Lügen über meine Mutter

  Madamewien.at

Kann man seinem Vater verzeihen, wenn er die eigene Mutter ständig wegen ihrer Leibesfülle kritisiert und herunter macht? Sie immer wieder zu unsinnigen Diäten verdonnert und keinen Hehl daraus macht, dass er sich für sie schämt? Wie soll er es bei ihrem Gewicht zu etwas bringen?

Vielleicht kann ein Kind seinem Vater so etwas später verzeihen, doch ob die Protagonistin es kann, bleibt in diesem Buch offen. In Daniela Dröschers Roman „Lügen über meine Mutter“ geht es um diese Mutter, die in ihrer gesamten Ehe von ihrem Mann für zu dick befunden wurde.

Ein einfacher Fall für alle Küchenpsycholog:innen, sucht doch dieser Mann die Begründung für seine eigenen Unzulänglichkeiten nur im Außen? In seiner Frau, der Mutter der Ich-Erzählerin, hat er dafür die perfekte Partnerin, man möchte sie Opfer nennen, gefunden.

»Lügen über meine Mutter« ist zweierlei zugleich: die Erzählung einer Kindheit im Deutschland der 1980er, die immer stärker beherrscht wird von der fixen Idee des Vaters, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, was ihm versagt bleibt: die Beförderung, der soziale Aufstieg, die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft. Und es ist eine Befragung des Geschehens aus der heutigen Perspektive: Was ist damals wirklich passiert? Was wurde verheimlicht, worüber wurde gelogen? Und was sagt uns das alles über den größeren Zusammenhang: die Gesellschaft, die ständig auf uns einwirkt, ob wir wollen oder nicht?

Schonungslos und eindrücklich lässt Daniela Dröscher ihr kindliches Alter Ego die Jahre, in denen sich dieses  »Kammerspiel namens Familie« abspielte, noch einmal durchleben. Ihr gelingt ein berührender Roman über subtile Gewalt, aber auch über Verantwortung und Fürsorge. Ein Roman, der einen schonungslosen Blick auf eine ganze Generation wirft. Vor allem aber ist es ein tragik-komisches Buch über eine starke Frau, die trotz allem Druck und Schmerz nicht aufgibt, für die Selbstbestimmung über ihr Leben zu kämpfen.


Lügen über meine Mutter
von Daniela Dröscher
KiWi 2022
24,70  Euro


Beitragsbild: © Carolin Saage

Nini schreibt, fotografiert und bloggt digital.
Mag aber auch analog noch immer.

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