Ich will Ideen ohne Scheuklappen zulassen

Eveline Steinberger-Kern fotografiert von Rafaela Pröll

Name Eveline Steinberger-Kern, geboren 1972 in der Steiermark, Beruf Start-up-Unternehmerin in der Energiewirtschaft, seit Mitte 2014 Geschäftsführerin TBMC, Mit-Gründerin des Innovation Club 2015, wohnt in Wien Neubau.


Eveline Steinberger-Kern schiebt mit ihrer Firma gute Ideen für die Energiewende an. Die Stadt Wien sieht sie auf einem guten Weg in Richtung Effizienz und erneuerbare Energie. The Blue Minds Company (TBMC) mit Sitz in Wien und Tel Aviv betreibt auch ein Brutkasten- und Beschleuniger-Programm für junge Gründerinnen und Gründer. Dort finden sie Infrastruktur, Kontakte, Austausch, Beratung, Finanzierung, aber keine Babysitter.

© Rafaela Pröll

Dem Klimawandel will Eveline Steinberger-Kern eine CO2-freie Energiezukunft entgegensetzen. Die Energiewende ist für sie keine wolkige Vision, sondern eine Hands-on-Mission. Mitte 2014 gründete Steinberger-Kern The Blue Minds Company, um mit Innovationsconsulting, Start-up-Eigengründungen, Beteiligungen und der Begleitung junger Start-ups die Transformation des Energiesystems auf den Weg zu bringen.

„Der Übergang zu einem effizienten, abgasarmen, nachhaltigen, dezentralen, intelligenten, erneuerbaren Energiesystem ist für viele Menschen noch abstrakt“, bestätigt die Unternehmerin. Sie selbst ist seit dem ersten Job in der Energiewirtschaft, gleich nach dem BWL-Abschluss, in das Thema hineingewachsen. In der Branche ist allen bewusst, dass das Modell „Großkraftwerk-Stromnetz-Steckdose“ nicht mehr zukunftsfähig ist. „Leider wird in der Branche meist nur darüber geredet, wie Energie hergestellt und verteilt wird. Zu selten wird Energieverwendung aus Kundensicht gedacht“, kritisiert Eveline Steinberger-Kern.

Denn bei der Energiewende geht es letztlich um geteilte Gestaltung und geteilte Verantwortung. Viel greifbarer wäre also zu wissen, wann, wie und wie viel Energie wir alle verwenden: Auf dem Weg von A nach B mit dem Auto, beim Heizen und Kühlen, mit der WLAN-Verbindung und der Alarmanlage, beim Kochen und Waschen. „Die meisten ärgern sich einmal im Jahr, wenn die Strom- und Gasrechnung kommt. Das greift aber als Information zu kurz. Photovoltaik hingegen elektrisiert Menschen, motiviert sie bereits. Bei den Wiener Bürgersolarkraftwerken kann jeder sichtbar einen Beitrag leisten. Da spüre ich Bewegung in die richtige Richtung.“

© Rafaela Pröll

Den Begriff Energiewende prägte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, als Japan im März 2011 von einer Kombination aus Erdbeben, Tsunami und Fukushima-Reaktorunfall erschüttert wurde. Seither nimmt die Umgestaltung von Energieerzeugung, -verteilung und -verwendung in der Politik besonders an Fahrt auf. Die Stadt Wien arbeitet mit ihren Institutionen strukturiert an der Umsetzung europäischer Rahmenstrategien und Ziele:
„Das ist gut organisiert und es gibt viele Initiativen. Parallel dazu werden privatwirtschaftliche Initiativen gesetzt“, so das Fazit der Unternehmerin, die mit dem österreichischen Bundeskanzler verheiratet ist. Gelingen kann die Wende aber nur, wenn sie die gesamte Gesellschaft erfasst. Der Prozess ist längst im Gange. Unterstützend wirkt die Digitalisierung, denn sie begünstigt in allen Branchen Demokratisierung und Dezentralisierung.

