Ein Volksfeind

Ein Volksfeind mit Joachim Meyerhoff fotografiert von Georg Soulek

von Henrik Ibsen

Bearbeitung von Frank-Patrick Steckel
Fassung von Jette Steckel und Anika Steinhoff 


Eine verschuldete Kleinstadt erlebt dank einer Heilwasserquelle ihren Aufschwung als Kurort. Plötzlich auftretende Erkrankungen unter den Badegästen machen den Badearzt Tomas Stockmann misstrauisch, er unternimmt Nachforschungen und siehe da – eine Analyse des Wassers ergibt gesundheitsschädliche Verunreinigungen. 

In den nun eskalierenden Interessenskonflikten steht der Arzt Tomas Stockmann (Joachim Meyerhoff) bald alleine da. Er muss erkennen, dass seine Mitbürger, auf der Bühne als riesenhafte, bedrohlich wirkende Zwerge mit eisernen Mienen dargestellt, mehr am Erhalt des Status Quo interessiert sind als an unbequemen Wahrheiten. 

Der Bürgermeister, zugleich sein Bruder, versucht nach Kräften, den Arzt mit dem ausgeprägten Willen zur Wahrheit zum Schweigen zu bringen. Die Kleinstadt ist schließlich wirtschaftlich abhängig von ihrem Ruf als Kurort. Somit ist undenkbar, dass Tomas Stockmann „seine“ Wahrheit ans Licht bringt.

Und noch eine Verstrickung macht es dem Badearzt nicht leichter: Der Schwiegervater (Ignaz Kirchner) ist Eigentümer einer Gerberei, die zugleich der Grund für die ganze Sauerei ist.

Trotz der unwiderlegbaren Beweise und Argumente läuft der Arzt Stockmann, dem Wahrheit, Umwelt und Gesundheit der Menschen höchste Güter sind, an die Wand. Er hofft auf die Presse als Komplizen, doch auch der Herausgeber der lokalen Zeitung ist nur ein Rad zwischen Politik und Volksmeinung. Am Ende blitzt er hier ebenso ab, es wird keine Aufdecker-Story geben.

Dr. Tomas Stockmann wird von der Regisseurin Jette Steckel als sympathischer grüner Weltverbesserer dargestellt, als eine Art liebenswerter, etwas schrulliger Öko-Aktivist. Eine Rolle wie gemacht für Joachim Meyerhoff. Schon in der Anfangsszene taucht er archaisch aus einem eiskalten Gewässer auf und duscht sich zur Abhärtung fröhlich minutenlang.

Ibsen hatte den Arzt etwas anders dargestellt: nämlich als egozentrischen Rechthaber, der gerne aneckt. Und dennoch ist er ein tapferer Mann, der mit all seinen Kräften und fast bis Selbstaufgabe versucht, inmitten von extremer Intoleranz und Gleichgültigkeit Gutes zu tun.

Ort der Handlung ist eine schwarz ausgekleidete Eishalle, das großartige Bühnenbild stammt von Florian Lösche. Die Protagonisten bewegen sich teils außergewöhnlich gekonnt und künstlerisch über das glatte Eis, allen voran der virtuose Bürgermeister Stockmann (Mirco Kreibich). Nur Tomas Stockmann trägt die ganze Zeit über schöne Sandalen.

Die Handlung nimmt ihren Lauf. Die haushohen, gefühlskalten Zwerge mit Eigeninteressen umzingeln den renitenten Arzt bei düsterer Musik immer wieder auf bedrohliche Weise. Schlussendlich werden „zum Wohle aller“ Konzessionen gemacht, schließlich ist Stockmann auch Familienvater.

Am Ende wendet er sich ans Publikum, um es diesem noch „ganz schön reinzusagen“. Auf die Projektion von Tsunamibildern als Abspann folgt gleichermaßen begeisterter wie betroffener, minutenlanger Applaus. Und irgendwann verschwinden dann endlich die gruseligen Zwerge hinter dem sechsten Vorhang.


Zum Stück:
Ibsen schrieb 1882 „Ein Volksfeind“ als Antwort auf die heftige Kritik an seinen Dramen „Nora oder ein Puppenheim“ und „Gespenster“. Diese beide Stücke wurden zu seiner Zeit als skandalös betrachtet, da sich Ibsen gegen die herrschenden Konventionen stellte. Er beanstandete in „Ein Volksfeind“ vor allem die öffentliche Meinung, die in seinen Augen als Wahrheit akzeptiert wurde.


Burgtheater

Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.

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