigt.

Die Diagonale macht sichtbar, was in den letzten zehn Jahren erreicht wurde, weil sie viele Arbeiten von FLINTA* Personen zeigt und queere Partys feiert. Auf der anderen Seite ist es bei Abendveranstaltungen zu sexualisierten Übergriffen gekommen: „Unsere Realität ist, dass wir uns Raum erkämpft haben, aber die Filmbranche für viele Menschen immer noch ein sehr unsicherer Ort ist“.

Ein gutes Stichwort, um eine Zwischenbilanz zu #MeToo in der Filmbranche, zu ziehen. Im Juni 2022 war es Katharina Mückstein, die auf Instagram eigene Erfahrungen von Übergriffen und sexualisierter Gewalt beschrieb. Als sie andere dazu aufforderte eigene Erfahrungen zu schicken, die sie dann anonymisiert veröffentlichte, kam eine Flut an Erlebnisberichten. Einen Dokumentarfilm über Feminismus und Missstände in der Branche drehen? Damit gewinnt man keinen Beliebtheitswettbewerb. Wir kennen das: Personen, die Gewalt ansprechen, werden schnell vom Opfer zum Täter gemacht.

Da wird vieles getan, um sie zum Schweigen zu bringen: „So ist es mir auch gegangen und vielen anderen, die öffentlich oder halböffentlich über ihre Erfahrungen gesprochen haben. Es hat sich trotzdem ausgezahlt, weil jetzt das ganze Ausmaß von normalisierter Gewalt auf dem Tisch liegt. Das führt vor allem dazu, dass Betroffene Mut fassen, darüber zu sprechen und sich zu beschweren. Das ist der wichtigste Effekt. Auf der anderen Seite würde ich mir wünschen, dass Verursacher realisieren, welchen Schaden sie anderen zugefügt haben und dafür Verantwortung übernehmen. Und wenn sie das nicht tun, zumindest Angst bekommen. Davon spüre ich noch nicht viel.“

Sie selbst begegnet einigen Tätern in regelmäßigen Abständen auf Branchenveranstaltungen - und diese spüren sichtlich keine Konsequenzen. „Manchmal fühle ich wie in einer Parallelwelt. Ich mache mich mit meinem Engagement und meiner Arbeit sehr unbeliebt. Doch von einem Teil der Gesellschaft, der vielleicht schon eine Mehrheit ausmacht, bekomme ich viel Anerkennung und Solidarität zu spüren. Die Zustände, wie sie sind, sind nicht mehr auszuhalten, sie müssen sich ändern.“ „Feminism WTF“ hat bei der Diagonale den Publikumspreis gewonnen, vielleicht weil „wir genau solche Inhalte brauchen, um die Krisen der Menschheit zu überstehen. Es gibt einen großen Durst nach diesem feministischen Wissen“.

Es war für Katharina Mückstein wichtig, dass im Film eine Perspektivenvielfalt aufgezeigt wird, wiewohl es da keine Vollständigkeit gibt. Ihr Ausgangspunkt ist intersektionaler Feminismus mit dem klaren Ausgangspunkt, dass es neben Sexismus auch andere sich überschneidenden Diskriminierungsformen gibt, die ebenso abgebaut werden müssen (Klasse, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Sexualität, mit körperlichen Beeinträchtigungen, Teil einer Minderheit etc.). An den aktuellsten Punkt ihrer Radikalisierung führte sie die Pandemie und die Arbeit an „Feminism WTF“: der erholsame Abstand zu den krass sexistischen Zusammenhängen der Branche gab ihr mehr Freiheit und Sicherheit. Und die geballte Menge von feministischen Positionen den Blick darauf, wie es sein könnte.

Die elf disziplinenübergreifenden Expertinnen und Experten im Film sprechen Klartext. Sie halten sich nicht mit veraltetem Wissen auf und bringen ihre Forschungsergebnisse auf den Punkt. Zwischen ihren Statements in sorgfältig arrangierten Kulissen stellen Performances Geschlechterklischees in Frage und machen die aktuell vorherrschende Problematik auf neue Weise greifbar. Die Recherche der Forscher:innen erfolgte im Team. Auch für Katharina Mückstein, die Gender Studies an der Uni Wien belegt hat, gab es im rassismuskritischen und dekolonialen Feminismus noch viel zu entdecken.