Vom Siebensternplatz in Wien Neubau aus betreibt Steinberger-Kern auch ein Brutkasten- und Beschleuniger-Programm für Menschen mit Ideen zur Energiewende. So will sie „mehr junge Gründer und Gründerinnen in den Kreislauf der Energiewende einbinden“. Die Blue Minds Factory im gleichen Haus bietet „ein kleines Ökosystem. Wir stellen Büro-Infrastruktur, Finanzierung und Know-how, öffnen unser Netzwerk, haben immer eine offene Tür für Fragen“, so Steinberger-Kern. In den ersten drei bis sechs Monaten der Geschäftsentwicklung entscheidet die Blue Minds Company, ob sie sich auch finanziell an den Neo-Firmen beteiligt und Ressourcen einbindet.

Womit kann man die Innovationsfachfrau überzeugen? „Für mich persönlich kommt es bei der Entscheidung auf das Team an. Sie brauchen die nötige Motivation. Die technische Lösung und das Geschäftskonzept kann man formen. Erst dann braucht es eine Finanzierung, um die adaptierte Idee auf den Markt zu bringen“, so die gebürtige Steirerin, die 1998 nach Wien kam. The Blue Minds Company unterstützt mit Themen-Ausschreibungen auch energierelevante Geschäftsmodelle im Grätzel, macht sie sichtbarer und beschleunigt, wenn gewünscht, den Weg von der Idee zum Unternehmen, das am Markt bestehen kann. Themen gibt es genug, von der Infrastruktur, der Erzeugung und Effizienz hin zu Lebensnahem wie Mobilität, Sharing, Abfallwirtschaft.

„Angst begleitet mich nicht“, sagt die Geschäftsführerin. Das war beim Umstieg von gut bezahlten Managementjobs im Konzern in die unternehmerische Eigenständigkeit so. Und so ist es auch beim Blick in die Energiezukunft: „Verlieren werden jene, die beharren und das alte System um jeden Preis aufrecht erhalten wollen.“

Im Arbeitsalltag hat sie den Open Innovation Ansatz verinnerlicht: „Viele Ideen zulassen, ohne Scheuklappen, sich auch mal streiten. Auch Absurditäten können noch auf Schiene kommen und ein Erfolg werden. Wir haben die Regel: Alles ist erlaubt.“ Das setzt eine gewisse Persönlichkeit voraus. Grosso modo sind junge Menschen für diese Kultur empfänglicher, weil sie noch nicht so geformt sind durch Struktur, Hierarchien und Regelwerke. Eigenverantwortung setzt Steinberger-Kern jedenfalls voraus: „Wir sind keine Babysitter.“

Generell will Eveline Steinberger-Kern Lust auf mehr Energiewende machen und heute nicht mehr über Kohlekraftwerke diskutieren, über Abgaswerte bei Autos und Energieeffizienzziele: „Ich will die Grenzen austesten und ausdehnen. Mit diesem Engagement mache ich mich natürlich nicht überall und immer beliebt“, lächelt sie.

Sie kommen aus der Steiermark. Was mögen Sie an Wien, was hat Sie ursprünglich hergelockt? Die Liebe. Ich bin Anfang 1998 nach Wien gekommen. Angelandet bin ich in Atzgersdorf und habe dann in vielen Bezirken gewohnt. Nach 1230 in 1030, 1190, 1090, 1010, 1060 und jetzt in Wien 1070, hier in Neubau bleibe ich. In die Stadt habe ich mich erst danach verliebt. Heute weiß ich die Kultur, den Schmäh, das „Miteinander-Sein“ und die Modernität zu schätzen.

Sie haben 2015 den Innovation Club gemeinsam mit i5invest und Kobza media ins Leben gerufen. Was passiert da? Der Innovation Club ist eine schöne ergänzende Aktivität zu dem, was wir machen. Es gibt Innovationszentren, die mit ihren Modellen, ihrem Wirken und Auftreten schon erfolgreich sind. Wir wollen die heimische Wirtschaft und Industrie damit in Berührung bringen. So sehen sie, was möglich ist, kommen dann nach Hause zurück, können Trends aufgreifen, anpassen und anwenden. Auch hier steht das Ökosystem im Vordergrund: Verschiedene Akteure greifen ineinander, um Innovation möglich zu machen.

