Der Holobiont im Anthropozän

Martin Grassberger hat 2020 mit „Das leise Sterben“ das Wissenschaftsbuch des Jahres in der Kategorie Naturwissenschaft/Technik vorgelegt.

Mit „Das unsichtbare Netz des Lebens“ nimmt er den Menschen mit seiner bakteriellen Mitwelt und Umwelt in den Blick. Und er besticht ein weiteres Mal mit Klartext.

Der moderne Mensch mit Wohnsitz Metropole hat – ganz kurz gefasst – zwei Probleme: Er kann das Erbe seines Körpers samt optimaler Anpassung an die Entstehung vor hunderttausenden Jahren nicht abstreifen. Ebensowenig seinen Platz in der Entwicklungsgeschichte mit den Organismen, die vor ihm waren und bis heute mit ihm sind: die Mikroorganismen.

Dass Grassberger ausgerechnet mit den unschätzbaren Vorteilen der natürlichen (also vaginalen) Geburt und der Wichtigkeit des Stillens anfängt, wird viele Frauen verärgern. Denn diese großen Aufgaben hängen bekanntlich zu hundert Prozent an ihnen. Niemand kann sie ihnen bis auf weiteres abnehmen. Es ist aber nur konsequent, denn es geht hier um die Erstausstattung mit einem Mikrobiom (das ist die lebensnotwendige bakterielle Mitwelt in und auf uns).

Ein intaktes Mikrobiom hält uns letztlich gesund und glücklich. Wie wir es fördern oder schädigen, was ein Mismatch zwischen Mensch und Umwelt bedeutet, warum die beste Ausstattung für die frühe Fortpflanzung vielleicht zum früheren Tod führt und warum die Weight Watchers jahrelang falsch lagen. Alle Stränge des vernetzten Lebens hier anzuführen, sprengt den Rahmen. Aber das Buch ist unaufgeregt, bezieht sich auf wissenschaftliche Studien und ist auf 445 Seiten spannend. Danach werdet ihr vielleicht zu Fermentieren anfangen und öfter mal Waldbaden gehen.


Das unsichtbare Netz des Lebens.
Wie Mikrobiom, ökologische Vielfalt und Ernährung unsere Gesundheit erhalten.

von Martin Grassberger
Residenz Verlag
445 Seiten
25 Euro


Beitragsbild: © Aleksandra Pawloff

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