Die Schwierigkeit lag im Eingrenzen. Jedenfalls gibt es im deutschsprachigen Raum jede Menge Top-Forschung dazu: „Eine feministische Perspektive ist mittlerweile State of the Art und bedeutet letztlich – neben alten, weißen Männern – auch alle anderen ins wissenschaftliche Interesse einzubeziehen und Wissen für und über sie zu generieren, wie beim Paradebeispiel Gendermedizin.“ Ihrer Einschätzung nach könnte man wohl 20 Filme dieser Art mit spannenden Leuten und Inhalten machen: „Ich würde mir wünschen, dass mein ruhiger, unaufgeregter und selbstbewusster Film dazu beträgt, es nicht mehr als Nischenthema abzutun. Feminismus wird ständig überall auf der Welt verhandelt.“

Wenn wir schon beim Wünschen sind, wer sollte diesem Film jedenfalls sehen? Werden die, die es wirklich nötig haben ihn anschauen? „Man kann das auch so sehen, dass feministisches Wissen traditionell sehr stark verdrängt wird. Jede neue Generation muss sich Argumente wieder mühsam zusammensuchen. Ich wollte eine Art Nachschlagewerk und Argumentationshilfe zur Verfügung stellen, für alle, die an Feminismus und sozialer Gerechtigkeit interessiert sind.“

In der krisenhaften Welt von heute ist es notwendig, sehr viel sehr schnell dazuzulernen, meint die Filmemacherin. Am Scheideweg kann sich alles zum Guten wenden, aber wer sich jetzt weigert dazuzulernen, wird von der Zeit vielleicht noch einmal überholt. Es ist ihr ein Anliegen, jenen, die Wandel haben wollen „etwas an die Hand zu geben und uns gegenseitig zu stärken“

Wenn sich jemand so beständig in den rauen Wind stellt, bleibt die Frage, was ihr feministischer Radikalisierungsmoment war, aus dem sie bis heute Motivation schöpft. „In meiner Familie mit zwei Schwestern und einem Bruder hatte ich immer das Gefühl, dass mein Geschlecht keine Rolle für das spielt, wofür ich Anerkennung bekomme. Bei uns war es wichtig schlau, mutig und konsequent zu sein. Mit elf oder zwölf habe ich mich erstmals fremd in der Welt gefühlt, wenn man als Mädchen sexualisiert wurde. Als junge Frau wurde die Ungleichbehandlung spürbar, die Übergriffe begannen, obwohl ich laut und wild war.“

Das Messen mit zweierlei Maß war auch für Katharina Mückstein ein Klassiker. „Für mein großes Maul bin ich ständig abgestraft worden, der Klassenkollege für dieselbe Art belohnt.“ Mit 12 wurde ihr attestiert: Du wirst nie einen Mann finden, wenn du so eine große Klappe hast. Auf so eine Form von Ungerechtigkeit und Autorität, reagiert sie aufmüpfig: „Das macht mir – wie allen – einerseits Angst und auf der anderen Seite denke ich mir: ich lasse mich hier nicht verdrängen.“ Das Studium an der Filmakademie mit Anfang 20 war wie eine Zeitreise in die 1950er-Jahre und da wurde ihr bewusst „ich muss hier kämpfen, um sein zu können“. Ohne die kritische Auseinandersetzung mit dem System, in dem sie lebt und arbeitet,  könnte sie auch heute nicht in der Filmindustrie bestehen.

In ihrer künftigen Spielfilm- und TV-Arbeit möchte Katharina Mückstein weiter feministisch arbeiten. Wie realistisch das ist? Auch da sieht sie zwei verschiedene Welten. Der Widerstand gegen Sexismus und Ausgrenzungen in der Filmbranche ist sehr stark. Die Frauen in der Filmbranche halten schon sehr lange sehr stark zusammen, etwa mit dem Verein FC Gloria. 40 Regisseurinnen sind 2019 gemeinsam aus dem Regieverband ausgetreten, weil der keine progressive Position zum Thema Geschlechtergerechtigkeit gefunden hat. Sie haben den Verband der Regisseur:innen gegründet. Der steht noch am Anfang bei der Frage, wie ein feministisches Filmset aussehen kann, weil der Mangel an Zeit und Geld die Arbeitsweise der Branche prägt. Er rechtfertigt den Ausnahmezustand und was man dafür in Kauf nimmt. Es geht jetzt um einen Sensibilisierungsprozess und neue Prioritäten. Und das führt zurück ins Herz der Argumentation des Films: Intersektionaler Feminismus blüht auf den Trümmern des Kapitalismus.

Was ist dein Lieblingskino? Das Gartenbaukino.

Ein feministischer Literaturtipp? Am stärksten beeinflusst und berührt hat mich die Literatur von Bell Hooks, weil sie auf besondere Art zusammenbringt, was ich als Kern von feministischem Denken und Handeln empfinde: Dass die Emotionalität und die Politik nicht voneinander zu trennen sind und wir alle eine Verantwortung haben für unsere Emotionalität und daraus abgeleitetes Handeln.

Ein Wiener Lieblingswort? Ist doch klar, Oida.

Trailer


Beitragsfotos: Elsa Okazaki

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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