Ein Land voller Spalten, Risse und Geheimnisse

Michèle Rohrbach fotografiert von Marcella Ruiz Cruz

Die Uraufführung von  Das flüssige Land nach dem Roman von Literatur-Shooting-Star Raphaela Edelbauer im Burgtheater Kasino geriet bizarr, rätselhaft und vor allem sehr sportlich. Zwei überdimensionale Trampoline auf der Bühne werden von den rastlosen Protagonist:innen nahezu durchgehend besprungen. Das bringt einerseits Bewegung ins Spiel, lässt die Zuseher:innen aber auch mit einer gewissen Ratlosigkeit auf Grund dieser Rastlosigkeit zurück.


Den Ausgangspunkt zur Rahmenhandlung liefert ein tragischer Anlass, hinter - oder besser unter - dem sich möglicherweise ein noch viel größeres schwarzes Loch verbirgt. Der Anruf eines Polizisten rüttelt Ruths von Schlaf- und Aufputschtabletten wie gedämpftes Leben dramatisch auf: Ihre Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Wie im Wahn reist die Physikerin aus Wien nach Groß-Einland, das zunächst kaum aufspürbare Heimatdorf ihrer Eltern, um sich vor Ort um die Beerdigung zu kümmern. Dort gerät sie rasch in den Bann der Einheimischen und ihrer skurrilen Bewältigungsmechanismen für kleine und große Zwischenfälle. Sie entdeckt, dass die Erde unter dem Dorf einen riesigen Hohlraum aufweist, der Häuser, Straßen, Kirchen und Plätze in die Tiefe zu reißen droht. Niemand will über das Loch sprechen, und Ruth bemerkt, dass in seinen Tiefen finstere Geheimnisse herumspuken, die ihre Sicht auf die Welt, auf sich selbst und ihr Zeitbewusstsein völlig auf den Kopf stellen.

Der Autorin Raphaela Edelbauer ist mit ihrem 2019 erschienenen Debütroman ein großer Wurf gelungen: DAS FLÜSSIGE LAND wurde auf die Shortlist des Österreichischen und des Deutschen Buchpreises aufgenommen und verbindet klassische Motive der österreichischen (Anti)Heimatliteratur mit denen einer jungen, urbanen, sinnsuchenden Generation. Gemeinsam mit dem Musiker und Komponisten Paul Plut taucht die Regisseurin Sara Ostertag in die Welt des Magisch-Realistischen ein. Eine kafkaesken Suche nach Zusammenhang in einer Wirklichkeit, die zu zerrinnen scheint.

Historischer Hintergrund für die Geschichte von Gross-Einland ist ein Außenlager des KZ Mauthausen und das Schicksal der Insassen, die in den Stollen des ehemaligen Bergwerks Flugzeugteile für die deutsche Kriegsindustrie herstellten.

Protagonistin Ruth erfährt mithilfe von alten Dokumenten, dass einige der Häftlinge auf einen Todesmarsch geschickt wurden, während andere im Lager getötet und in einem Massengrab begraben wurde. Auch wurden Gefangenen lebendig zu begraben. Das im Roman erwähnte Außenlager weist große Ähnlichkeiten mit einem Außenlager bei Hinterbrühl auf, der Ort, in dem Raphaela Edelbauer aufwuchs.

DAS FLÜSSIGE LAND
nach dem Roman von Raphaela Edelbauer
Fassung und Regie: Sara Ostertag
Mit: Suse Lichtenberger, Katharina Pichler, Michèle Rohrbach, Rainer Galke
Live-Musik: Paul Plut


Uraufführung am 4. Februar 2023 im Kasino am Schwarzenbergplatz
Nächste Vorstellungen am 8. und 24. Februar 2023

Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.

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