Schweine wie wir

Mehr über das Industrieschwein, das er täglich in sich hineinstopfte, wollte der Norweger Kristoffer Hatteland Endresen wissen. Der Historiker und Journalist, Jahrgang 1983, begab sich auf Recherche zum Schwein, sowohl in der Weltliteratur als auch in Forschung und  Praxis.

Endresen begleitete einen Frischlingswurf vom Zeitpunkt der Besamung der Muttersau bis zu ihrer Schlachtung. Täglich arbeitete er in einem industriellen Schweinestall mit, wo es ihn anfangs wegen des starken Ammoniakgeruchs reckte. Absolut kein Wohlfühlort, weder für Tier noch für den Menschen. Dennoch blieb er einige Wochen, um zu verstehen und berichten zu können.

Gleich zu Beginn zeigt der Autor auf vielen Seiten des Buchs auf, wie viel Mensch und Schwein gemeinsam haben. Eine Anekdote aus dem Bereich der Forschung zeigt etwa, wie sehr Teile des Schweinegebisses dem menschlichen Gebiss ähneln. Als Henry Fairfiled Osborn, damaliger Direktor des American Museum of History, im Jahr 1922 einen Backenzahn per Post übermittelt bekam, war er verzückt. Er galt als führender Paläontologe und witterte eine Sensation. Schon damals war durch Darwins Erkenntnisse belegt, dass sich die Wiege der  Menschheit  in Afrika befindet. Osborn publizierte hastig den sensationellen Fund und postulierte in der Zeitung „Nature” Amerikas ersten Fund eines höheren Primaten. Der „Nebraska Man” wurde zur Sensation. Doch der Ruhm währte nicht lange, denn bald stellte sich heraus, dass der Zahn nicht von einem Affenmenschen stammte. Es war gar kein Primat, der den Zahn im Gebiss trug, sondern – richtig geraten – ein Schwein. Die Blamage war groß. Der „Nebraska Man” wurde zum Schweinemann und manche spotteten noch Jahre später: “In diesem Fall schuf eine Wissenschaftler einen Menschen aus einem Schwein, und das Schwein machte den Wissenschaftler zum Affen”.

Zähne seien ein guter Ausgangspunkt für eine Geschichte von Schweinen und Menschen, findet Endresen. Das Gebiss beider Spezies eignet sich sowohl dafür, Fleisch von Knochen zu reißen, als auch zum Zermahlen von Pflanzen, Wurzeln und Nüssen. Mit anderen Worten: das Schwein ist ein Allesfresser wie wir. Auch entwickeln beide komplexe soziale Rangordnungen und schrecken nicht davor zurück, ihre Artgenossen übers Ohr zu hauen. Weil sie nackt sind wie der Mensch, entwickeln sie Hautkrebs, weil sie Allesfresser sind wie wir, sind unsere Organe ähnlich. Im vergangenen Jänner haben Herzchirurgen erstmals einem Menschen ein Schweineherz eingesetzt.

Und noch eine interessante Gemeinsamkeit entdeckte der Autor: Schweine tendieren, ebenso wie manche Menschen, zur Spielsucht. Als der US-Forscher Stanley Curtis ihnen eine speziell konstruierte Konsole vor den Rüssel stellte, ahnte er bereits, "dass die Schweine dem Hund überlegen waren, nicht aber, dass sie ihn regelrecht abzocken würden." Die Schweine strengten sich nicht nur für die Belohnung in Form von Schokolade an, sie entwickelten von sich aus Interesse an dem Spiel. Einfach saugut und ein wenig wie wir! Ein kurzweiliges und interessantes Lesevergnügen, das auch gut mit an den Strand kann, wo man bekanntlich schwitzt wie ein Schw….!


SAUGUT
Und ein wenig wie wir
Eine Geschichte über das Schwein

von Kristoffer Hatteland Endresen
Westend 2022
272 Seiten
24 Euro

Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.

0 replies on “Schweine wie wir”