Wie kam es zur engen Kooperation mit Tel Aviv? Ich habe viele Freunde aus der jüdischen Community hier und in den USA. Das Land war mir dadurch immer sehr nahe. Bei Siemens habe ich die Verantwortung für diesen Markt gehabt und ein berufliches Netzwerk aufgebaut. Israel ist ein Hot Spot für Start-ups, die Forschungslandschaft ist stark. Aktuell baue ich dort mit Kollegen an einer Smart Meter Data Analytics Company.

Wie engagieren Sie sich in der Förderung von Mädchen und Frauen bei den Themen Technik und Management? Der Themenkomplex Frauen, Wirtschaft und Karriere war mir immer wichtig. Ich gestalte da privat und beruflich. In meinem Kernteam habe ich 50 Prozent Frauen. Es gibt sie also, die technikinteressierten Frauen. Zu uns kommen ganz viele verschiedene junge Menschen, um Innovationsluft zu schnuppern. Wir müssen uns immer noch für Gleichberechtigung einsetzen.
In der Energiebranche ist auf Managementebene der Frauenanteil erschreckend gering. Auch 2017 sind Führungspositionen für Frauen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit oder Wertschätzung für Frauen in Hierarchien nicht selbstverständlich. Da sind immer noch Stereotype vorhanden, die es so in der Gesellschaft nicht mehr geben sollte. Meine Tochter ist fast zehn und Mathematik ist ihr Lieblingsfach. Das macht mich froh. Mir war wichtig, sie von klein auf nicht geschlechtsspezifisch zu erziehen. Sie nicht von Mathe und Technik fernzuhalten, Neugierde und Interesse auch dafür zu schüren.

Wie energiewendet leben und arbeiten Sie selbst? Nach Tel Aviv kann ich schwer zu Fuß gehen, da bin ich zu sehr Teil der Globalisierung. Wir sind 1st Mover und neugierig auf neue Technologien, auch wenn sie noch kostspielig sind. Hier im Grätzel tun wir, was zu tun ist. Zu Fuß, mit dem Scooter oder öffentlich fortbewegen, setzen wir voraus. Mülltrennen, Leuchtquellen, Gewand, Bio-Lebensmittel, Nahversorgung nach Möglichkeit.

Was sind Ihre Tipps für das leibliche Wohl in Neubau? Wo kaufen Sie Lebensmittel ein, wo isst die Firma zu Mittag? Ich gehe sehr gerne zu Firmann’s Bauernkörberl, wo ich regionale Produkte einkaufe. Das Mittagessen ist bei Naturkost St. Josef sehr empfehlens­wert und gesund. Dann mag ich das Un jour en France, da bekommt man gute französische Lebensmittel. Italienische Lebensmittel gibt’s in der Salumeria Principe  oder bei Il Bio.

Welche Lokale besuchen Sie noch? Gerne sitze ich im Sommer im Gastgarten der China Bar. Und ich mag die Rauch Juice Bar. Ein sehr nettes Bistro ist St. Ellas in der Zieglergasse. Und eines meiner Lieblings-Cafés ist die Café Bar Espresso. Das Eis von der Icedream-Factory ist toll.

Wo finden Sie im Grätzel Inspiration? Viel hier in meinem Büro. Und auch noch am Spielplatz, meine Tochter ist jetzt zehn!

Wo kaufen Sie gerne ein? Ich mag den Bürobedarf Mastnak. Mode kaufe ich gerne bei der lieben NACHBARIN, Hüte und Kopfbedeckungen bei Mühlbauer. Schönes Kindergewand gibt es bei Minimal auf der Westbahnstraße.

Nützen Sie das kulturelle Angebot der Stadt? Ja, auf verschiedenste Weise. Ich bin auch im Freundeskreis des Burgtheaters.

Haben Sie einen Buchtipp für uns? „Schmerz“ von Zeruya Shalev.

Was läuft momentan auf Ihrer Playlist? Musik von Idan Raichel.

Astrid ist Wienerin, Working Mum, Wählerin, wählerisch, mag Menschen, Worte und Wale.

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